Radsport:Experimente im Entdeckungskanal

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Lance Armstrongs neue Prioritätenliste: erst die Klassiker, dann den Stundenweltrekord, am Ende die Tour.

Von Sebastian Moll

Silver Spring - Bevor das Medien-Großunternehmen Discovery Channel vor fünf Jahren nach Silver Spring kam, war der Washingtoner Vorort ein Slum. Jetzt ist sogar das schöne alte Jugendstilkino gegenüber der Konzernzentrale renoviert worden. Das Leuchtband über dem Eingang kündigte am Montag allerdings keinen Naturdokumentarfilm aus dem Hause des Bildungssenders an, sondern die "weltweite Enthüllung des Discovery Channel Radteams". Discovery Channel sucht Popularität - und dabei soll Lance Armstrong mit seiner multinationalen Radlertruppe helfen.

Deshalb betonte Dan Osipow, Manager des Teams, bei der Vorstellung der Fahrer auch, dass Discovery Channel mit Profis aus 15 Nationen die internationalste Mannschaft im Radsport sei. Sogar in Katar und Malaysia wolle man 2005 Rennen fahren. Globale Medienaufmerksamkeit aber, das weiß Osipow so gut wie der Discovery Channel, erweckt nur einer - Lance Armstrong. Und das vor allem, wenn er weiter beim bekanntesten Rennen der Welt fährt: der Tour de France.

Aus diesem Grund hat Discovery Channel vertraglich vereinbart, dass Armstrong noch mindestens einmal die Tour mit dem Logo des Senders auf dem Trikot fahren muss. Und Lance Armstrong sagt: "Ich bin kein Typ, der Verträge nicht einhält." Ob er aber schon in diesem Jahr seinen siebten Tour-Sieg anstrebt, hält sich Armstrong offen. Priorität haben zunächst ein anderes Ziel: "Es ist ein romantischer Traum, aber ich möchte einmal eines der Monumente des Radsports gewinnen." Damit meint Armstrong die Eintagesrennen des Frühjahrs. Die Flandern-Rundfahrt, das Amstel Gold Race oder Lüttich - Bastogne - Lüttich, diese Rennen motivieren den Texaner derzeit, nicht Frankreichs große Runde: "Ich bin bei den Frühjahrsrennen schon zu oft Zweiter geworden."

Erst nach den Klassikern will Armstrong entscheiden, wie seine Saison weiter läuft: "April ist ein guter Zeitpunkt, um sich die Dinge neu zu bewerten." Allerdings lässt Armstrong durchblicken, dass auch nach den Klassikern andere Herausforderungen aufregender für ihn sein könnten als die Tour: "Ich denke ernsthaft über den Stundenweltrekord nach." So ernsthaft beschäftigt sich Armstrong mit dieser Option, dass er sich für den Rekordversuch bereits einen Rad-Prototyp hat bauen lassen, der daheim im Wohnzimmer stehe. Außerdem verfolgt Armstrong den Plan, sich eigens für diesen Rekord ein Stadion errichten zu lassen. "Wir wollen den Rekord in der Höhe brechen, und in der Höhe gibt es nur wenige Stadien, die überdacht sind. Wir überlegen noch, ob wir lieber die Bahn in Colorado Springs überdachen oder eine neue Bahn in Salt Lake City bauen." Das Ziel hat Chris Boardman gesetzt: 1996 in Manchester kam der Brite in der Stunde 56,375 Kilometer weit.

Auch für seinen vertraglich vereinbarten und vermutlich letzten Tour-Start hat Armstrong bereits ein Szenario entworfen: "Es gab viel Gerede darüber, dass ich ein Jahr weg bleibe und im darauf folgenden Jahr den neuen Sieger herausfordere. Das klingt für mich nach einer guten Idee." Öffentlich festlegen will er sich nicht. Spielraum für solche Experimente hat Armstrong nicht zuletzt durch die Reformen im Profi-Radsport gewonnen. Das Discovery Team ist Teil der neuen PRO-Tour - einem System ähnlich der Profi-Ligen des US-Sports, in dem nun 19 Spitzenmannschaften zu Starts bei allen wichtigen Rennen verpflichtet werden. Discovery kann sich deshalb nicht mehr wie Armstrongs Vorgängermannschaft, US Postal, nur auf die Tour konzentrieren. Aus diesem Grund hat die Teamleitung unter anderem in Paolo Salvodelli einen Favoriten für den Giro d'Italia verpflichtet und die Mannschaft für die Klassiker verstärkt. Teamchef Johan Bruyneel glaubt, dass es der Mannschaft nach sieben Jahren der Fixierung auf Armstrongs Tour-Siege gut tun wird, eine Saison einmal anders anzugehen: "Wir müssen ganz neu über den Radsport nachdenken."

Für Armstrong birgt dies auch eine Perspektive über den Sport hinaus. Teil des Vertrages mit Discovery Channel ist, dass er TV-Sendungen moderieren soll: "Darauf freue ich mich sehr", sagt er und lässt durchblicken, dass er den Start in die neue Karriere kaum abwarten kann. Auf dem Entdeckungskanal, so scheint es, hat Armstrong eine Welt abseits der Landstraße gefunden.

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