Radsport:Eine gewisse Chemie

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Das kurze Gedächtnis von Medien und Publikum beim Thema Doping im internationalen Radsport.

Hans Leyendecker

Die Tour de France im Jahr 1955 war so mörderisch wie viele Rundfahrten zuvor. Was damals passierte, ist in einer vergilbten Spiegel-Ausgabe nachzulesen. Der schweizerische Rennfahrer Ferdi Kübler, ein ganz Großer seiner Zeit, habe beim Anstieg auf den Mont Ventoux begonnen, ,,komisch im Zickzack zu fahren''. Die anderen rollten an ihm vorbei. ,,Fahr doch, fahr doch!'' wurde er angefeuert. ,,Schweine sind es, die das mit uns machen!'' fluchte Kübler. Kurz vor Kontrollschluss erreichte er das Ziel und brabbelte: ,,Nie mehr, nie mehr''.

Er schloss sich in sein Hotelzimmer ein. Der Spiegel: ,,Klopfte jemand an die Tür, so brüllte Kübler scheinbar wirre Sätze zurück: Ferdi wird bald explodieren. Ferdi ist mit Dynamit geladen! Nun ist aber Dynamit der Slang-Ausdruck für jene aufputschenden gesundheitsschädlichen Drogen, die man gemeinhin als Doping-Mittel bezeichnet'', schrieb der Reporter. Als dann zum ersten Mal in der Geschichte der Tour die sportlichen Kommissäre in den Zimmern der Rennfahrer und Masseure nachschauten, hätten sie ,,Arsenale verbotener Doping-Mittel'' gefunden: Injektionsspritzen, Tabletten, Flaschen und eine ganze Tasche voll energiesparender Medikamente. Ein anderer Fahrer, der Tour-Zweite von 1953, sei im Straßengraben zusammengebrochen: ,,Seine Augen waren geschlossen, aber mit einem Fuß, der immer noch an das Pedal geschnallt war, kurbelte er ruhelos weiter.''

Wenn in diesen Tagen über Doping im Berufsradsport, über die Haltung von Medien, Öffentlichkeit und Funktionären diskutiert wird, lohnt ausnahmsweise ein Blick in die Archive. Er zeigt, dass die Diskussion über die ,,schwarzen Schafe'', die ,,ganz neuen Erkenntnisse'' , also über all das, was niemand habe ahnen können, ein Abgrund von Heuchelei ist. Zu allen Zeiten, das fällt beim Blick in vergilbte Bände auf, gab es Medien, die beharrlich weggeschaut haben.

Stets aber gab es auch Medien und Journalisten, die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel meist vorneweg, die Aufklärung über Doping versuchten. Manchmal stießen sie beim Publikum auf Interesse, meist nicht, wenn deutsche Fahrer gute Chancen hatten. ,,Im härtesten Show-Business der Welt'', schrieb 1977 der Spiegel-Reporter Hans Halter, ein gelernter Arzt, ,,schlägt die Strapaze den armen und den reichen Mann, den prominenten und den namenlosen Radler über denselben Leisten. Deshalb finden fast alle aus dem Leid die gleiche Lösung: Sie hängen sich an die Nadel. Mit Spritze und Arznei lässt sich überleben (...) Kaum ein Prominenter des Profiradsports, der nicht in eine Dopingaffäre verwickelt gewesen war - alle Sieger der Tour inklusive.''

Ein Jahr später wird in Berichten der damalige Tour-de-France-Chefarzt mit dem Satz zitiert, Doping sei eine wahre ,,Seuche'', und ein Wiener Sportarzt erklärt den Radsport als ,,Brutstätte des Doping''. Im selben Jahr sagt der deutsche Radprofi Dietrich Thurau ganz allgemein: ,,Die Leute reden soviel über Doping. Aber wer heute nichts nimmt, der bringt auch nichts.''

Dass in keiner anderen Sportart so entschlossen gedopt wurde wie bei den Radrennfahrern, war unter Experten Allgemeingut. ,,Warum wahrten dann viele Medien, das Fernsehen vorneweg, viele Jahre eine Diskretion, die zum Himmel schreit?'' fragt der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert, der Vorsitzender des Sportausschusses des Bundestages ist. Und gibt sich selbst die Antwort: ,,Viele wollten dabei sein, den Betrieb nicht stören.''

Dichtes System

Als der ehemalige Radprofi Uwe Ampler beispielsweise Mitte der neunziger Jahre Doping-Vorwürfe erhob, wurde er mit Klagen überzogen. Zeitungen kritisierten ihn, weil er mit ,,unbewiesenen Verdächtigungen'' hantiert habe. Als der ehemalige Radsportler Jörg Paffrath behauptete, ohne ,,Chemie läuft in diesem Geschäft nichts'', druckten die Zeitungen sehr breit die Entgegnungen: ,,Absoluter Schwachsinn'', konterte ein Pressesprecher des Telekom-Teams. ,,Ein Witz'', sagte ein ehemaliger Radprofi. ,,Das hört sich an wie die Klage eines zu kurz Gekommenen'', kommentierte 1997 ein Bundestrainer Paffraths Erklärung: ,,Wir werden permanent kontrolliert - das System ist so dicht, da gibt es mittlerweile kein Durchkommen mehr.''

Immer war das System angeblich dicht, immer war es nicht dicht genug. Nun ist es wahrhaftig kein Vergnügen, eine doppelte Moral anzuprangern, die nach dem Motto ,,Haltet den Dieb'' funktioniert, aber auffällig ist schon, dass das Thema Doping in der öffentlichen Wahrnehmung meist Täler der Aufmerksamkeit und manchmal Höhen hatte. ,,Wir haben Fehler gemacht'', sagt selbstkritisch Nikolaus Brender, Chefredakteur des ZDF. ,,Viele Jahre waren wir zu unkritisch, das haben wir geändert.''

Brender gab sich vor einem Jahr rigoros aufklärerisch und drohte mit Ausstieg - nachdem unmittelbar vor dem Start der Tour 2006 die Favoriten Ullrich und Ivan Basso ausgeschlossen wurden. Beide hatten erwiesener Maßen beim Dopingarzt Fuentes verkehrt. Nach den Dopingbeichten des Masseurs Jef d'Hont vor wenigen Wochen und des ehemaligen Radprofis Bert Dietz in der Talkshow Beckmann am Montagabend ist nicht nur das Team Telekom schwer belastet. Auch die Manager der beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten müssen sich im Lichte der Erkenntnisse über den offenbar flächendeckenden Betrug im Radsport die Frage stellen, ob sie nicht besser auf eine Tour-de-France-Berichterstattung 2007 verzichten.

Brender erinnert jetzt an seine Worte. Er habe gefordert, dass sich etwas ändern müsse, und sowohl beim nationalen Radsportverband BDI als auch bei den deutschen Rennställen sei das geschehen. So seien die Verträge für die Fahrer modifiziert worden und enthielten einen Dopingpassus. In Brenders Logik muss das ZDF also senden, die Dopinggeständnisse kämen außerdem von ehemaligen Beteiligten. ARD-Programmchef Günter Struve ist aus gleichen Gründen für eine Live-Ausstrahlung. Sollte allerdings während der Tour etwas vorfallen, ,,steigen wir aus''. Kollege Brender informiert, dass die Vereinbarungen mit den Tour-Organisatoren das ausdrücklich zuließen.

© SZ vom 24.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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