Radprofi Patrik Sinkewitz über Doping:"Wie krank war ich eigentlich?"

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Kronzeuge Patrik Sinkewitz spricht über die Dopingpraxis im Bund Deutscher Radfahrer, die Doppelmoral des Sportgeschäfts und die Folgen seines Geständnisses.

Andreas Burkert und Thomas Kistner

Patrik Sinkewitz aus Fulda, 27, gehört zu den wichtigsten Kronzeugen des Radsports und war der Auslöser für eine neue Schärfe im Verhältnis zwischen Radsport und Fernsehen. Als während der Tour de France bekannt wurde, dass Sinkewitz bei einer Trainingskontrolle im Juni positiv auf Testosteron getestet worden war, beendeten die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender umgehend ihre Live-Berichterstattung.

Beamte des BKA durchsuchten 2. August 2007) das Privathaus von Radprofi Patrick Sinkewitz in Fulda. (Foto: Foto: dpa)

Zwei Wochen später gestand Sinkewitz sein Vergehen und verzichtete auf die Öffnung der B-Probe. Er sagte vor dem Bundeskriminalamt sowie dem Sportgericht des Bundes Deutscher Radfahrer aus und hofft nun auf eine Verkürzung seiner Sperre im Sinne der Kronzeugenregelung. Seine Karriere begann bei der Amateurmannschaft TEAG Team Köstritzer, von der aus er zu seiner ersten Profistation, dem italienischen Rennstall Mapei-Quickstep, wechselte. Nach der Auflösung des Teams 2003 fuhr Sinkewitz für die belgische Equipe von Quickstep-Davitamon, in deren Farben er seinen größten Erfolg erreichte: den Gesamtsieg bei der Deutschland-Tour 2004. Nach starken Leistungen bei der Tour de France 2005 wechselte er 2006 zum Team T-Mobile, das ihn nach der Doping-Enthüllung entließ.

SZ: Herr Sinkewitz, die polizeilichen Ermittlungen befassten sich bei Ihnen aus Verjährungsgründen mit der Zeit ab 2002. Doch schon im Jahr 2000 gab es einen Vorfall bei der WM im französischen Plouay. Damals wurden Sie, laut Mitteilung des Bundes Deutscher Radfahrer, wegen Erkältung heimgeschickt. Die Funktionärin und spätere BDR-Präsidentin Sylvia Schenk sagte uns aber Ende Mai, ein Kollege aus der Verbandsspitze habe ihr erklärt, es habe damals keine Erkältung, sondern hohe Blutwerte gegeben - man habe Sie heimgeschickt, weil man nicht die junge Karriere zerstören wolle.

Sinkewitz: Bisher hat mich dazu niemand gefragt, aber es stimmt. Ich habe mich 2000 erstmals mit Doping befasst. Erst hörte man Einiges im Umfeld, dass es Epo gibt und es verbreitet ist, das zu nehmen. Dann habe ich mich erkundigt, ob es auch richtig was bringt ...

SZ: Bei wem erkundigt?

Sinkewitz: Ich habe unter anderem mit Trainer Peter Weibel (Junioren-Bundestrainer bis zu seiner Doping-Suspendierung 2007; d. Red.) darüber gesprochen.

SZ: Der langjährige deutsche Bundestrainer hat Ihnen das Blutdopingmittel Epo empfohlen?

Sinkewitz: Nicht direkt empfohlen. Ich wusste ja schon davon. Aber er hat auch nicht abgeraten. Er hat sogar gesagt, wenn in Plouay alles gut läuft bei dir, gibt's nicht viele, die schneller fahren.

SZ: Der BDR-Trainer hat Sie also zum Dopen angespornt. Hat er vermittelt, dass es für Ihre Karriere richtig gut sei?

Sinkewitz: Abgeraten hat er mir nicht, ich sollte nur aufpassen.

Vor den Vorwürfen: Patrik Sinkewitz beim Herumalbern mit Jan Ullrich. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Was haben Sie dann getan?

Sinkewitz: Ich habe Epo in einer Apotheke besorgt. Es war ganz einfach.

SZ: Ohne Rezept?

Sinkewitz: Das ging damals. Und dann habe ich das Epo ein paar Mal genommen.

SZ: Wer setzte die Spritzen?

Sinkewitz: Habe ich selber gemacht, war ja nicht sehr schwer. Einfach unter die Haut in den Oberarm. Wie eine Impfung, da kann man nichts falsch machen.

SZ: Die erste Selbstinjektionen, wie war das?

Sinkewitz: Weiß ich gar nicht mehr. Aber ich habe damals schon begriffen, dass es bald sowieso dazu gehören wird.

SZ: Wusste der Bundestrainer, dass Sie es dann auch wirklich nahmen?

Sinkewitz: Ja, natürlich. Deshalb hat er ja selbst die Blutwerte nachgemessen.

SZ: Wie hat er reagiert auf Ihre Mitteilung, Epo drin zu haben?

Sinkewitz: Gar nicht. Er wusste es ja, und dass es nicht nur in Frankreich war. Wir waren da ja schon zwei Wochen unterwegs, im Trainingslager, beim Rennen zuvor in Deutschland. Und ich hatte das Epo ja rechtzeitig vorher abgesetzt.

SZ: Und was wusste der verantwortliche Radsportarzt des Verbandes?

Sinkewitz: Ich vermute, dass er was wusste, kann es aber nicht belegen.

SZ: Wer war der verantwortliche Verbandsarzt, etwa Georg Huber aus Freiburg, der zumindest nominell Verbandschefarzt war? (Das jahrzehntelange BDR-Gespann Huber/Weibel hat bisher nur Doping bis etwa 1990 eingeräumt)

Sinkewitz: Ja, sicher war er damals dabei, aber es gab ja mehrere. Das hat sich alles im deutschen Hotel abgespielt.

SZ: Was hatte sich mit Epo verändert?

Sinkewitz: Also, das Training und das Rennen sind anstrengend und schmerzhaft wie immer. Aber sonst: Ich vergleiche es am besten mit Autos. Wenn ich mit dem Opel Corsa 150 fahre, geht das gerade noch. Wenn ich 150 mit einem Super-BMW draufhabe, fahre ich das Tempo locker weg und kann auch noch auf 250 gehen. Man hat einfach ein viel höheres Grundniveau.

SZ: Was passierte dann in Plouay? Sinkewitz: Weibel hat mir immer wieder in seinem Hotelzimmer den Hämatokritwert gemessen. Die Werte waren im Grenzbereich. Allerdings entnahm er die Tropfen aus dem Ohrläppchen, und was wir damals nicht wussten, war: dass Kapillarblut höhere Werte hat als Venenblut.

SZ: Waren Ihre Blutmesswerte mehrfach im Grenzbereich?

Sinkewitz: Ja, vor dem Zeitfahren, und dann hat der Trainer danach noch mal gemessen, und das war wieder grenzwertig. Da hat er gemeint, ja, dann fährst du wohl mal besser nach Hause.

SZ: Wart ihr nervös, wegen der ständigen hohen Werte?

Sinkewitz: Ja, schon.

SZ: Wie lief das genau ab, als Sie nach Hause geschickt wurden. Von wem?

Sinkewitz: Ich denke, von Weibel. Ich bin auch nicht mehr groß im Hotel herum, um tschüss zu sagen, ich habe meine Tasche genommen, bin raus und sofort heim.

SZ: Wenn ein Kaderathlet bei einer WM erkrankt und heimreisen muss - muss dann nicht wenigstens einmal der zuständige Arzt draufschauen? Müssen nicht die Funktionäre nachfragen, wenn mal kurz eine Medaillenhoffnung verschwindet?

Sinkewitz: Ich denke schon.

SZ: Sind Sie in der Zeit in Plouay überhaupt mal bei Chefarzt Huber oder einem anderen Arzt gewesen?

Sinkewitz: Nicht dass ich wüsste.

SZ: Es hat auch nie ein Arzt nach Ihrer Erkältung geschaut, um zu prüfen, ob sich die WM-Hoffnung behandeln ließe?

Sinkewitz: Nein. Aber ich bin ja auch nicht nur wegen Erkältung abgereist.

SZ: Dann lag also auch kein Krankheitsbefund vor, mit dem der Bundestrainer eventuell Ärzte und Funktionäre hätte täuschen können? Sie verschwanden vorm Straßenrennen der Weltmeisterschaften, und trotzdem wunderte sich kein Arzt, kein Funktionär?

Sinkewitz: Ja. So habe ich es in Erinnerung. Ich selbst hatte jedenfalls damals eigentlich nur mit Weibel zu tun. Doch der Verband hat mich also geschützt. Aber es bringt doch nichts, jetzt die ganzen Leute mit reinzuziehen.

SZ: Nunja, wenn der mit Steuermillionen alimentierte Radverband das Wissen um einen von ihm zum Betrügen ermunterten und mit Epo gedopten WM-Teilnehmer unterdrückt und die Öffentlichkeit, die ihn bezahlt, dreist belügt - dann ist das ein klarer Beleg für ein Betrugskartell. Eines, das im Ernstfall alles tut, um sich selbst zu schützen - und wenn es auffliegt, alles sofort auf einzelne schwache Glieder in der Kette abschiebt.

Sinkewitz: Richtig ist, was den BDR angeht: Man kann nicht einmal den einen so behandeln und den nächsten ganz anders.

SZ: Was meinen Sie konkret?

Sinkewitz: Naja, ich wurde jetzt im Juni erwischt, und es gab ein Riesendrama, mit Mordsgeldstrafe von 40000 Euro und so weiter. Da sind in der Vergangenheit sicher einige besser weggekommen als ich.

SZ: Ist das nicht bizarr: Sie wurden zu Ihrem Karriere-Start von demselben Verband angedopt, der nun eine satte Geldstrafe über Sie verhängt hat?

Sinkewitz: Naja, der BDR hat es damals ja nicht aktiv betrieben ...

SZ: Doch. Denn sie erhielten den Ansporn von ihrem Ansprechpartner im Verband, dem Bundestrainer. Klarer Auftrag des Verbandes ist es jedoch, Doping mit allen Mitteln zu unterbinden und Vorfälle schonungslos zur Kenntnis zu bringen.

Sinkewitz: Klar ist das nicht gerecht. Die Strafe schreckt ab und torpediert die Kronzeugen-Regelung. Jetzt habe ich alles gesagt, was ich weiß und was man hören wollte. Und nun muss ich für die Wahrheit bezahlen. Denn du fällst in jeder Hinsicht ins Loch, nicht nur finanziell. Da wurde dir doch jahrelang alles abgenommen, du musstest nur fahren - und warst ansonsten nicht mal in der Lage, die Waschmaschine anzuschließen.

SZ: Das ist das persönliche Loch.

Sinkewitz: Klar, und ich habe im Radsport absolut null Freunde mehr. Dabei war ich vorher einer, der sich eigentlich mit allen verstanden hatte - das war schon wie eine Familie. Und da war ich keiner, der Berührungsängste hatte. Und jetzt? Null, null! Nicht einer ruft mal an. Die hetzen einander in dem Sinne auf: Ja, der Idiot, hätte er die Klappe gehalten.

SZ: Wie vielleicht die früheren Kollegen bei Quick Step. Dort haben Sie als Profi angefangen, und auch dort hat man wohl einen jungen Mann in einem Dopingsystem aufgezogen und beschützt, ähnlich wie zuvor der eigene Verband.

Sinkewitz: Ja, bei Quick Step gab es gleich die Rundum-Versorgung, und jeder wusste Bescheid: was, wann, wie. Das war systematisches Doping. Ich war jetzt eben drin im Radsport. Doping war das ja für mich sowieso nicht. Du fühlst dich nicht schlecht dabei und denkst dir: Oh Gott, jetzt bist du gedopt! Es ist normal.

SZ: Ist Ihnen in all den Jahren eine Person begegnet, der Ihnen anders begegnete oder versuchte, Sie davon abzubringen?

Sinkewitz: Nein, keiner.

SZ: Ihr damaliger Teamchef Patrick Lefévère ist noch aktiv und Vorsitzender der Teamvereinigung. Wenn Sie sagen, alle wussten etwas - auch er?

Sinkewitz: Lefévère ist schon naiv in gewisser Weise, aber dass er gar nichts mitbekommen hat? Er wusste mit Sicherheit, was abläuft, und er ist 30 Jahre dabei, da brauchen wir uns nichts vorzumachen.

SZ: Nach Quick Step wechselten Sie zu T-Mobile. Wie läuft im neuen Team die Kontaktaufnahme zum Dopingsystem ab?

Sinkewitz: Naja, ich war ja nun schon fünf Jahre Profi, und als Profi weißt du, dass überall etwas geht. Dass es auch bei T-Mobile läuft, wusste ich, also habe ich mit Lothar Heinrich (früherer, grundsätzlich geständiger Teamarzt) geredet. Da wurde dann ein Termin ausgemacht, und dann wusste jeder Bescheid.

SZ: Sie haben auch Blutdoping bei T-Mobile zugegeben. Wie fand dort die Blutabnahme statt?

Sinkewitz: In der Uniklinik Freiburg im Behandlungszimmer.

SZ: Haben Sie gewusst, wohin Ihr Blut nach der Abnahme dann geht?

Sinkewitz: Ich denke in den Keller, so etwas habe ich gehört. Ich gehe jedenfalls stark davon aus, dass es im Haus blieb.

SZ: Angeblich wurden die Blutbeutel mit Comic-Aufklebern zugeordnet.

Sinkewitz: Bei mir nicht. Ich habe sie selber beschriftet, ich hatte ein Zeichen drauf: einen selbstgemalten Hasen.

SZ: Das Spektakuläre an Ihrer Aussage war, dass Sie trotz des frischen Dopingskandals um Ihren Kapitän Jan Ullrich kurz vor dem Tourstart Ende Juni 2006 noch am Abend der ersten Etappe zu Heinrich nach Freiburg gefahren sind. Sind Sie heute selbst entsetzt?

Sinkewitz: Klar, im Nachhinein muss ich auch sagen: Wie krank war ich eigentlich? Du kapierst eben Vieles erst, wenn es zu spät ist. Vorher bist du in deinem Wahn drin. Damals habe ich das eben ganz an-ders erlebt. Du bist da bei der Tour de France, morgen ist der Prolog...

SZ: ...aber gestern ist doch mein Kapitän suspendiert worden!

Sinkewitz: Klar, das weißt du: Scheiße, der ist weg. Aber wir fahren halt die Tour weiter, ich fahr weiter. Du bist Profi!

SZ: Und Sie hatten keine Befürchtung, dass die Sache jetzt doch auffliegt?

Sinkewitz: Nö, wie denn?

SZ: Ist ja nicht nachweisbar!

Sinkewitz: Eben! Und wenn ich das nicht jetzt freiwillig gesagt hätte, würde es heute noch keiner wissen.

SZ: Gar keine Angst gehabt?

Sinkewitz: Doch, schon Angst, irgendwie. Aber es war ja eh klar, dass es damit nach der Tour nicht weiter gehen kann. Und du leidest ja auch drei, vier Monate, wenn du vorher einen Liter Blut verlierst. Du denkst: Mein Gott, nur noch dieser Abend, dann ist das fertig. So dachte ich.

SZ: Trotzdem, man muss doch in so einer Situation sehr viel ausblenden, oder?

Sinkewitz: Ja, machst du, aber im Grunde blendest du im ganzen Radprofileben aus. Es läuft ja auch alles: Du machst deine Sache, verdienst dein Geld. Da guckst du nicht nach rechts und nicht nach links.

SZ: Wie darf man sich das denn vorstellen nach der ersten Etappe: Waren Sie zu mehreren unterwegs?

Sinkewitz: Nein, ich bin allein gefahren, lassen wir das einmal so stehen.

SZ: Aber Sie haben auch gesagt, natürlich sei Doping bei T-Mobile nicht nur für Sie erfunden worden.

Sinkewitz: Klar, aber ich habe mit niemandem drüber gesprochen und gesagt: Komm', wir machen das jetzt zusammen. Das machte jeder für sich selber. Es gibt sicher Fahrer oder Freunde, mit denen du darüber geredet hast. Aber das sind nur ein, zwei Leute.

SZ: In der Uniklinik wartete dann einer der Freiburger Ärzte auf Sie.

Sinkewitz: Ja, das dauerte normalerweise so 20 Minuten. Aber diesmal hat ja das Blut bekanntlich geklumpt, da war ich erst richtig sauer. Aber dann fährst du ja gleich wieder, und nach so rund drei Stunden bist du wieder zurück im Hotel.

SZ: Wo Sie dann beim Abendessen fehlten. Aber Sie mussten sich vermutlich nicht abmelden, weil Sie davon ausgehen konnten: Jeder weiß es.

Sinkewitz: Ja. Es gab halt Sachen, die mussten nicht angesprochen werden - jeder wusste, um was es geht. Deshalb hat dieses System auch so lange funktioniert.

SZ: Es ist ja nicht auszuschließen, dass Telekom beim T-Mobile-Team aussteigt. Ihr Dopingfall hatte bereits zum zwischenzeitlichen Ende der TV-Übertragung von der Tour de France geführt. Fühlen Sie sich jetzt nur noch schuldig?

Sinkewitz: Nein, das sehe ich eigentlich ganz anders. Ich bezahle jetzt eben für alle und alles. Und ich habe doch jetzt nur gesagt, wozu ich von allen aufgefordert worden bin: die Wahrheit.

SZ: Es geht ja wohl bei Ihren früheren Kollegen ohnehin nahtlos weiter, Manager Bob Stapleton soll mit US-Investoren einig sein. Könnte man sich für dieses Team dann weiter verbürgen wie offenbar zumindest am Ende für T-Mobile, als Stapleton an einen recht engagierten Sponsor im Antidoping-Kampf gebunden war?

Sinkewitz: Ich war ja 2006 und 2007 bei ihm dabei, und da hat sich wirklich was geändert. Das war keine Show nach außen, der Bob Stapleton will wirklich ein sauberes Team haben. Das sagt zwar jeder, das sagt ja auch ein Holczer (Manager des Teams Gerolsteiner; d.Red.). Aber Stapleton habe ich das geglaubt.

SZ: Greift nicht aber jetzt auch die Verpflichtung des langjährigen Lance-Armstrong-Kompagnons George Hincapie seine Glaubwürdigkeit an ?

Sinkewitz: Ich denke, auch ein Hincapie muss die neuen Regeln einhalten. Aber mit Zukunft und Glaubwürdigkeit hat das natürlich nichts zu tun. Außerdem nimmt der jetzt vielleicht einem jungen Fahrer den Platz weg, und das macht es dann doch sehr fragwürdig. Und ich denke, der jetzige Sponsor will Hincapie nicht haben, denn Hincapie steht vom Namen her für Lance Armstrong.

SZ: Sie haben vorhin Stapletons Kollegen Hans-Michael Holczer erwähnt. Gibt es irgendeinen Grund, weshalb man ihm mehr vertrauen sollte?

Sinkewitz: Nö. Ich kenne ihn zu wenig, aber wenn ich ihn so höre, dass er bei-spielsweise geprüft hat, mich zu verkla-gen - dann ist das in meinen Augen alles Show. Bei mir ist alles undenkbar, das sagt er doch immer - ich persönlich glaube ihm kein Wort. Und man braucht doch nur die Geschichte des Teams nachrecherchieren. Ein Rebellin wurde beim dopen offenbar sogar gefilmt (der Italiener fuhr zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht bei Gerolsteiner, das Video wurde in dem später eingestellten Verfahren nicht zugelassen) - und davon weiß er nichts? Und es gibt keine fingierten Atteste bei Gerolsteiner? Er muss einen Rebellin ja nicht rausschmeißen - aber es kann doch keiner glauben, dass er in den letzten sechs, sieben Jahren von nichts wusste.

SZ: Warum wollen Sie überhaupt in ein System zurück, das sich nicht erneuert, das Sie jetzt ausgrenzt, obwohl es Sie doch im Grunde herangezogen hat?

Sinkewitz: Ich denke schon, dass auch ein Holczer weiß, worum es nun geht. Und in 2007 gab es ja solche Sachen wie Epo bei mir nicht mehr; aufgrund der Kontrollen war es einfach gar nicht mehr möglich das zu nehmen, was den Unterschied ausgemacht hat. Und trotzdem bin ja auch so teilweise vorne mitgefahren. Die ersten zehn oder fünf bei der Tour, das ist so natürlich schwierig. Aber man hat 2007 schon gemerkt, dass es dieses Jahr einen richtigen Schnitt gab. 1999 waren es eben 99 Prozent der Fahrer, die nachgeholfen haben, jetzt befinden sich vielleicht doch 80 Prozent auf Naturniveau.

SZ: Das klingt etwas nach Zweckoptimismus. Wahrscheinlicher ist doch, dass das alte System an vielen Orten weiter funktioniert. Auch deshalb werden Sie doch jetzt ausgegrenzt, genauso wie der erste Kronzeuge Jörg Jaksche. Mit der jetzigen Erfahrung: Würden Sie noch einmal den Kronzeugen machen?

Sinkewitz: Nein. Man muss klar sagen, auch aus finanzieller Sicht. Es geht an die Substanz, mit allem, was auch noch juristisch kommt, den Strafverfahren. Die Leute meinen doch, der hat 700.000 Euro verdient - was gar nicht stimmt -, und dann ziehen wir 40.000 ab, dann bleiben ja noch 660.000. Ich lebe jetzt eher von der Hand im Mund. Weshalb soll also jemand den Kronzeugen machen? Ich bin ganz klar für eine Amnestie, wenn jemand richtig auspackt. Und ich bin mir sicher, dass dann viele andere reden würden.

SZ: Die Amnestie gibt es noch nicht. Dann macht man es also besser so wie ihr früherer Kollege Matthias Kessler, der ebenfalls positiv auf Testosteron war und schweigt. Der bekommt nach seiner Sperre wohl eher wieder einen Vertrag, und den rufen die Leute wohl noch an, oder?

Sinkewitz: Ja, in der Szene steht er sicher besser da. Oder ein Ivan Basso (früherer Giro-Sieger). Der hat sicher seinen Vertrag schon in der Tasche, wird unterstützt mit Material, der steht 2009 nach seiner Sperre wieder am Start - und alles wird wie vorher sein. Und bei mir? Ich kann froh sein, wenn ich ein Trikot und ein Fahrrad und ein Team bekomme.

SZ: Haben sie mal vom Deutschen Olympische Sportbund etwas gehört?

Sinkewitz: Nein.

SZ: Mit Rolf Aldag und Erik Zabel hat sich der DOSB dagegen getroffen und sie geradezu geadelt für ihre - offenkundig auf die nicht justitiable Zeit begrenzten - Geständnisse. Er will sie sogar als leuchtende Vorbilder in Schulen schicken...

Sinkewitz: Weil sie vielleicht keinem geschadet haben. Für mich ist das wieder diese Doppelmoral: Nach außen heißt es immer, wir wollen, wir müssen, alles auf den Tisch. Sie werden nicht öffentlich sagen, dass ich das jetzt ganz schlecht gemacht habe. Aber in Wirklichkeit wär's anscheinend für alle das Beste, wenn ich in der Ecke stehen würde, ich in der Versenkung verschwinde, niemand mehr über mich reden und schreiben würde und ich auch nix mehr von mir gebe.

SZ: Wie groß sehen Sie Ihre Chancen, wieder Profi sein zu können?

Sinkewitz: Die Chance sehe ich schon. Aber sie ist gerade auch sehr gering. Es ruft ja keiner bei mir an. Ich bin verbrannt, auch bei den deutschen Teams will mich keiner. Ich habe allerdings bisher auch selber noch nichts unternommen, ich müsste mal den Hörer in die Hand nehmen. Aber irgendwie traue ich mach das noch nicht. Dabei habe ich eigentlich nichts zu verlieren. Und ich denke, über den neuen Wada-Code könnten wir meine Sperre (derzeit bis 17. Juli 2008) noch um drei, vier Monate reduzieren.

SZ: Und wenn alle Stricke reißen?

Sinkewitz: Mein Anwalt Michael Lehner (der auch den Kronzeugen Jörg Jaksche vertritt) hat bereits mit Jörg Jaksche erste Überlegungen angestellt, ob man nicht ein eigenes Team auf die Beine stellen könnte. Mit einem Nachwuchsteam dabei, und oben drüber eine Mannschaft mit den - in Anführungsstrichen - bösen Sündern, die offensiv nach außen gehen. Ein richtiger Neuanfang eben, ich finde, das hätte Charme. Man könnte klein anfangen, mit ein paar deutschen Touren. Das steht jetzt zwar nicht in meiner Macht, denn ohne Sponsoren ist das natürlich nicht machbar. Aber so etwas fände ich schon sehr reizvoll. Das wäre doch ein Königsweg für einen neuen Radsport. Aber derzeit ist das natürlich ein Wunschtraum.

© SZ vom 24.11.2007/lsp - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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