Quidditch:Herr der Ringe

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Im unterfränkischen Feuerbach wird Quidditch gespielt - der Harry-Potter-Sport.

Von Sebastian Leisgang

Es braucht nicht viel, um dieser fiktiven Welt den Eintritt in die Realität zu gewähren. Um genau zu sein: Es braucht ein paar handelsübliche Bälle, ein paar hölzerne Stangen und ein paar Reifen - und schon ist Harry Potter real. Also quasi.

Es ist ein sonniger und zugleich eiskalter Wintersonntag, der Wind saust über den Fußballplatz, der irgendwie irgendwo im Nigendwo liegt. An der Tür des Vereinsheims ist ein Schild angebracht: "Unser Sportheim ist mit einer Alarmanlage gesichert und wird mit einer Videoanlage überwacht. Es befindet sich kein Bargeld im Sportheim" - was jemand offenbar nicht für bare Münze gehalten hat: Die Tür ist zersplittert.

An diesem Sonntag trifft sich im unterfränkischen Feuerbach - und ja: auch im Ernst - eine Mannschaft namens Broom Breakers, um Quidditch zu spielen. Zuvor stehen Laura Brand und Lukas Schmitt, zwei Spieler des Teams, vor dem mit einer Alarmanlage gesicherten Sportheim im Landkreis Kitzingen und sprechen über ihren Sport. Und natürlich muss irgendwann diese Frage nach Harry Potter kommen: Ob diese fiktive Figur mit der Brille und der Narbe der Antrieb für sie sei?

Ein Sport, der aus der fiktiven in die reale Welt gereist ist: Quidditch, hier bei der Weltmeisterschaft 2016 in Frankfurt am Main. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Brand hat diese Frage schon hundert Mal gehört und hundert Mal sinngemäß geantwortet: Es ist nicht so, dass sie Harry Potter nichts abgewinnen könne, aber derart angetan, dass sie deshalb selbst Quidditch spiele? Nein, das sei sie nicht. Auch Schmitt sagt: "Es gibt sicher Spieler, die nur wegen Harry Potter Quidditch spielen - aber nicht bei uns." Den Feuerbachern geht es um den Sport an sich.

Dann geht's zur Sache. "Konter!", ruft Schmitt jetzt über den Platz, nachdem seine Mannschaft gerade ein Gegentor kassiert hat. Schmitt sprintet los und wirft den Ball dann nach vorne an die Ringe - ein Fehlpass. "Wenn du weite Pässe spielst, dann müssen die präziser kommen", sagt Brand.

In manchen Momenten dieses Sonntagnachmittags ertappt man sich bei der Frage: Ist das alles überhaupt ernst zu nehmen? Dieses zunächst chaotisch erscheinende Durch-die-Gegend-Laufen mit einer Stange zwischen den Beinen? Dieser Spieler mit einem Tennisball in einer Socke, der in einem Hosenbund angebracht ist? Man wird keine Gegendarstellung abdrucken müssen, wenn man behauptet, das Spiel mute etwas albern an, und es ist auch nicht despektierlich, die Sinnfrage zu stellen - denn auch Brand selbst hat sie sich gestellt, als sie zum ersten Mal von Quidditch gehört hat. "Am Anfang habe ich gedacht: Das ist alles sehr seltsam. Ich habe es nicht ernst genommen, und man muss es tatsächlich auch mit Humor nehmen, wenn man mit einem Besen über den Platz rennt."

Inzwischen, und auch das ist Brand wichtig, liegen die Dinge anders. Sie ist ambitioniert, "und wenn man sieht, wie es zugehen kann, dann muss man es ernst nehmen". Brand hebt ihre Hand: Ihr Daumen ist lädiert. Sie hat sich beim Quidditch eine Kapselverletzung zugezogen. Für einen Augenblick setzt sie ein Gesicht auf, als gehe die Welt - oder noch schlimmer: der noch junge Quidditch-Sport - unter. Dann aber sagt sie sinngemäß: halb so wild. Gehört eben dazu.

Würde man ein paar Leute auf der Straße bitten, ein paar Sportarten aufzuzählen, fielen sicher: Fußball, Basketball, Handball. Vielleicht würde jemand sogar Yoga oder Pilates nennen, aber Quidditch? Das dürfte niemandem in den Sinn kommen, dafür wandelt der Sport zu weit unter dem Radar - und entwickelt sich doch rasant. Als die Feuerbacher vor zwei Jahren den Betrieb aufnahmen, waren sie eines von nur acht Teams bundesweit. Inzwischen gibt es rund 50 Mannschaften, und Quidditch ist professioneller geworden. Es gibt ein System mit mehreren Ligen, eine deutsche Meisterschaft, eine Nationalmannschaft und eine Weltmeisterschaft.

Man kann es für die Ironie des Schicksals halten, dass selbst ein neuzeitlicher Sport wie Quidditch noch neuzeitlichere Strömungen erlebt, doch manche wollen die Geschlechtertrennung einführen und die Besen abschaffen, um den Sport der breiten Masse zugänglicher zu machen. Das stelle man sich mal vor: Quidditch ohne Besen - das wäre wie Harry Potter ohne Brille und Narbe.

Lukas Schmitt ist zwar gerade einmal 23, aber alt genug, um sich in Sachen Quidditch als Traditionalist zu begreifen. Er findet: Der Besen müsse sein. Und Männer mit Frauen in einem Team, auch das mache den Sport doch aus. Trotzdem gehen sie auch in Feuerbach mit der Zeit. Die schwarzen Besenstiele sind neu, und die Broom Breakers spielen nicht mehr auf Ringe, die an Mikrofonständern angebracht sind, sondern an eigens für Quidditch gefertigten Stativen. So viel Fortschritt muss sein. Findet auch Schmitt.

© SZ vom 10.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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