Qualifikation in Singapur:Der Samstags-Finger

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Das Warten hat ein Ende: Sebastian Vettel gelingt die erste Pole Position für Ferrari seit Sommer 2012. Lewis Hamiltons Rückstand im Mercedes ist beachtlich: satte anderthalb Sekunden.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Es war sein persönliches Fest, jedenfalls klang es so aus dem Cockpit von Sebastian Vettel, unmittelbar nach Ende der Qualifikation zum Großen Preis von Singapur: Ein exaltierter Jubelschrei über den Boxenfunk. Herausgebrüllt in einer Explosion der Gefühle, ein "Oooooooh", ein "Aaaaaaah", vielleicht auch ein "Jaaaaaaa"? - vermutlich war es alles zusammen. Die Lautmalerei eines Rennfahrers, der damit in seiner ersten Saison bei Ferrari alles abgehakt hat: Nun auch seine erste Pole-Position in Rot, die erste seit November 2013. Noch größer ist die Erlösung für die Scuderia, die seit dem Sommer 2012 in Hockenheim darauf gewartet hat. Und dahinter folgen weitere kleine Sensationen in der Startaufstellung zum 13. WM-Lauf: Daniel Ricciardo im Red Bull-Renault und dann die jeweiligen Team-Partner der beiden Tagesbesten, Kimi Räikkönen und Daniil Kwjat.

Nach dem zweiten Platz beim Großen Preis von Italien vor zwei Wochen hat der Heppenheimer den persönlichen Lauf. Selbst eine Viertelstunde später konnte er sich nicht beruhigen, setzte sein Lausbube-im-Spielzeugladen-eingeschlossen-Gesicht auf. "Das ist natürlich unglaublich. Es ist zwar nur das Ergebnis für den Samstag. Aber ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal an einem Samstag so viel Adrenalin hatte."

"Wie die Faust aufs Auge": Die Strecke in Singapur liegt Vettel

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(Foto: Philippe Lopez/AFP)

Da ist die Eins: Ferrari-Pilot Sebastian Vettel startet beim Großen Preis von Singapur von der Pole Position.

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(Foto: Clive Rose/Getty Images)

Auf dem Marina Bay Street Circuit distanziert der Deutsche die Konkurrenz deutlich. Seine Zeit ist fünf Zehntel schneller als die des Quali-Zweiten.

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(Foto: Clive Mason/Getty Images)

Der viermalige Weltmeister steht zum 46. Mal auf dem ersten Startplatz - allerdings erstmals seit dem 23. November 2013 in Sao Paulo.

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(Foto: Clive Mason/Getty Images)

Nicht so gut läuft es beim Weltmeister und WM-Führenden Lewis Hamilton: Der Brite wird Quali-Fünfter mit anderthalb Sekunden Rückstand auf Vettel.

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(Foto: Mark Baker/AP)

Ähnlich enttäuschend ist der Auftritt von Nico Rosberg, der hinter Hamilton nur auf Position sechs fährt.

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(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Einen ähnlich guten Tag wie Ferrari erwischt dagegen Red Bull: Daniel Ricciardo (unten rechts) fährt neben Vettel in die erste Startreihe,...

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(Foto: Wallace Woon/dpa)

...sein Teamkollege Danil Kvyat erreicht den vierten Platz.

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(Foto: Clive Mason/Getty Images)

Von Position drei startet der zweite Ferrari-Fahrer Kimi Räikkönen.

Die Erklärung für das Hoch von Ferrari ist im beschleunigten technischen Aufholprozess zu suchen, im verbesserten Hybrid-Motor, in der Streckencharakteristik von Singapur und im enormen Motivations-Faktor von Teamchef Maurizio Arrivabene und seinem Mannschaftskapitän Sebastian Vettel. "Wenn wir über die Motivation sprechen, sollten wir die WM anführen", glaubt Charismatiker Arrivabene. "Die Runden haben gepasst wie die Faust aufs Auge, da kam wirklich alles zusammen. Das bedeutet eine Super-Ausgangslage für das Rennen." Er hätte vermutlich noch stundenlang so weiterreden können, aber dann kam der Vettel-Finger zum Einsatz, diesmal, um sich selbst zu ermahnen: "Es wird wichtig sein, irgendwann einen Schlussstrich zu ziehen. Aber den Moment will ich trotzdem genießen, er fühlt sich fantastisch an", sagte Vettel.

Schilderung und Auftritt des 28-Jährigen erklären schon ziemlich viel, und all das in eine Phase der Dominanz von Mercedes hinein - mit 23 Pole-Positionen nacheinander. Der Samstag hätte Nummer 24 bringen sollen und damit die Egalisierung des Rekords von Williams. Doch Lewis Hamilton, der nicht auch nur in die Nähe seiner achten Pole-Position kam und damit die Bestmarke seines Idols Ayrton Senna nicht erreichen konnte, landete lediglich auf Platz fünf - gut anderthalb (!) Sekunden hinter Vettel. Solche Abstände sind Welten, nachdem die Silberpfeile in den letzten Rennen mit der Konkurrenz nach Belieben spielen konnten. "Ich war sehr glücklich, als ich über die Ziellinie fuhr. Es fühlte sich nach einer sehr guten Runde an, und die war es am Ende auch", sagte Vettel.

Auf dem Stadtkurs hilft Mercedes der starke Motor weniger

Denn auf dem engen und buckligen Straßenkurs fanden Hamilton und Rosberg (Rang sechs) von Anfang an nicht die richtige Abstimmung, weder für das Auto noch die Reifen - vor allem eine Temperaturfrage? "Ich weiß nicht, was bei Mercedes los ist, das ist eine Überraschung. Da muss was sein", ahnt Vettel, "aber ich würde die nicht abschreiben, selbst wenn es hier schwierig ist zu überholen. Aber die haben immer noch das überlegene Material." Was seinen Erfolg, die 46. Pole-Position seiner Karriere, noch ein bisschen mehr strahlen lässt. "Wir sind wirklich stolz", gibt auch Arrivabene zu, der das Team innerhalb eines Jahres komplett umgekrempelt hat, "für solche Momente arbeiten wir hart, das zahlt sich aus. Die Abstimmung war perfekt. Aber es braucht auch zwei perfekte Fahrer dazu, die das umsetzen. Sebastian hatte seine Pole-Position schon sicher, aber er hat weiter gepusht." Für den Manager ist der glückliche Augenblick in Südostasien erst "der Anfang der Story".

Bei den beiden Überraschungs-Teams hat das Zusammenspiel zwischen Chassis und Reifen den entscheidenden Unterschied gemacht, der Stadtkurs ist keine Motorenstrecke. Mercedes hat das wohl geahnt, dass der Absturz aber so deutlich sein würde, wohl nicht. "Das ist schon heftig. Unglaublich, wie sich das verändern kann", klagte Nico Rosberg, "komisch, dass wir nicht zurecht kommen hier. Wir müssen die Enttäuschung verdauen, der Schock ist groß."

Vor allem sind sie aber ratlos. "Wir haben viele Dinge probiert im Training, aber es hat nicht zum Ziel geführt", sagt Mercedes-Teamaufsichtsrat Niki Lauda. Der enttäuschte Lewis Hamilton spricht von einem "Fragezeichen in unseren Köpfen". Unverständlich ist ihnen zum Beispiel, warum der Grip fehlt: "Wir haben überhaupt keine Ahnung, was dahintersteckt." Dem WM-Spitzenreiter, der 53 Punkte Vorsprung auf Rosberg und 74 auf Vettel hat, bleibt nur eine Taktik: "Voll drauf! Alles geben, was du kannst - und dann sehen, was rauskommt." Das klang auch schon mal souveräner.

© SZ vom 20.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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