Pro Tour de France:Heiligtum und Hysterie

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Die Tour ist größer als Doping, größer als die aufgeputschen Sieger. Deswegen lohnt es sich, auch dieses Jahr hinzuschauen. Sogar besonders genau.

Lars Spannagel

Gleich vorneweg: Doping zerstört die Tour de France. Es ruiniert nicht nur den Sport und die Gesundheit der Fahrer, es raubt dem Zuschauer auch die Lust anzufeuern, mitzuleiden und zu jubeln. So nett die Landschaftsaufnahmen aus der Pikardie und die Anekdoten über die Stiftskirche von Semur-en-Auxois auch sind, so viel Lust man vor dem Fernseher auf Käse und Wein bekommt: Deswegen braucht die Tour kein Mensch. Es geht um Sport.

Wer hat schon noch Bock auf die Tour de France? (Foto: Foto: AP)

Die Tour gehört zu Frankreich wie Wimbledon zu England und der Super Bowl zu den USA. Sie ist Heiligtum und Hysterie zugleich. Das Rennen hat sich von einem nationalen Ereignis zu einem weltumspannenden Klassiker entwickelt. Wer einmal erlebt hat, wie tausende Menschen in einer engen französischen Altstadt stundenlang in der Sommerhitze ausharren, nur um für einige Sekunden ein gesichtsloses Peloton vorbeirasen zu sehen, kann sich der Faszination Tour nicht entziehen.

Selbst wenn man vom Radsport enttäuscht ist: Die Tour als Ereignis, als Fixpunkt eines jeden Sportsommers kann man nicht ignorieren. Die Tour ist kein "Event", der in den letzten Jahren aus dem Boden gestampft wurde, um irgendeine Zielgruppe zu erreichen, die ein Marktforschungsunternehmen errechnet hat. Sie gleicht eher einer alten Dampflokomotive, die immer mehr Anhänger bekommt und trotzdem schneller wird. Sicher, die Tour ist AUCH eine Werbemaschine, die Karawane der Sponsoren zieht scheinbar endlos an den Zuschauern vorbei. Vor allem ist die Tour aber ein Radrennen, das härteste und spannendste der Welt.

Beim Aufstieg zum Galibier oder zum Aubisque ist jeder Fahrer mit dem Pfeifen seiner Lunge und dem Brennen in seinen Oberschenkeln allein. Und wenn man in die Gesichter der Gequälten schaut, dann weiß man: Das ist nicht nur großes Fernsehen, das ist großer Sport.

Umso tragischer ist es, dass der Klassiker Tour de France vom Klassiker Doping aufgefressen wird. Niemand kann dem Träger des Gelben Trikots oder dem Sieger eines Bergzeitfahrens mehr zujubeln, ohne Fragezeichen im Hinterkopf zu haben. Doch wenn man ehrlich ist, waren diese Fragezeichen schon immer da. Die jüngsten Geständnisse haben bestätigt, was zu vermuten war: Doping ist fester Bestandteil der Tour.

Deswegen lohnt es sich, dieses Jahr nicht nur zuzugucken, sondern genau hinzusehen. Hoffentlich führt der Weg der Sieger nach den Küsschen auf dem Podest direkt zur genauest möglichen Dopingkontrolle. Wie schön wäre es, wenn auf dem Asphalt nicht "Ulle", "Basso" oder "Lance" stünde - sondern: "Wahrheit". Immer wieder, metergroß, in allen Sprachen. Vielleicht würden die Fahrer es sehen, vielleicht würden sie sich die richtigen Fragen stellen, vielleicht ...

Zuviel Pathos? Zuviel Romantik? C'est le Tour.

Die andere Meinung: Contra Tour de France

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