Philipp Lahm im Interview:"Ich bin ja mit der Größe aufgewachsen"

Lesezeit: 7 min

Der Jungstar des VfB Stuttgart über seinen rasanten Aufstieg in die Nationalelf, Michael Jordan und den Umgang mit Gegnern, die viel größer sind als er.

Von Klaus Hoeltzenbein und Philipp Selldorf

Selten ist ein Profi so schnell in der Nationalelf angekommen wie Philipp Lahm. In der Spielzeit 2002/2003 war er bei den Regionalliga-Amateuren des FC Bayern aufgefallen, anschließend wurde er aber nicht in die erste Mannschaft der Münchner übernommen, sondern zur Weiterbildung an den VfB Stuttgart ausgeliehen.

Unbeschwert und nervenstark eroberte Lahm, 20, auf Anhieb einen Stammplatz, gab im Februar beim 2:1 in Kroatien sein Länderspiel-Debüt und jetzt, vor der Partie gegen Belgien, spricht Teamchef Rudi Völler über den 1,70 m großen Allroundspieler bereits wie über eine langjährige Stammkraft: "Er hat auch in der Phase, in der es beim VfB Stuttgart nicht so gut lief, hervorragend gespielt. Er ist in einer sehr, sehr guten Verfassung und wird spielen."

SZ: Herr Lahm, Sie sind in München geboren. Warum sind Sie zum FC Bayern gegangen und kein Löwe geworden?

Lahm: Weil mir das Probetraining dort besser gefallen hat als bei 1860 ein Jahr zuvor. Damals wollte ich allerdings auch noch nicht weg von meinem Heimatverein, dem FT Gern. Ich war zehn, hatte dort meine Freunde und wollte unbedingt bleiben. Damals wollte ich nicht - ein Jahr später wollte ich.

SZ: Mit dem Ziel, Profi zu werden?

Lahm: Nein, in dem Alter habe ich meine Schule gemacht und nicht ans Profisein gedacht.

SZ: Wie oft haben Sie zu der Zeit Fußball gespielt? Täglich?

Lahm: Auf jeden Fall. Die Hausaufgaben habe ich noch machen müssen - wegen meiner Eltern. Aber dann ging's rüber in den Olympiapark. Einfach bolzen, mit Bäumen als Pfosten.

SZ: Dann sind Sie zwar kein Straßen-, aber ein Parkfußballer.

Lahm: Aber ich war schon mit viereinhalb Jahren im Verein - da würde ich mich wirklich nicht als Straßenfußballer bezeichnen.

SZ: Wann wurde Fußball für Sie zur beruflichen Perspektive?

Lahm: Richtig angefangen hat's mit 15, als wir mit der U 16 das erste Mal um die Deutsche Meisterschaft gespielt haben. Da wurde mir bewusst, dass es schon um sehr viel geht, und ich habe begonnen, eine Menge - eigentlich fast alles - dafür zu tun. Erst recht ging es dann ab der A-Jugend los, als wir zweimal Deutscher Meister geworden sind. Ab da tut man wirklich alles für den Fußball.

SZ: Was ist Ihre Lieblingsposition?

Lahm: Auf dem Platz.

SZ: Keine besonderen Vorlieben?

Lahm: Ich kann einige Positionen spielen. Bei Bayern habe ich im defensiven Mittelfeld gespielt, rechts in der Abwehr, rechts vorne. Als linker Verteidiger bin ich in Stuttgart Profi geworden, das hat geklappt und dabei bin ich nun geblieben. Nur letzten Sonntag gegen Bremen habe ich rechts verteidigt.

SZ: Torjäger Ailton ist Ihnen da einige Male entkommen. Wird Ihnen die Saison allmählich ein bisschen lang? Es ist Ihre erste als Profi, und sie enthält gleich alles auf einmal: Bundesliga, Champions League, Nationalmannschaft.

Lahm: Müde bin ich sicher nicht. Darin sehe ich kein Problem, wir haben ja genügend freie Tage zwischendurch. Ich spiele die Saison gern noch zuende, dann habe ich eh meinen Urlaub.

SZ: Aber erst nach der Europameisterschaft im Juni in Portugal.

Lahm: Weiß ich nicht. Keine Ahnung. Freuen würd's mich. Aber bis dahin kann viel passieren, das sieht man ja am Andreas Hinkel, der sich verletzt hat und jetzt zuschauen muss.

SZ: Bei Ihrem Debüt im Nationalteam gegen Kroatien in Split haben Sie gespielt, als ob Sie seit drei Jahren dabei wären. Ohne Anpassungsprobleme.

Lahm: Rudi Völler hat viel mit mir gesprochen während der drei Tage. Ich habe mich einfach wohl gefühlt dort, deswegen konnte ich in dem Spiel so spielen, wie ich es immer mache. Natürlich bin ich ein bisschen vorsichtig auf die anderen Spieler zugegangen, sind ja viele Stars, aber die waren sehr nett zu mir. Außerdem war es ja auch etwas Besonderes, dass das Spiel in Split war. Da kommt nämlich meine Freundin her.

SZ: Ottmar Hitzfeld hat erzählt, Sie seien ein wenig gehemmt aufgetreten, als Sie bei den Profis des FC Bayern mittrainierten - in der Saison, bevor Sie zum VfB Stuttgart gegangen sind. Hat er recht gehabt?

Lahm: Teilweise. Aber ich habe nicht so oft und nicht über einen so langen Zeitraum mittrainieren dürfen, wie ich mir das gewünscht hätte. Zwei, dreimal die Woche war ich beim Training dabei, einmal in der Vorbereitung, und da konnte ich mich nicht richtig aufdrängen. Ich weiß auch nicht, ob ich das geschafft hätte, wenn ich regelmäßig dabei gewesen wäre. Ich weiß nur eins: Dass ich sehr zufrieden bin, nach Stuttgart gegangen zu sein. 2005 werde ich zurückkehren nach München - und dann war alles okay.

SZ: Es schadet ja auch nicht, mal von zu Hause wegzugehen, ist ja nicht die äußere Mongolei...

Lahm: ... es ist ja nur Stuttgart. Mir geht's gut dort. Ich sehe das auch nicht als schlecht an, dass mich der FC Bayern ausgeliehen hat, sondern als Lob. Sie verkaufen mich nicht - sie wollen mich behalten, weil sie auf mich setzen. (Lahm hat einen Anschlussvertrag ab 2005 mit dem FC Bayern, Gehaltsdetails noch nicht ausgehandelt, Anm. d. Red.)

SZ: Haben Sie früher anderen Profis nachgeeifert, zum Beispiel Maradona angeguckt, wie er 1986 bei der WM acht Engländer ausgespielt hat?

Lahm: 1986 nicht, aber mein Opa hat mir die WM 1990 aufgenommen, eineinhalb Stunden Zusammenschnitte, die habe ich mir sehr oft angeschaut, wenn ich aus der Schule kam.

SZ: Ist das jener WM-Film, in dem Franz Beckenbauer in Kitzbühel auf der Holzbank sitzt und sich erinnert, wie schön es gewesen ist in Italien?

Lahm: Ja, ja, genau. Der Film ist wirklich super. Ich hab' zwar schon damals die WM gesehen, aber da war ich sechs - da ist nicht so viel hängen geblieben. Später schon. Da gab es 'ne Menge Sachen, die ich mir immer wieder angeschaut habe, weil ich die einfach klasse fand: Das Dribbling von Lothar Matthäus zum Beispiel gegen Jugoslawien, Brehmes Elfmeter im Finale, solche Sachen halt.

SZ: Sind Sie denn, was Fußball angeht, erblich vorbelastet? Ihre Mutter ist Jugendleiterin beim FT Gern, wie kommt sie dazu?

Lahm: Mein Opa hat da früher schon Fußball gespielt, der Bruder meiner Mutter auch, und mein Vater hat zwar zuerst in Freilassing gespielt - mit Paul Breitner zusammen - ist dann aber mit 18 auch zum FT Gern gekommen. Da ist meine Mutter natürlich auch reingewachsen in den Verein und jetzt betreut sie mit einer anderen Dame, ich glaub', 16 Mannschaften. Der Verein ist für uns wie eine Familie, jeder kennt uns dort. Mein Vater spielt immer noch in der Senioren B.

SZ: In welcher Rolle?

Lahm: Er ist 52. Der spielt jetzt nur noch Libero, mehr hinten drin, mit Auge, sehr ruhig.

SZ: Den ersten Ball hat Ihnen also Ihr Vater unter den Weihnachtsbaum gelegt?

Lahm: Wahrscheinlich. Mein Papa und meine Mama mussten jedenfalls oft mit mir runtergehen. Wir haben da so eine Einfahrt vor der Tür. Das hat die natürlich irgendwann genervt, in jeder freien Minute mit mir Fußball spielen zu müssen.

SZ: Die mussten? Manchmal ist es ja umgekehrt, von Tenniseltern kennt man Geschichten, dass sie ihre Kinder zum Sport quasi gezwungen haben.

Lahm: Nee, nee, meine Eltern waren's, die mussten! Und oft musste die Mama dran glauben, weil mein Vater bis halb acht gearbeitet hat. Dabei hatte sie gar nicht besonders gern Fußball gespielt.

SZ: Und eines Tages kam dann einer vom FC Bayern, Sie waren zehn Jahre alt und spielten in der...

Lahm: ... D-Jugend. Der kam und hat mich und meine Eltern gefragt, ob ich nicht zum FC Bayern kommen will. Meine Eltern haben zwar gesagt, dass das eine große Chance ist, aber die Entscheidung haben sie mir überlassen. Ich hab mir das dann ein paar Wochen durch den Kopf gehen lassen, der Jugendtrainer hat mich ins Olympiastadion eingeladen, um ein paar Spiele des FC Bayern anzuschauen - und nach dem ersten Probetraining war mir klar, dass ich da hin will.

SZ: Das bedeutete: Jeden Tag mit der U-Bahn nach Harlaching?

Lahm: Nein, nein, meine Mama und mein Papa haben mich immer gefahren, und Oma und Opa. Die waren sehr stolz, und die haben auch sehr großen Anteil daran, dass ich soweit gekommen bin.

SZ: Gab es denn in Ihrer Jugend Momente, in denen Sie meinten, dass Sie die Lust am Fußball verlieren?

Lahm: Nein. Klar, gab's Tage, an denen ich keine Lust auf zweimal Training hatte. Aber man macht's halt trotzdem - und es hat sich ja ausgezahlt.

SZ: Hatten Sie Vorbilder?

Lahm: Von der WM 1990 war es auf jeden Fall Pierre Littbarski, den ich sehr gern gesehen habe. Und später bei Bayern Mehmet Scholl, der auch nicht viel größer ist als ich und ein Superfußballer war - und ist. Die haben mich fasziniert: tolle Technik, ruhig am Ball und ab und zu ein Tor.

Um aber ehrlich zu sein, habe ich in meinem Zimmer früher mehr Bilder von Michael Jordan gehabt als von irgendjemand anders. Für mich ist Michael Jordan der größte Sportler der Welt, er hat in den entscheidenden Momenten immer das Entscheidende gemacht. Für seine Spiele mit den Chicago Bulls bin ich früher regelmäßig nachts aufgestanden.

SZ: Sie haben eben das Körperliche angesprochen. Uns wundert, dass Sie keinerlei Angst zeigen vor den Typen, die gegen Sie antreten: Beim Länderspieldebüt in Kroatien standen Ihnen ausschließlich Männer mit 1,90 und größer gegenüber.

Lahm: Ich bin ja mit der Größe aufgewachsen, und beim FC Bayern habe ich gelernt, damit umzugehen. Wir haben in der Jugend oft gegen die älteren Jahrgänge gespielt, und da lernt man, den Körper richtig einzusetzen, auch wenn man schmächtig ist. Wenn man ein paar Spiele in der Bundesliga und dann auch in der Champions League gemacht hat, schreckt einen gar nichts mehr.

SZ: Gibt's Situationen im Fußball, vor denen Sie Angst haben?

Lahm: Ich glaube, im Fußball darf man keine Angst haben, sonst ist man der Verlierer.

SZ: Aber Sie hatten doch bestimmt Angst, als Sie zum VfB und zu Felix Magath kamen, der den Ruf hat, ein erstklassiger Schinder zu sein?

Lahm: Ich hatte Hermann Gerland, da hatte ich auch schon gelernt, was Leiden und hundertprozentiger Einsatz für den Fußball bedeutet. Natürlich gibt es in der Vorbereitung Tage, da trainiert man, isst noch was und fällt ins Bett. Und manchmal muss man halt den Kopf ausschalten und einfach die Übungen machen. Aber ich glaube, in anderen Sportarten wird härter trainiert.

SZ: In einem Fragebogen haben Sie Jesus zur wichtigsten Person der Zeitgeschichte erhoben. Warum?

Lahm: Ich bin eigentlich nicht übermäßig gläubig. Aber Jesus gehört als Persönlichkeit einfach dazu.

© SZ v. 31.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: