"Petersburger Dialog":Mythen aus der Geschichte

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In diplomatischer Mission: DFB-Präsident Reinhard Grindel (rechts) tut etwas für das deutsch-russische Verhältnis. (Foto: Oleg Nikishin/Getty)

DFB-Präsident Grindel balanciert diplomatisch über heikle Themen von Russlands Sport und Gesellschaft.

Von Ronny Blaschke, Moskau

Im August 1955 verlor die deutsche Fußball-Auswahl in Moskau 2:3 gegen die Sowjetunion, 90 000 Zuschauer sahen eine Begegnung auf Augenhöhe; die antideutsche Stimmung in der sowjetischen Bevölkerung ging etwas zurück. Drei Wochen später reiste Bundeskanzler Konrad Adenauer nach Moskau und bereitete die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern vor; bald darauf wurden die letzten deutschen Kriegsgefangenen freigelassen.

Mit dem "erhobenen Zeigefinger" möchte der DFB-Chef nicht durch Russland laufen

Soft Power - diesen Begriff wählte der amerikanische Politologe Joseph Nye für eine Außenpolitik, die auf kulturellen Austausch setzt, nicht auf wirtschaftliche Argumente oder militärische Drohungen. Diesen Ansatz wählte auch DFB-Präsident Reinhard Grindel beim "Petersburger Dialog" am Samstag in Moskau, einem Forum, das seit 2001 die Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands pflegen soll. Grindel beschrieb zunächst Mythen aus der Geschichte wie jene von 1955. So lockerte er die Stimmung in einem Saal, in dem sich fünfzig russische und fünfzig deutsche Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zwar höflich gegenüber saßen, in dem Spannungen aber spürbar waren, angesichts von Sanktionen gegen Russland, der Ukraine-Krise, den unterschiedlichen Positionen im syrischen Bürgerkrieg, den jüngsten Verhaftungen russischer Demonstranten.

In einer zwanzigminütigen Rede balancierte Grindel über heikle Themen, er sprach über Fan-Gewalt, Doping und Diskriminierung, nannte Maßnahmen aus dem Präventionskatalog des DFB und ging auf Einschränkungen der Medien ein: "Es muss möglich sein, dass Journalisten über alle Themen berichten können, die ihnen wichtig erscheinen." Die Organisatoren des Confed Cups hatten festgelegt, dass ausländische Journalisten nur über Themen mit Turnierbezug berichten dürfen.

Bei Veranstaltungen wie diesen ist es kein Nachteil, dass an der DFB-Spitze ein ehemaliger Journalist und Bundestagsabgeordneter steht. Reinhard Grindel erwähnte einige Kontroversen, ohne allzu konkret zu werden. Mit dem "erhobenen Zeigefinger" möchte er nicht durch Russland laufen. Sowohl kritische Menschenrechtler aus Deutschland als auch regierungsnahe Vertreter Moskaus fanden seinen Ton angemessen. Im aktuellen deutsch-russischen Verhältnis gilt dieses Stimmungsbild als Erfolg, weil es die reale Außenpolitik zumindest nicht erschwert.

Das Goethe-Institut plant eine Ausstellung für russische Schulen, Schirmherr: Bundestrainer Löw

Der DFB ist sich bewusst, dass die Offensive einer westlichen Organisation die Zivilgesellschaft am Ort auch schwächen kann: Mehr als 150 russische Organisationen werden vom Kreml als "ausländische Agenten" dämonisiert, weil sie vom Ausland gefördert werden. Darunter sind bekannte Einrichtungen wie Lewada, Memorial oder das Sacharow-Zentrum. Ihre Themen: Menschenrechte und eine differenzierte Aufarbeitung des Stalinismus. Auch Mitarbeiter von deutschen Stiftungen und Kultureinrichtungen spüren den Druck der russischen Regierung, durch Razzien, Verhöre und bürokratische Hindernisse.

Die Zivilgesellschaft im russischen Sport entfaltet sich ohnehin nicht im Konferenzsaal eines Moskauer Luxushotels, sie muss Nischen suchen. Ein Beispiel: Der schwullesbische Sportverband Russlands zeigte vor kurzem einen Film über Homosexualität im Fußball, im Goethe-Institut in einem Moskauer Vorort, an einem Sonntagnachmittag, wenn dort keine Jugendlichen an Sprachkursen teilnehmen. Andernfalls hätte es Ärger geben können: Ein Gesetz verbietet die Erwähnung dieser "nicht-traditionelle Lebensweise" gegenüber Minderjährigen. Beim Visums-Antrag für den britischen Regisseur hatte ein Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft geholfen. Alle Gäste erhielten die Anfahrtsbeschreibung durch eine persönliche E-Mail.

Vor diesem Hintergrund war es ein Meilenstein, dass Thomas Hitzlsperger beim "Petersburger Dialog" Stellung bezog. Der ehemalige Nationalspieler hatte sich vor dreieinhalb Jahren als schwul geoutet. Als neuer DFB-Botschafter für Vielfalt folgte er der Verbandsstrategie und skizzierte in Moskau seinen persönlichen Lebensweg, ohne forsch als Ratgeber auftreten zu wollen. Interview-Anfragen von russischen Journalisten erhielt er nicht.

Reinhard Grindel wünscht sich vor der WM 2018 ein Spiel zwischen deutschen und russischen Junioren in Wolgograd, dem einstigen Stalingrad. Das Goethe-Institut entwickelt mit dem Fußballmuseum in Dortmund eine Ausstellung für russische Schulen, Schirmherr ist Bundestrainer Joachim Löw. Auch die hundert Partnerschaften zwischen deutschen und russischen Städten sollen Projekte entwickeln. Ende Juni findet dazu in Krasnodar eine Konferenz statt. Mit dabei: die Außenminister beider Länder und der DFB-Präsident.

© SZ vom 19.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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