Personalie:Alter Ego und kein Harry

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Bundestrainer Michael Skibbe hasst es, Rudi Völlers Assistent genannt zu werden.

Ludger Schulze

(SZ vom 29.6.02) - Jeden zweiten Tag setzen sie Michael Skibbe auf das Podium, damit er ausgiebig über Wohl und Wehe der Nationalmannschaft referiert. Da sitzt der Bundestrainer dann mit dem bemüht-bierernsten Gesichtsausdruck eines Nachrichtensprechers vor dem Mikrofon, der im nächsten Moment vor lauter Lachen herausplatzt, weil ihm kurz vor Beginn der Sendung der Beleuchter einen guten Blondinenwitz erzählt hat. Es ist dann aber doch nur so, dass drunten im Saal die Journalisten grinsen müssen, weil Skibbe in seinem Eifer so furchtbar komische Sachen sagt.

Die Verständigung zwischen Bundestrainer Michael Skibbe (l.) und Teamchef Rudi Völler funktioniert oft nonverbal. Der eine weiß ohnehin, was der andere denkt. (Foto: N/A)

Der Dietmar Hamann, erklärte er unlängst, leide unter einer "gewissen Knieproblematik". Hamann hatte sich das Knie verrenkt. Die Koreaner hingegen hatten in irgendeinem Spiel flott zum Angriff geblasen. Skibbe sagte: "Im Zuge der Verlängerung haben sie gut nach vorne gespielt." Und wenn er glaubt, das nächste Spiel werde aus taktischen Gründen nicht eben ein Brüller, dann drechselt er Wortgebilde wie dieses: "Es steht zu befürchten, dass auch dieses Spiel von Beginn an nicht auf dem allerhöchsten Niveau ausgetragen werden wird."

Gemeinsame Prinzipien

Michael Skibbe, 36, ist Bundestrainer des Deutschen Fußball-Bundes, und hasst es, Rudi Völlers Assistent genannt zu werden. Das ist ja auch grob unrichtig. Assistenten waren Helmut Schön unter Sepp Herberger, Jupp Derwall unter Helmut Schön, Erich Ribbeck unter Jupp Derwall oder Holger Osieck unter Franz Beckenbauer. Die Harrys, die schon mal den Wagen holten. Skibbes Vorgänger Ulli Stielike war auch kein Harry, sondern ein akribischer Taktiker, der die Geringschätzung gegenüber seinem Chef Erich Ribbeck nicht verbergen konnte.

Michael Skibbe und Rudi Völler, 42, aber handeln nach den Prinzipien von Loyalität, Arbeitsteilung und Kollegialität, Herz und Hand, die gemeinsam den höchsten Gipfel der Fußballwelt erklommen haben: das WM-Finale. "Das ist für jeden Sportler, für jeden Trainer wunderschön, herrlich", sagt Skibbe und lockert seine steinerne Miene dabei für einen Moment durch ein herzliches Lachen auf. Er sei glücklich, sagt er, "dass der Rudi und ich einen ganz erfolgreichen Weg eingeschlagen haben".

Akademische Wortkaskaden

Natürlich stellt sich die Frage, wer denn nun den Hauptverdienst am Erfolg der DFB-Elf trägt. Aber damit braucht man den Beiden nicht zu kommen, sie lassen sich nicht auseinander dividieren. Rudi Völler, 90-maliger Nationalspieler und Weltmeister von 1990, mutmaßen viele, sei für's Emotionale zuständig, Skibbe hingegen der Stratege, der aus dem Hintergrund die taktischen Strippen zieht. Ein Eindruck, erklärt Skibbe, "der krass täuscht. Damit würde man beiden nicht gerecht werden. Wir fiebern gleichermaßen mit, sind aber auch beide gleichermaßen konzentriert und kühl in der Analyse".

Vermutlich ist es aber doch so, dass der eine hat, was dem anderen fehlt. Als Rudi Völler im Herbst 2000 als neuer Teamchef ausgewürfelt wurde, hätte er sich bequem einen alten Kumpel wie Andreas Brehme an die Seite stellen können. Völler, der ja keinen Trainerschein und keine theoretische Ausbildung besitzt, aber hat diesen Skibbe ausgewählt, der für seine exzellente Nachwuchsarbeit gerühmt wurde. Der aber auch in seiner kurzen Zeit als Cheftrainer bei Borussia Dortmund mit seinen akademischen Wortkaskaden die Profis an den Rand der Verzweiflung trieb.

Gespür und analytische Arbeit

Völler hatte das richtige Gespür, Skibbe ist offensichtlich sein Alter Ego. Häufig läuft die Entscheidungsfindung nonverbal ab, ein Blick, und der andere weiß, welcher Spieler eingesetzt oder welche taktische Maßnahme nach der Pause ergriffen werden sollte.

Kein Wunder, sagt Skibbe, denn "wir sprechen vieles schon im Vorfeld ab. Zudem haben wir in den letzten zwei Jahren fast alle gängigen Spielsysteme ausprobiert". In den seltenen Fällen, in denen ein Meinungsunterschied besteht, wird so lange geredet, bis die bessere Lösung akzeptiert wird.

Meistens aufs Tor geballert

Aus DFB-Kreisen wird Skibbe gerühmt als blendender Organisator und stets zugänglicher, hilfsbereiter und liebenswerter Zeitgenosse. Skibbe, so heißt es, hielte den Laden zusammen, Völler sei zuständig für die überaus gute Stimmung. Es gibt aber auch Stimmen unter den Spielern, denen es schwer fällt, den Siegeszug der Mannschaft mit der täglichen Trainingsarbeit in Verbindung zu bringen.

"Wir haben kaum taktische Dinge geübt oder Standardsituationen. Meistens haben wir aufs Tor geballert, Drei gegen Eins gespielt oder Fußballtennis", sagt einer, der ungenannt bleiben will, weil er gerne bis 2006 international spielen möchte. Und das so genannte Geheimtraining unter Ausschluss der Medien sei nach ähnlichem Muster abgelaufen. Nun, wenn's denn eine Erfolg bringende Methode ist, soll es recht sein.

Michael Skibbe, der eine viel versprechende Bundesliga-Karriere bei Schalke04 mit 22 wegen einer Knieverletzung drangeben musste, zählt plötzlich zu den Größen der Trainergilde. Weil er mit Rudi Völler aus Ribbecks Ruinen-Team in knapp zwei Jahren eine geachtete, wenn auch noch nicht überall akzeptierte Mannschaft geformt hat. Darauf kann er stolz sein.

Erfolg mit eigenen Mitteln

"Das ist ja auch eine gewisse Art von Furcht, wenn andere sich immer wieder darüber auslassen, dass die Deutschen wieder erfolgreich spielen. Sie wissen, dass wir einen Schlüssel haben, der Erfolg verspricht. Mehr Erfolg als sie selbst, obwohl sie den Anspruch erheben, besser Fußball zu spielen."

Dann sagt Michael Skibbe, ohne dass ein Äh oder ein Öh seine Rede trübte, er wolle nun auch das Finale gewinnen, weil: "Jeder einzelne hat erkannt, wie wir zum Erfolg kommen können. Unsere große Qualität ist, den Erfolg erkennbar mit eigenen Mitteln anzustreben. Das hört sich ein bisschen doof und kompliziert an." Schon, aber wir haben verstanden.

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