Olympische Spiele:Nur schlechte Verlierer treten nach

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Selbst über Todsünden wird hinweggesehen: IOC, Bocog und DOSB gehen ganz entspannt mit ihren strengen Werberegeln um.

Thomas Kistner

Die Welt war tief beeindruckt von der Eröffnungsfeier, die Chinas Gesicht zeigen sollte. Das Gesicht war perfekt. Die strahlend schöne Sängerin, Fußstapfen auf Pekings Nachthimmel, die Kinder aus sämtlichen 56 Ethnien des Riesenlandes, und am Ende, atemraubend, lief ein Fackelträger übers Stadiondach und entzündete die Flamme. Tage später ist klar, dass China der Welt nur sein halbes Gesicht entblößt hat, die andere Hälfte sieht so aus: Die schöne Lerche hatte den Gesang einer anderen imitiert, die nicht so hübsch gewesen wäre, die Fußstapfen wurden ins Programm kopiert, die Kinder waren Han-Chinesen, die in Gewändern der Minderheiten steckten. Und der Fackelläufer hat, als ihm Milliarden weltweit zuschauten, nicht nur die Flamme entzündet, sondern einen Riesenhaufen Sponsormillionen verbrannt. Denn der Fackelläufer war Li Ning.

Werbung während Olympia, die sich direkt auf die Spiele bezieht, ist eigentlich verboten - zum Beispiel die Zeitungsanzeige einer Bank mit Nowtzki als Fahnenträger. (Foto: Foto: ddp)

Passenderweise hat auch Li Ning zwei Identitäten. Eine als Chinas erfolgreichster Olympionike, der 1984 in Los Angeles sechs Medaillen gewann, darunter drei goldene - die andere als Konzernchef von Li Ning Co., Chinas größtem Sportartikelkonzern. Den kennt man kaum im Westen, was sich ändern dürfte. Denn der Traumlauf des chinesischen Multimillionärs übers Stadiondach, an den Strippen einer wie üblich unsichtbar regieführenden Macht, hat sich unmittelbar an der Börse bemerkbar gemacht, der Aktienkurs der zuletzt angeknockten Firma schnellte über Tage in die Höhe.

Und Adidas war düpiert. Schließlich hat sich der zum Zuschauer degradierte Topsponsor sein gesamtes Olympia-Engagement knapp 200 Millionen Dollar kosten lassen. "Das war die ultimative Form des Guerrilla-Marketings", sagt Greg Paull von der Pekinger Marktforschungsfirma R3. Die Chuzpe, den Chef eines Sportunternehmens das Feuer entzünden zu lassen, werde "gewaltigen Einfluss auf seine Marke haben, zumal er diese unbedingt globaler ausrichten will - und dafür kriegst du keine bessere Bühne als die Eröffnungszeremonie der Spiele".

Eine triumphale Niederlage

In der Tat. In Peking, Hongkong und anderen Großstädten firmierte Li Ning eher in billigeren Ecken und Läden, die im Land weit begehrteren internationalen Topmarken Adidas, Nike und Puma halten die exquisiten Locations besetzt. Im heimischen Markt hat Li Ning die Spitzenposition vor vier, fünf Jahren verloren, die Marke ist nur Nummer drei hinter Adidas und Nike. Nun hat er dem Marktführer eine triumphale Niederlage versetzt - auf dessen eigenem, olympischen Geläuf. Das kreiert den höchsten Wert, den die Sportwerbung kennt: Siegerimage, in dem Fall sogar ein reales.

China lässt seine Wirtschaft nicht im Stich, die Lektion steckt auch für andere Konzernlenker im Coup mit der Flamme. Im Fachjargon nennt sich die dreiste Werbenummer für Li Ning "ambush marketing" - Trittbrettfahren. Und eigentlich ist das ja die größte der olympischen Todsünden. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) war vor der Show zwar informiert, dass es die Dachnummer gibt, nicht aber, wer das Feuer entzündet.

So selektiv verläuft die Kommunikation hier ständig, weshalb es das IOC in Peking aufgibt, etwas mitbestimmen zu wollen. Der letzte Kraftakt - Peking so unter Druck zu setzen, dass es die offenbar gezielt aus Angst vor Protesten halbleer gehaltenen Sportstätten nun mit der Stadtbevölkerung auffüllt - hat zu Betriebsstörungen geführt.

Die kann man so ummänteln wie der deutsche IOC-Vize Thomas Bach, der am Sonntag schwärmte, die Spiele funktionierten derart reibungslos, dass die tägliche Koordinierungssitzung des IOC mit der Veranstalterorganisation Bocog überflüssig und daher bis zum 23. August ausgesetzt sei. Vorsichtshalber verzichten IOC und Bocog auch seit Freitag auf ihre täglichen Pressekonferenzen, nachdem es bei diesen zwei Tage lang so harmonisch zugegangen war wie in einem Boxring.

Bei Topsponsor Adidas waren sie natürlich nicht amüsiert über den Trick des Rivalen, der ja auch schon um die Spiele-Rechte gebuhlt hatte. Im Deutschen Haus wird von bitteren Kommentaren berichtet, Asiens Medien feierten den Guerrilla-Coup ausgiebig, und hatte nicht Adidas-Chef Herbert Hainer einen Tag vor der Eröffnung gesagt, sein Konzern werde mit allen Mitteln gegen jeden Missbrauch vorgehen? Nun stellt die Firma flott auf Schmusekurs um.

"Wir sehen kein ambush marketing", sagte Sprecher Jan Runau in Peking zur SZ. Li Ning sei halt ein verdienter Olympionike und Volksheld - "er hat es verdient, was immer andere Sportartikler sagen mögen". Ob Adidas also vielleicht Li Ning zum tollkühnen Trapezakt gratuliert habe? "Wir sind glücklich mit unserem Auftritt in China." 2008 soll das Land Adidas' zweitgrößter Absatzmarkt werden, bis 2010 wolle man eine Milliarde Euro umsetzen. Zahlen und Ziele, die erklären, warum der Konzern jetzt lieber auf die Zähne beißt. Ein öffentliches Duell mit Li Ning könnte desaströse Imageschäden haben. Schlechte Verlierer treten nach.

Lilane Sponsorfarbe

Im Schatten der Trittbrett-Nummer hat auch der DOSB ein paar Probleme beigelegt. Da war die Zeitungsanzeige, die Dirk Nowitzki nach der Eröffnungsfeier mit Deutschlandflagge zeigt, von einer Bank, welche den Basketballheld sponsert. Werbung während Olympia, die sich direkt auf die Spiele bezieht, ist verboten. Aber einen NBA-Star bestraft man nicht so leicht wie eine Turnerin aus Vietnam. Also "haben wir mit der Bank und dem Basketball-Bund gesprochen", sagt DOSB-Sprecher Gerd Graus, "sie sollen das unterlassen, weil sie den Sportler stark gefährden". Bank und Bund hat das eingeleuchtet.

Anders liegt das im Fall der Anzeige eines Geldinstituts, das dem DOSB als Olympia-Sponsor verbunden ist und auch dessen Führung nahe steht: Sie hatte mit Britta Steffen samt Goldmedaille geworben. Die Werbefrage aber stelle sich hier gar nicht, erläutert Graus: "Nationalen Förderern ist erlaubt, Glückwunschanzeigen zu schalten, wenn kein Produkthinweis drin ist." Da ist natürlich praktisch, wenn der Produkthinweis schon im Banknamen enthalten ist. Richtig knifflig war die Nummer mit dem Achter-Ruderboot, dessen Rumpf dummerweise in der Sponsorfarbe Lila lackiert war: Da, erinnert sich Graus vage, habe es "einen Anruf gegeben". Von wem, war nicht zu eruieren. Das Problem habe sich zum Glück in Luft aufgelöst, "weil der Achter gleich ausgeschieden ist".

Schön, wie entspannt die Verbände in Peking mit ihren strengen Regeln umgehen. Vor den Spielen hatten die Athleten dem DOSB sogar erklären müssen, keine Internet-Tagebücher zu publizieren, fremde Logos zu tragen oder andere Verstöße gegen die Ausrüster-Kleiderordnung zu begehen. Vertragsstrafe: 25000 Euro. Auch beim IOC hat man von Werbeverstößen rein gar nichts mitgekriegt. Die tolle Nummer von Li Ning? "War hier gar kein Thema", sagte eine Sprecherin der SZ. Nur in der Zeitung habe sie was Interessantes gelesen: "Es soll für Li Nings Aktienkurs ja nicht das Schlechteste gewesen sein."

© SZ vom 18.08.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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