Olympische Spiele:Achter aufgelöst

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Der Ruderverband besetzt sein Paradeboot wegen Erfolglosigkeit zwei Monate vor den Olympischen Spielen radikal um. Den Cheftrainer demontiert der Verband gleich mit.

Christian Zaschke

Die Männer aus dem deutschen Achter hatten gewusst, dass etwas passieren würde, aber als es dann passierte, waren sie fassungslos. In einer im Leistungssport äußerst ungewöhnlichen Maßnahme hat der Deutsche Ruderverband (DRV) den Achter am Mittwoch praktisch aufgelöst. Von der Besatzung, die 2006 Weltmeister geworden ist, bleibt niemand im Boot.

Deutschlands Ruderer sind enttäuscht: "Wir konnten nicht ein Mal zeigen, was wir drauf haben". (Foto: Foto: dpa)

Schlagmann Bernd Heidicker, Sebastian Schulte, Philipp Stüer, Stephan Koltzk, Jörg Dießner und Thorsten Engelmann gehören ab sofort nicht mehr zum Aufgebot. Jan Tebrügge und Ulf Siemes waren schon früher in der Saison nicht mehr berücksichtigt worden. Vom Achter dieser Saison bleiben lediglich die nach 2006 zum Kader gestoßenen Jochen Urban und Sebastian Schmidt dabei. Nun soll ein neuer Achter formiert werden aus zehn Ruderern, die zuletzt im Vierer und im Zweier gerudert sind - das allerdings ohne einen nennenswerten Erfolg in dieser Saison.

Letzte Chance verpasst

Letzter Auslöser war der fünfte Platz des Achters vom vergangenen Wochenende bei der Rotsee-Regatta in Luzern. "Das war die letzte Chance für diese Besatzung. Jetzt komme auch ich als Schlagmann in Bedrängnis. Ich habe kein Szenario, wie es weitergeht", hatte Schlagmann Bernd Heidicker nach der Regatta gesagt. Er hatte allerdings wohl eher nicht damit gerechnet, dass die Bedrängnis so aussieht, dass er aus dem Boot fliegt.

Im Zuge dieser radikalen Umbesetzung hat der DRV auch den Cheftrainer Dieter Grahn demontiert. Dieser bleibe verantwortlich für das Riemenrudern der Männer, er werde jedoch "entlastet", teilte der Verband mit. Diese Entlastung bedeutet, dass der Achter von Christian Viedt, Assistenztrainer am Bundesstützpunkt in Dortmund, auf die Olympischen Spiele vorbereitet wird.

"Wir haben uns diese Entscheidung sehr schwer gemacht. Aber nach dem bisherigen Saisonverlauf hatten wir keine andere Wahl", sagte DRV-Sportdirektor Michael Müller am Mittwoch. Nach Willen des Verbandes sollen Philipp Stüer und Thorsten Engelmann dem neuen Achter als Ersatzleute zur Verfügung stehen, es ist jedoch zu hören, dass sie darauf wenig bis gar keine Lust haben.

"Entsetzt über die Konzeptionslosigkeit des DRV"

Sebastian Schulte erklärte seinen Rücktritt als Kadersprecher des Riemen- bereichs der Männer. "Wir sind entsetzt über die Konzeptionslosigkeit des DRV", sagte er. Er forderte zudem den Rücktritt von Sportdirektor Müller. "Wir gehen jetzt in Ferien", sagte Bernd Heidicker, "das war es für uns alle mit dem Rudern." Der radikale Schnitt hat die Crew hart getroffen.

Der Achter ist 2006 in Eton Weltmeister geworden, er hatte sich in jenem Jahr gefunden. Auf den Punkt genau war die Mannschaft in der Lage, ihre maximale Leistung zu zeigen. So gut wie die Crew von 2006 ist in diesem Jahrtausend noch kein deutscher Achter gerudert - im Finale flog das Boot zu Gold, es war eine Demonstration und ein Fest dieses Sports. Bundestrainer Grahn sagte damals zur Besetzung des Boots: "Man muss eben auch mal nach Gefühl entscheiden."

Je näher es auf die Olympischen Spiele zugeht, desto schwieriger wird es jedoch für einen Bundestrainer, nach Gefühl zu entscheiden, weil bei der Besetzung des Achters fast jeder im Verband mitreden möchte. Auslöser der jetzigen Misere sind die schlechten Zweiertests der 2006er-Crew bei den Kleinbootmeisterschaften im Frühjahr. Schnell im Zweier zu sein, heißt aber nicht, schnell im Achter zu sein. Das Großboot muss mit Gefühl besetzt werden.

Keine Chance sich zu beweisen

Durch die schlechten Ergebnisse der Crew in den Zweiern geriet Grahn jedoch innerhalb des Verbandes unter Druck. Er begann umzubesetzen. "Wir sind nicht ein Mal in der 2006er-Besetzung gefahren", sagt Heidicker, "wir konnten nicht ein Mal zeigen, was wir drauf haben." Der Verband ist der Ansicht, dass die Ruderer trotz der verschiedenen Besetzungen sehr wohl Gelegenheit hatten, sich zu beweisen.

"Wir haben nichts dagegen, dass es das neue Boot gibt und dass es die Nummer eins ist", sagt Heidicker, "vielleicht sind die Jungs schneller. Aber wir würden gern die Gelegenheit haben, einmal mit der 2006er-Crew gegen sie anzutreten. Wenn wir nicht oder nur hauchdünn gewinnen, kein Problem: Dann gratulieren wir."

Diese Chance will der DRV den Ruderern laut Sportdirektor Müller jedoch nicht geben, was bedeuten würde, dass die neue Crew sicher zu den Spielen fährt. "Ich bin sicher, dass wir eine sehr gute Wahl getroffen haben", sagte Müller, "wir wollten einen unbelasteten Neuanfang mit den unbestritten stärksten Leuten." Es sind die Stärksten aus den Zweiern.

© SZ vom 05.06.2008/pes - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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