Olympische Baustellen:In allerletzter Minute

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Hämmern, bohren und sägen: Die im Hauruck-Verfahren fertiggestellten Olympiastätten gelten vielen als die besten der Geschichte. So schön die neuen Anlagen auch sind, einen Verlierer gibt es dabei trotzdem.

Von Josef Kelnberger

Wer sein Zimmer im Olympischen Mediendorf erstmals betritt, wird den Eindruck nicht los, dass der letzte Arbeiter gerade eben durch das Fenster entschwunden ist. Es riecht nach frischer Farbe. Die Fernbedienung des Fernsehers darf der Gast selbst zusammenbauen, das Kabel des Nachttischlämpchens ist noch aufgerollt, der Warmwasserboiler noch nicht aktiviert. Man muss selbst noch ein wenig Hand anlegen, aber ansonsten ist alles fertig, fast, es funktioniert alles, meistens, im kleinen und, so scheint es, auch im großen Maßstab, drei Tage vor Eröffnung der Olympischen Spiele in Athen.

"Wir werden Erfolg haben", hatte Griechenlands Präsident Stephanopoulos vor drei Jahren prophezeit, "aber wir werden es auf die griechische Art und Weise machen: in allerletzter Minute." So haben sie es offenbar wirklich hingekriegt - zu welchem Preis und welchen Kosten, wird die Regierung ihren Bürgern hinterher erklären müssen. Jetzt sind sie erst einmal stolz.

Die neuen Straßen sind eröffnet, die Züge, U-Bahnen und Straßenbahnen in Betrieb, der olympische Verkehr läuft, zumeist sogar pünktlich, auf den ihm zugewiesenen Fahrspuren, die Stadien sind gerade dabei, fertig zu werden. "Die Sportstätten sind bereit, wir sind bereit", sagte am Sonntag Gianna Angelopoulos-Daskalaki, die Präsidentin des Organisationskomitees Athoc, "Athen trägt stolz die olympischen Farben".

Bürgermeisterin Dora Bakoyannis erklärte, Athen habe nun eine Pause verdient - ein frommer Wunsch, wo es doch gerade erst losgeht. Aber hinter der Stadt liegt ein gewaltiger Kraftakt. Spuren davon sind überall noch zu sehen.

Auf der Straße von Marathon hinein nach Athen, von zwei auf vier Spuren erweitert, scheint der Teer noch zu glühen. Das Projekt, das vor sieben Jahren in Angriff genommen wurde, wurde vor drei Wochen vollendet. Bürgersteige sind noch nicht vorhanden, Böschungsmauern nur vereinzelt gebaut. Aber, immerhin, mit einer blauen Linie ist die Strecke des Marathonlaufes markiert.

Wer sich dem zentralen Olympischen Areal von Athen, OAKA, im nördlichen Stadtteil Maroussi nähern will, kann sich schon von weitem am architektonischen Wahrzeichen dieser Spiele orientieren, den majestätischen Bögen, die Architekt Santiago Calatrava über das alte Stadion hat spannen lassen. Sie tragen erst seit ein paar Wochen das gewaltige Dach aus Stahl und Glas. Majestätisch funkeln die Bögen in der Sonne, als stünden sie seit Anbeginn der Zeiten. Aber in ihrem Schatten finden sich überall Indizien einer, zumindest nach mitteleuropäischen Maßstäben, wahnwitzigen Terminplanung.

Staub, überall im Zentrum dieser Spiele wirbelt der Wind Staub auf. Die Sitzschalen von Olympiastadion, Velodrom, Schwimm- und Tennisstadion sind von dem rotbraunen Staub bedeckt, der seinen Weg auch unter die luftigen Dächer findet. Mit Baustellenstaub an den Schuhen werden die Zuschauer von diesen Spielen heimkehren.

Es war offenbar keine Zeit mehr, die imposante Anlage mit Grün zwischen den Gehwegen zu zieren. Ein paar kümmerliche Bäume sind offenbar gestern erst vor dem Olympiastadion eingesetzt worden. Sie stehen für ein Manko dieser Hauruck-Spiele. Von den versprochenen 800 000 Bäumen wurde nur ein Bruchteil gepflanzt. "Es überwiegt der Beton. Die Umwelt ist der große Verlierer bei Olympia", schreibt die griechische Zeitung Ta Nea.

Auf dem OAKA-Komplex wirkt es, als seien Bulldozer und Planierraupen gerade eben abgezogen, um den Putzkolonnen Platz zu machen. Man glaubt, ihre Motoren noch zu hören, aber der Lärm stammt vom letzten Hämmern, Bohren und Sägen auf der ganzen Anlage. Im Olympiastadion übertönt den Lärm klassische Musik, die sich aus monströsen Lautsprechern ergießt. Im Schwimmstadion reinigen Arbeiter einer deutschen Firma die gigantische Anzeigetafel, auf einer verwegenen Staffelei-Konstruktion balancierend.

Lob von den Athleten

Auf der Tafel laufen probeweise schon Ratschläge für die bis zu 11 000 Zuschauer, die von Samstag an die Schwimm-Entscheidungen verfolgen werden: Hut auf den Kopf, Sonnencreme auftragen, viel Flüssigkeit zu sich nehmen. "Schützen Sie sich gegen die Sonne." Diese Aufgabe sollte den ursprünglichen Plänen zufolge ein Dach erfüllen, es fiel der Zeitnot zum Opfer. Nun öffnet sich die Arena willig der brütenden Sonne.

Von den Athleten ist bislang nur Lob für die Sportstätten zu hören, zum Beispiel von den deutschen Turnern, die gestern in der knapp 20 000 Zuschauer fassenden OAKA-Mehrzweckhalle übten. Die ganze Anlage sei "einfach riesig", findet der Hallenser Matthias Fahrig. Auch von den Funktionären aus aller Welt werden die Griechen nun überschüttet mit Lob für ihre Improvisationskunst, vergessen sind scheinbar die Mahnungen und Drohungen des IOC.

Ein Athoc-Sprecher tönt im Überschwang, in Athen stünden die "besten Sportstätten der Welt". Die Basis für die Spiele ist immerhin gelegt. Aber, ganz abgesehen von Sicherheitsfragen, wird man bis zum Ende in drei Wochen den Atem anhalten und hoffen: dass der Strom nicht ausfällt, dass sich nirgends Risse öffnen und keine Fassaden einstürzen.

© Süddeutsche Zeitung vom 10.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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