Olympia-Programm:Seele oder Spiele

Lesezeit: 3 min

Sich neue Spots suchen, spontane Tricks ausprobieren - nicht an Leistung denken: Würde Olympia den Geist des Skateboardens verändern? (Foto: Mario Tama/AFP)

Skateboarden könnte 2020 olympisch werden. Die Weltverbände wären dafür, die Szene aber reagiert skeptisch.

Von Thomas Hahn, Berlin

Von der Brücke, die über das Meer aus Schienen führt, geht der Blick aufs alte Werksgelände an der Warschauer Straße. Die Reichsbahn hat dort früher ihre Züge reparieren lassen. Heute ist das alte Eisenbahner-Quarée in Berlin-Friedrichshain ein urbanes Biotop, in dem seltene Graffiti an den Mauern wachsen und nachts Bands wie die Konichiwa Bitches ihre Lieder spielen. Der Charme des Vernachlässigten liegt über den Gebäuden. Sie tragen die Schrammen eines bewegten Lebens, trotzdem wirken sie solide. Und wenn man genau hinschaut, findet man hier, zwischen Nachtclub Cassiopeia, Biergarten und Freiluftkino, noch einen ganz besonderen Sportplatz, der irgendwann vielleicht sogar das Siegel eines Olympiastützpunkts tragen könnte: die privat betriebene Berliner Skateboard-Halle nämlich, eine der größten ihrer Art in Europa.

Die Szene der Skateboarder diskutiert wieder mal in einer Mischung aus Horror und interessierter Erwartung die olympischen Aussichten ihres Sports. Sie tut das nicht zum ersten Mal, aber diesmal ist es besonders ernst, was viel mit dem etwas widersprüchlichen Veränderungswillen des Internationalen Olympischen Komitees zu tun hat. Mit seiner Agenda 2020 will des IOC angeblich den Gigantismus bekämpfen. Trotzdem will es Spiele-Ausrichtern künftig erlauben, zum durchaus gigantischen Olympia-Programm zusätzliche Sportarten hinzuzufügen. Das Organisationskomitee (OK) von Tokio 2020 hat von dieser Möglichkeit sofort Gebrauch gemacht: Softball/Baseball, Klettern, Karate, Wellenreiten und eben Skateboarden hat es auf eine Vorschlagsliste gesetzt. Auf Anfrage bestätigt das IOC: "Der Vorschlag des OK gilt außerhalb des aktuellen Rahmens mit fast 310 Entscheidungen und 10 500 Athleten."

Skateboarden ist urbanes Leben und populärer als Kanuslalom oder Moderner Fünfkampf

Bei den Spielen in Rio 2016 will das IOC entscheiden, was genau auf den Spieleplan kommt. Aber IOC-Präsident Thomas Bach hat die Vorschläge längst gelobt, weil sie den "innovativen Ansatz der Olympischen Agenda 2020 mit einem besonderen Reiz für die Jugend" spiegelten. Und weil Skateboarden auch schon einen Platz bei Jugend-Olympia in Nanjing 2014 hatte, ist es sehr gut möglich, dass dieser Subkultur-Sport 2020 tatsächlich im streng reglementierten Ringe-Zirkus stattfindet.

Das ist toll. Ist das toll? Die Skateboard-Szene weiß nicht so recht. Folgerichtig wäre es schon, wenn Skateboarden olympisch würde. Die Kunst, ein Brett auf Rollen zu beherrschen, ist eine der anspruchsvollsten Übungen überhaupt. Skateboarden atmet den Zeitgeist des urbanen Lebens, es ist weltweit populärer als herkömmliche Olympia-Sportarten wie Kanuslalom und Moderner Fünfkampf.

Und das Image der Skateboarder als gesetzlose Asphalt-Rowdies ist auch nicht mehr das, was es mal war. Die Könner von einst legen teilweise ziemlich bodenständige Programme auf: Der frühere Weltmeister Tobi Albertross zum Beispiel bietet in seiner Skateboard-Schule Kurse für Kinder an und ist beteiligt an einem großen Gesundheitsprojekt. Lokale Lobbyisten erhoffen sich mehr Förderung für ihren Sport. Längst haben Sportartikel-Giganten die Skater-Zielgruppe für sich entdeckt und mischen mit auf dem Markt der kreativen Straßensportmode. Auch die ursprüngliche Skateboard-Industrie hätte wohl nichts gegen den Werbe-Effekt der Spiele. Trotzdem gibt es einen Haken.

Die Seele das Skateboardens ist immer noch da, und die hat sehr wenig mit Nationalteams, Qualifikationen, Medaillenzielen zu tun. In einer Umfrage hat der deutsche Profi Vladik Scholz zum Beispiel gesagt, dass er zwar die Vorzüge durch Olympia für die Industrie "sehr gut" fände. "Da aber der wahre Sinn des Skateboardings - mit Freunden spaßige Sessions fahren, Spots suchen und dabei spontane Tricks machen - sich dadurch womöglich verlagern könnte und sich alles um die Leistung drehen würde, finde ich es schade." Außerdem: "Wer bestimmt das eigentlich, wer zu Olympia kommt?", fragt Daniel Kalthoff, Sprecher der Berliner Skatehalle.

Gute Frage. Es gibt gleich drei potenzielle IOC-Partner, die die Olympia-Qualifikation organisieren könnten: Die freien Weltverbände ISF und WSF sowie den Rollsport-Weltverband Firs, in dem Skateboarden eine Sparte neben Disziplinen wie Rollhockey und Rollkunstlauf ist. Jeder scheint zu glauben, er sei am besten geeignet für den Job. Das IOC sei mit allen im Gespräch, sagt IOC-Vizepräsident John Coates im Online-Dienst insidethegames und erwartet, "dass in naher Zukunft einer der Verbände als derjenige identifiziert wird, mit dem wir arbeiten wollen". Das klingt nach lebhaften Grabenkämpfen.

Möglicherweise hat die ISF die besten Karten. Die hat immerhin schon die Skateboard-Auftritte bei Jugend-Olympia orchestriert, das Wettkampfformat Street League reif fürs Publikumsfernsehen gemacht und in Tony Hawk (USA) das weltweit bekannteste Szene-Idol als Fürsprecher. Aber das ist Spekulation. "Es ist bislang eine Blackbox", sagt Daniel Kalthoff.

Kann schon sein, dass eines Tages ein Olympiasieger aus der Berliner Skateboard-Halle hervorgeht. "Irgendwie wär's schön", sagt Daniel Kalthoff. Andererseits ist es irgendwie auch egal. "Es ist nicht unser Hauptziel." Außerdem müssen ja erst mal ein paar entfernte Funktionäre eine Entscheidung fällen über den Sport, von dem sie gehört haben, dass er cool sei.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: