NBA-Finalserie:Trotz Curry

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Wer holt sich den NBA-Titel: Die Cavs um Superstar LeBron James (r.) oder die Warriors um MVP Stephen Curry? (Foto: Ezra Shaw/AFP)

Coach Steve Kerr verordnet den Warriors die Rückkehr zum Team-Basketball. Der Star des Teams fällt plötzlich kaum auf.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Zu den wenigen Schönheitsfehlern im ansonsten prächtigen Lebenslauf des kalifornischen Korbjägers Stephen Curry zählt der Umstand, dass dem Aufbauspieler der Golden State Warriors nach dem Gewinn der nordamerikanischen Basketballmeisterschaft im vergangenen Jahr die Auszeichnung als "Finals MVP" verwehrt blieb. Die Ehrung als wertvollster Spieler der Endspielserie wird oft mehr oder weniger automatisch dem Top-Star der siegreichen Mannschaft zuteil - Curry wäre somit die logische Wahl gewesen. Stattdessen staubte sein Mannschaftskamerad Andre Iguodala die Trophäe ab, ein Ersatzspieler.

Verantwortlich für diese Demütigung war ein kleiner, bärtiger Terrier namens Matthew Dellavedova, der sich im ersten Finalspiel der Warriors gegen die Cleveland Cavaliers in die Wade seines Gegenübers verbissen und bis zum Ende des sechsten Spiels nicht mehr losgelassen hatte. Fast nie kam Curry dazu, sein gefürchtetes Spiel aus schnellen Dribblings, dramatischen Pässen und tollkühnen Würfen aufzuziehen, stattdessen verbrachte der vermeintlich Unverzichtbare immer längere Spielabschnitte auf der Bank. Zwar schlugen die Warriors die Cavaliers um Liga-Superstar LeBron James am Ende mit 4:2 Spielen, aber weniger wegen als vielmehr trotz Currys Leistung.

In der Nacht zu Freitag nun trafen sich beide Mannschaften erstmals zur Neuauflage der Vorjahres-Finalserie, und die gute Nachricht für Stephen Curry lautete zunächst, dass der australische Terrier Dellavedova auf der Cavaliers-Bank Platz nehmen musste. Stattdessen standen Kyrie Irving und auch Kevin Love auf dem Feld, jene beiden Co-Stars, die vor zwölf Monaten verletzt ausgefallen waren und deren Unterstützung James insbesondere im Angriff so schmerzlich vermisst hatte. Die Frage war nun: Läuft Curry ohne Klotz am Bein zur großen Form auf? Oder verweisen die Cavaliers in Bestbesetzung die Warriors diesmal in die Schranken?

Nur elf Zählern standen fünf Ballverluste gegenüber

Die ebenso erstaunliche wie identische Antwort auf beide Fragen lautet: weder noch. Curry, der in normalen Ligaspielen gern 30, 40 Punkte wirft und seine Mannschaft im Playoff-Halbfinale gegen die Oklahoma City Thunder gemeinsam mit Team-Kollege Klay Thompson noch im Alleingang ins Endspiel gebracht hatte, war mit elf Zählern gerade einmal der fünftbeste Akteur seines Teams. Er leistete sich zudem fünf Ballverluste. Und dennoch gewannen die Warriors am Ende souverän mit 104:89, weil sie die bescheidene Leistung ihres Top-Stars durch mannschaftliche Geschlossenheit wettmachten - gleich sieben Spieler punkteten zweistellig. Bei Cleveland nahmen hingegen praktisch nur James, Irving und Love am Wettkampf teil.

Spiel zwei findet an diesem Sonntagabend erneut in Oakland statt, bevor die Karawane für die nächsten beiden Matches nach Cleveland weiter zieht. Will Cavaliers-Coach Tyronn Lue nicht mit einem 0:2-Rückstand nach Hause zurückkehren und damit gleich mächtig unter Druck geraten, wird er seine Strategie gehörig überarbeiten müssen. Champion ist, wer zuerst vier Matches gewonnen hat.

Dass Golden State die Nase nun erst einmal vorn hat - zahlenmäßig wie psychologisch -, lag vor allem daran, dass Lue und sein Gegenüber Steve Kerr aus der dramatisch engen Halbfinalserie der Warriors gegen die Thunder erstaunlich unterschiedliche Schlüsse gezogen hatten. Der Erfolg von Golden State beruht für gewöhnlich darauf, dass alle sieben, acht Stammspieler passen, werfen und Abpraller einsammeln können, der Ball ist permanent unterwegs, bevor der am besten platzierte Akteur abschließt. Oklahoma City hatte diese Ballstafetten durch eine aggressive Verteidigung weitgehend unterbunden und die Warriors so dazu gebracht, es mit Einzelaktionen zu versuchen. Hätten Curry und Thompson, die beiden besten Distanzschützen ihrer Mannschaft, in den entscheidenden Situationen nicht so viel Wurfglück gehabt, wäre die Strategie tatsächlich aufgegangen.

Radikale Rückkehr zum Team-Basketball

Warriors-Coach Kerr verordnete seiner Truppe deshalb für das erste Finalspiel eine radikale Rückkehr zum Team-Basketball, während Cavaliers-Kollege Lue offensichtlich die Devise an seine Spieler ausgegeben hatte, sich vor allem auf Curry zu stürzen. Oftmals sah sich dieser gleich zwei Gegnern gegenüber - was zwangsläufig zur Folge hatte, dass stets einer seiner Mitspieler ungedeckt war: Shaun Livingston stellte so mit 20 Punkten einen persönlichen Playoff-Rekord auf, Draymond Green kam auf 16, Harrison Barnes auf 13 Zähler. Nur einmal, Mitte des dritten Viertels, geriet Golden State ins Schlingern, fing sich dann aber wieder. "Da haben wir unsere Intensität verloren und gespielt, als wäre November", analysierte Coach Kerr noch während der Partie. "Ich habe die Jungs dann dran erinnert, dass Juni ist."

Der Schlüssel zum Erfolg aber war nicht die ordentlich Vorstellung in der Offensive, sondern die aggressive Verteidigung, mit der die flinken Warriors die Muskelmaschine James nebst Kollegen überraschten. Nur 22 Punkte pro Viertel ließ Golden State gegen Cleveland zu, gegen Oklahoma City waren es im Schnitt noch mehr als 27 gewesen.

Vor allem Iguodala machte mit einer grandiosen Defensivleistung klar, dass er durchaus Lust hätte, seinen Vorjahrestriumph bei der Wahl zum "Finals MVP" zu wiederholen. Auch Curry - das wird bei schlechten Wurfleistungen des besten Spielers der regulären Saison gerne vergessen - glänzte in der Verteidigung. Sein Alptraum Dellavedova spielte übrigens ab dem zweiten Viertel auch mit. Er fiel jedoch nur einmal auf - als er Iguodala im dritten Viertel scheinbar absichtlich ins Gemächt schlug. Mehr als einen furchterregend bösen Blick des Geschädigten jedoch brachte ihm seine Zähnefletscherei diesmal nicht ein.

© SZ vom 05.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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