Nationalteam-Debüt:Doppelt & dreifach

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Serge Gnabry steht stellvertretend für den Plan, mit dem Joachim Löw die WM 2018 in Russland ansteuert: Ein zielsicher forcierter Konkurrenzkampf soll das Niveau im Kader weiter anheben.

Von Christof Kneer

Am späteren Sonntag kam keine Pressemeldung mehr vom DFB, man kann also davon ausgehen, dass der Abend ohne Folgeschäden geblieben ist. Am früheren Sonntag hatte der DFB nämlich ein paar Bilder ins Netz gestellt, die Nationalspieler in bedenklichen Posen zeigten. Man sah Mats Hummels, wie er Benedikt Höwedes, möglicherweise spaßhaft, würgte, und weiter wurde erwähnt, dass bei einem Teamabend im Mannschaftquartier unter anderem die aus Film, Funk und Fernsehen nicht bekannte Mannequin Challenge zur Aufführung gekommen sei - ein Hit im Internet, bei dem, wie die seriöse dpa übermittelte, "alle plötzlich zu Eis erstarrt verharren mussten".

Krass, bei der Nationalmannschaft geht's ja voll lustig zu: Das dürften sich Serge Gnabry, Benjamin Henrichs, und Yannick Gerhardt gedacht haben, die zum ersten Mal beim A-Team dabei waren. Vielleicht haben ihnen dann aber ältere Herren wie Mario Götze, 24, oder wirklich alte Herrn wie Thomas Müller, 27, erklärt, dass das nicht jedes Mal so ist, wenn man in diesem Rahmen zusammenkomme. Manchmal werde schon auch trainiert.

Man muss sich das zurzeit immer noch mal in Erinnerung rufen: dass dieser Bundestrainer ein Jahrzehnt lang ein Lieblingswort hatte, das "Dränning" hieß (schwarzwälderisch für: Training). Joachim Löw machte Dränning, wann immer es ging, und manchmal hat er sich auch leise darüber beklagt, dass er seine Auswahlspieler so selten zum Dränning um sich hatte.

Am Freitagabend spielte die Nationalmannschaft in San Marino, dort siegte sie um kein Tor zu hoch 8:0; am Dienstag spielt sie in Mailand gegen Italien. Vor nicht allzu langer Zeit hätte Löw noch einen Planungsstab mit umfassenden Recherchen beauftragt, es wäre darum gegangen, eine Reiseroute anzukundschaften, die an den drei kostbaren Zwischentagen bestmögliches Dränning ermöglicht. In Rimini bleiben? Gleich nach Mailand fliegen? Jetzt ist der DFB-Tross für zwei Tage nach Rom gereist, wo keinerlei Fußballspiel stattfindet. Stattdessen: Stadtrundfahrt, Papst-Audienz und, mutmaßlich als Höhepunkt, die Mannequin Challenge.

Im gesetzten Dienstalter hat Joachim Löw tatsächlich noch mal seinen Stil geändert. Er würde sich aber sehr dagegen wehren, würde man ihm Altersmilde oder gar Bequemlichkeit unterstellen, er sieht das so, dass er einfach die Prioritäten verändert hat. Er genehmigt seinen Spieler jetzt mal einen freien Tag mehr - als Gegenleistung fordert er an den verbliebenen Dienst-Tagen aber größtmögliche Konzentration und Schärfe, selbst in der 80. Minute gegen San Marino; anders eben als in der Qualifikations-Kampagne zur EM 2016, als die DFB-Elf ein paar Punkte verschluderte.

Löw weiß, dass er zurzeit mehr denn je über ein Argument verfügt, mit dem er die Spieler vom neuen Plan überzeugen kann. Man wolle "auf allen Positionen eine neue Konkurrenzsituation" schaffen, so nennt das Löws Assistent Thomas Schneider. Gemeint sind damit weniger die Positionen, auf denen Neuer, Boateng, Hummels, Khedira, Kroos, Özil oder Müller spielen. Natürlich gehe es auch hier darum, "den Kader perspektivisch breiter aufzustellen", sagt Schneider, natürlich sollen ter Stegen/Leno, Tah/Süle oder Weigl/Goretzka irgendwann als Nachfolger für Tor, Abwehr oder Mittelfeld bereitstehen. Aber in der Gegenwart steht vor allem Serge Gnabry stellvertretend fürs Löws Ansatz: Auf jenen Positionen, die nicht mit konstanter Weltklasse besetzt sind, soll ein freundlich moderierter, aber für alle klar erkennbarer Konkurrenzdruck das Niveau weiter anheben.

Wer zum Beispiel links vorne spielt im 4-2-3-1-System? Das könnte sehr gerne Julian Draxler sein, auch Marco Reus ist herzlich willkommen, André Schürrle hat Verdienste, für Mario Götze muss man sich nicht schämen, Julian Brandt ist ein Guter, warum nicht Leroy Sané, und bitte nicht Karim Bellarabi vergessen: Ja, und jetzt gibt's da eben auch noch diesen Gnabry, der am Freitagabend den Blinker setzte und die linke Spur hinuntersauste, als wolle er alle Konkurrenten auf einmal überholen. Drei Tore hat er auch noch geschossen, gegen San Marino, zugegeben, aber sie waren von einer technischen Qualität, dass man als Bellarabi, als Schürrle, vielleicht sogar als Draxler kurz ins Grübeln kommen darf.

Hinter seiner geschlossenen Gesellschaft hat Löw seinen Kader nun weit geöffnet, zumal er nach den Rücktritten von Schweini & Poldi auf alte Loyalitäten keine Rücksicht mehr nehmen muss. So folgen auch die Nominierungen der Neulinge Henrichs und Gerhardt exakt dieser Idee: Sie sind als Herausforderer für die gut, aber nicht herausragend besetzten Außenverteidiger-Positionen (Kimmich/Hector) gedacht, auch der Berliner Mitchell Weiser wird im Sinne einer Doppelt-und-Dreifach-Besetzung weiter interessiert verfolgt.

Im Idealfall entdeckt Löw auf diese Weise ein paar Spieler, die zu Spitzenkräften seiner A-Elf wachsen, und im Normalfall taugen sie immer noch dafür, im Sommer 2017 einer der beiden konkurrenzfähig auszurüstenden DFB-Delegationen (Confed Cup, U21-EM) anzugehören. Und vielleicht bleiben sogar noch Talente übrig, die einspringen könnten, wenn ein paar Stammspieler nicht mehr aufwachen, die bei der Mannequin Challenge zu Eis erstarrt sind.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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