Nationalmannschaft:Nicht gerade ein ideales Verhältnis

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Vor dem Spiel gegen Belgien: Der Konsensstil von Bundestrainer Joachim Löw steht in harten Prüfungen.

Philipp Selldorf

Zwei Jahre ist Joachim Löw Bundestrainer, und in dieser Zeit hat er - abgesehen vom abtrünnigen Verbündeten Bernhard Peters und einem penetranten Uefa-Aufseher, der ihm während des EM-Spiels gegen Österreich auf die Nerven ging - mit niemandem merklich Krach gehabt. Löw hat es immer verstanden, sich mit allen denkbaren Störern zu arrangieren: Bundesligamanagern, Verbandsfunktionären, Reportern, mosernden Ersatzspielern. "Ich suche immer nach Lösungen im Konsens", lautet seine Devise. Gäbe es mehr Menschen wie Joachim Löw, dann wäre der Wunsch nach Weltfrieden vielleicht keine Illusion.

Joachim Löw: Belastete Friedfertigkeit. (Foto: Foto: dpa)

Allerdings wird die Friedfertigkeit des Bundestrainers derzeit zunehmend belastet, und nun erweist sich mehr und mehr auch die andere Seite seines Konsens-prinzips: Probleme werden lieber gemieden. Man hat das neulich an der Prozedur erlebt, die beim Rücktritt Jens Lehmanns erforderlich war. Lehmann hatte die erwartete Ruhestandserklärung widerspenstig verweigert - offenbar wollte er sich eine Tür ins Tor der Nationalelf offenhalten. Daraufhin machte sich der Bundestrainer nach wochenlangem Totschweigen des Themas die Mühe, ihn im Zwiegespräch zu überzeugen. Er hätte auch öffentlich dekretieren können, dass künftig ein anderer als der 38-jährige Lehmann im deutschen Tor steht - so wie er es ja schon vor dem Turnier beschlossen hatte -, aber das entspricht nicht seiner Art.

Vom Glauben abgefallen

Bisher kam diese Art gut an, doch jetzt stellt sich die Frage, ob sie geeignet ist, dem gestiegenen Konfliktpotential in seinem Ressort zu begegnen. In der Nationalmannschaft sind Gegensätze hervorgetreten, die dem Bundestrainer Position, Stellungnahme und Autorität abverlangen. Kapitän Michael Ballack ist nicht mehr unumstritten, sein Führungsstil wurde von Teamkollegen als despotisch empfunden. Vor allem erfahrene Mitspieler bemängeln, dass er sich während der EM nicht solidarisch verhalten habe, und dass er seine Sonderstellung, die ihm als Star und Kapitän zugestanden wird, nicht durch besondere Leistungen bestätigt habe. Während des Finalspiels gegen Spanien soll sogar der alte Getreue Torsten Frings mit drastischen Worten vom Glauben abgefallen sein. Dass Ballack beim Saisonstart des DFB-Teams wegen einer Verletzung fehlt, verhindert ein zügiges Aufarbeiten.

Unverändert besteht ja der Konflikt zwischen Oliver Bierhoff und Ballack. Der Zusammenstoß nach dem Finale in Wien, als der Kapitän vor sämtlichen Mitspielern und vor Tausenden Zuschauern im Ernst-Happel-Stadion auf den Teammanager losging, wirkt immer noch nach. Viel hatte damals nicht gefehlt, und es hätte eine Keilerei zwischen den beiden gegeben, dank mehrerer Schlichter blieb es bei Beleidigungen gegen Bierhoff. "Nach allem, was ich vernommen habe, war Michael Ballacks Wortwahl in diesem Augenblick nicht so ganz geschickt", erläuterte Löw jetzt der FAZ. Das ist stark beschönigt: Ballacks Wortwahl war - wie zu vernehmen war - äußerst heftig und gezielt boshaft. Löw belässt es trotzdem bei sanftem Tadel: "Man muss sich als Kapitän nicht in diesem Maße und mit solchen Ausdrücken abreagieren."

Vergessen ist die Sache keineswegs. Die Beteiligten werden keine Freunde mehr werden: Bierhoff hatte erwartet, dass Ballack sich später entschuldigen oder wenigstens eine Unbeherrschtheit im Affekt einräumen würde, aber das ist nicht geschehen. Als Ballack einige Tage später im Starnberger Yachtklub Hochzeit feierte, war Bierhoff nicht unter den 400 Gästen. Obwohl er am Starnberger See wohnt und nicht in den Sommerurlaub verreist war. Aber Mitspieler der Nationalelf waren ja auch nicht zugegen, nur Bernd Schneider und Thomas Brdaric gehörten zur Festgesellschaft.

Bierhoff ist Ärger gewohnt. Mit Liga-Managern wie Rudi Völler und Karl-Heinz Rummenigge, die seiner Herangehensweise und seiner Geschäftsauffassung grundsätzlich misstrauen, hat er sich in aller Öffentlichkeit gestritten. Er firmiert als Prügelknabe der Nationalteamführung. Auch die Spannungen zwischen der Nationalmannschaft und dem Frankfurter DFB-Apparat konzentrieren sich auf ihn. Mit dem einflussreichen Generalsekretär Wolfgang Niersbach pflegt Bierhoff nicht gerade ein ideales Verhältnis - wie es Löw beschönigend ausdrücken würde. Bierhoff hält Niersbach vom quasi-autonomen Nationalteam systematisch fern, was dieser ihm naturgemäß übel nimmt: Keine Abteilung im DFB ist attraktiver als die deutsche A-Mannschaft.

Während Bierhoff inzwischen keinen Streit mehr scheut, nehmen Löw und seine Trainer im Zweifelsfall den leichten Weg: So wie bei der finalen Auswahl der EM-Besetzung, als die garantiert friedlichen Außenseiter Helmes, Jones und Marin nach Hause geschickt wurden. Zu Unannehmlichkeiten hält man lieber Distanz. Am Fall Timo Hildebrand hat sich das wieder erwiesen. Einige Aussagen in Interviews hätten ihm "überhaupt nicht gefallen", hat Torwarttrainer Andreas Köpke am Montag gesagt, als er berichtete, warum Hildebrand trotz Personalnot nicht für das Belgien-Spiel eingeladen wurde. Demnächst soll es deswegen ein "Gespräch" mit Hildebrand geben. Warum es das bis jetzt nicht gegeben hat? "Timo ist in Spanien, wir sitzen in Deutschland", erklärt Köpke. Zwar gibt es Flugzeuge (die Entfernungen überwinden) und Telefone (die Gespräche ermöglichen), aber lieber machte sich Köpke die Mühe, Hildebrand in einem Brief die Entscheidung bei der EM-Nominierung zu erläutern. "Dieser Brief ist ihm zugegangen", berichtete der Torwarttrainer, als ob er für eine Behörde sprechen würde, und außerdem, setzte er in ebenfalls amtlicher Tonart fort, "wurde von Joachim Löw mit ihm telefoniert". Ein offenes Wort hat der Betroffene trotzdem noch nicht gehört. Wie wäre es also mal mit der Wahrheit, dass Hildebrand bei der offenen Torwartkonkurrenz auf einem hinteren Platz rangiert?

In den nächsten beiden Jahren werden Löw und seine Mitstreiter aber noch ganz andere schwierige Wahrheiten angehen müssen. Auch bisher unantastbare Größen sind dann vielleicht betroffen: Ob Löw bei der WM 2010 immer noch der Mittelfeldachse Ballack/Frings vertrauen darf? Beide sind dann 33 Jahre alt. Was macht er mit Christoph Metzelder, wenn dessen Stammplatz im Madrider Alltag wieder die Ersatzbank ist? "Form und Fitness kommen vor Namen", hat Löw jetzt versichert. Seinen Konsensstil droht er damit auf eine harte Probe zu stellen.

© SZ vom 20.08.2008/jüsc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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