Nationalfarben:Wer hat Angst vor Schwarz, Rot, Gold?

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Der erste Rausch dieser WM ist einer der Nationalfarben - aber das ist keine Frage der Gesinnung.

Gerhard Matzig

Zum Beispiel der aktuelle Focus. Macht auf mit der "McDonald's-Story". Auf dem Titel sind die goldenen Riesen-Pommes zu sehen, die sich zum großen "M"-Logo biegen.

Darunter, rot, der Leuchtkasten mit dem Schriftzug. Nochmals eine Etage tiefer, schwarz, die Stange, die das ganze Emblem in den Himmel stemmt.

Was hat der amerikanische Fastfood-Fabrikant mit den deutschen Nationalfarben zu tun? Rätselhaft. Und was hat der bisher unauffällige Büro-Kollege da auf seinem bisher unauffälligen Resopaltisch stehen? Dokumentablagen in den Farben Schwarz. Rot. Und, ja: Gelb. Der Mann ist Nationalist. Wer hätte das gedacht.

Im Reich der "visuellen Illusion" weiß man, dass unser Sehsystem manipulierbar ist. Es gibt "Nachbilder", die sich das Gehirn ausdenkt, um beispielsweise farbkomplementäre Ergänzungen zu konstruieren, also Rot zu Grün oder dergleichen. Es gibt auch Farben, die man buchstäblich nicht mehr sehen kann, wenn man sie allzu lange fixiert.

Und es gibt das Gegenteil davon: Farbmuster, die man überall entdeckt - oder zu entdecken glaubt, weil man ihnen auf extreme Weise ausgesetzt ist. Exakt das ist die Beschreibung des aktuellen Schwarz-Rot-Gold-Wunders, das jetzt so offensiv wie nie zuvor durch Deutschland wallt, als hätte sich das Land bis über die Ohren in eine gigantische Bettdecke gekuschelt. Eine Bettdecke, die aus vielen Millionen "Fifa-Bettwäsche-Sets in den Farben Schwarz, Rot, Gold" zusammengenäht ist - "aus 100 % Baumwolle". Zu je 34,90 Euro.

Das Höhöhö-Potenzial

Vor einigen Tagen wurde eine bayerische Tracht vorgestellt. In den Farben Schwarz, Rot und Gold. Ein Lolli-Produzent verschenkt Wimpel mit der Aufschrift "Wir glauben an unsere Jungs!" In Schwarzrotgold. Ein Strumpffabrikant bietet Nylons an, in Schwarzrotgold. Und der "Deutschland-Cocktail" in den Farben der Nationalflagge geht so: Das 14-prozentige Getränk wird aus drei Flaschen eingeschenkt - unten gelber Saft, darauf roter und dann schwarzer Wodka.

"Er kann", so der Drink-Erfinder, den man sich als Ausgeburt des Schmunzelns vorstellen muss, "bei der bevorstehenden Fußball-WM bei Spielen der deutschen Mannschaft getrunken werden. Sollte das Team in Rückstand geraten, dann steht zur Ernüchterung eine alkoholfreie Variante zur Verfügung." Dieses ungesagte, aber doch hörbare, ironieverstärkte Höhöhö ist interessant.

Offenbar sind wir an einem Punkt angekommen, wo sich nicht mehr genau sagen lässt, was real ist - und was Illusion und optische Täuschung. Beziehungsweise: Ironie.

Hat sich Harald Schmidt vor ein paar Tagen in seiner Sendung wirklich einen schwarz-rot-goldenen Regenschirm auf den Kopf gesetzt und gesagt, dass er so wahnsinnig gern ein "Star in der Manege" wäre?

Und das neue Buch "Wir Deutschen" von Matthias Matussek: Wurde die Schrift auf dem Einband ernsthaft in den drei Farben der Deutschen gedruckt? Und muss es nicht eigentlich heißen "Wir Deutsche"?

Egal, vermutlich stimmt beides, und davon unabhängig sind wir Deutschen und wir Deutsche, unser Schwarz, unser Rot und sogar unser Gold schwer im Trend. In Deutschland jedenfalls. Ein Trend ist das jedoch, der biegsam und geschmeidig ist wie kaum ein anderes Zeitgeist-Phänomen.

Ein Trend, der auf der einen Seite wie von ferne mit dem Berliner Schloss, der Schuluniform, den Benimmkursen und der neuen, so genannten Bürgerlichkeit flirtet, in deren Namen allerlei Nationalstolz-, Patriotismus- und Identitäts-Debatten geführt werden. Und auf der anderen Seite ist es ein Trend, der sich gern ironisch auflöst, der feuilletonistisch demilitarisiert wird. Beispielsweise in Form einer "Fan Soap", die wie ein kleiner schwarz-rot-goldener Schwamm daherkommt und im Gästeklo eines garantiert mehrfach linksliberal drehenden Haushalts natürlich nur ironisch, ja eigentlich zutiefst kritisch-reflexiv zu verstehen ist.

"Sonst haben wir ja nur Flüssigseife", sagt der gastgebende Weltbürger, der höchstens Ironien als Heimat gelten lassen würde. Und falls man das Höhöhö-Potenzial dieses Deutsch-Seifen-Manifests noch immer nicht kapiert haben sollte, kriegt man noch dies gesagt: "Unser Beitrag zur WM. Wir sind ja auch Patrioten. Höhöhö." Spätestens jetzt sollte man sich den Mantel geben lassen.

Man ist in eine deutschland- und gerade deshalb humorfreie Zone geraten. Solch eine Diaspora bietet derzeit Leuten Unterschlupf, die sich früher ausschließlich italienische Farben ans Cabrio-Heck geklebt haben. Die sich einen Bunderwehr-Parka gekauft haben, um mit feierlicher Miene und einer ebenso scharfen Rasierklinge die Hoheitszeichen vom Ärmel zu sägen. Als Akt des Widerstands. Wohin sind all diese Leute verschwunden, die an ihrer Phobie immer so gut als übellaunige Weltbürger und schiere Paranoiker zu erkennen waren?

"Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau?" - So hat einst der amerikanische Künstler Barnett Newman ein Werk betitelt. Was sähe er, wenn er nun das Deutschland der Gegenwart im Atelier hätte, um es zu porträtieren? Ein Land, das offenbar Normalität genug besitzt und daher keine Angst mehr hat vor Schwarz, Rot und Gold? Oder nur ein Land im üblichen, andernorts obligatorischen WM-Farbrausch?

Wobei sich hier die Frage stellt, welche Drogen uns in diesen Rausch versetzt haben, der in Deutschland bislang unbekannt und auch gar nicht gesellschaftsfähig war. Waren es weiche oder harte Mittel, um das Nationalbewusstsein zu erweitern?

Die neue deutsche Lust an den deutschen Farben, die sich nicht nur in den Auslagen der WM-Trittbrettfahrerei, sondern auch in den Modeateliers, Clubs und Buchhandlungen zeigt, ist übrigens so neu nun auch wieder nicht. Aber mit Hilfe des Katalysators WM ist sie inzwischen so deutlich überzeichnet, dass sich der öffentliche Rekurs aufs Kennzeichen D erstmals als Mainstream bezeichnen lässt. Mit anderen Worten: Mia ist angekommen auf ihrem Weg nach Mitte.

Die Berliner Hipster-Band Mia übersetzte die deutschen Farben schon vor ein paar Jahren in ein schmales Lied: "Ein Schluck vom schwarzen Kaffee macht mich wach / dein roter Mund berührt mich sacht / in diesem Augenblick es klickt / geht die gelbe Sonne auf." Noch wenige Jahre zuvor klang deutsche Pop-Lyrik anders: "Deutschland muss sterben", hieß es bei der Band Slime, "damit wir leben können!"

Auf diese irre Protestformel, eine Art verbaler Erstschlag gegen vermutete Deutschtümelei, konnte sich jahrzehntelang eine Mehrheit auch außerhalb der selbst ernannten Subkultur verständigen. Die Forderung der Zeitschrift Max, endlich mal mit solchem "deutschen Selbsthass" aufzuräumen, hat sich aber inzwischen ebenso mehrheitsfähig erfüllt. Das Pendel schlägt also zurück. Deutschtümeln wir wieder?

"Wir" und "die"

Nein. Der Untertitel von Matusseks Buch "Wir Deutschen", das sich derzeit mindestens so gut verkauft wie schwarzrotgoldene Bettwäschesets, lautet: "Warum die anderen uns gern haben können". Wichtig sind die Begriffe "Wir" in "Wir Deutschen" und "die" in "die anderen". Wir und die, die Blauen und die Roten, der FC gegen den SV: Matusseks Buch führt einen Antagonismus im Titel, der im Reich des Fußballs (also des Spiels!) gut bekannt ist. Man muss sich dort entscheiden: wir oder die, die oder wir. Im Fußball ist man immer Partei - sonst funktioniert, bei aller Ernsthaftigkeit, das Konstrukt des Spiels nun mal nicht.

Aber es bleibt doch immer ein Spiel der Identitäten. Nur im Abseitigen, im Hooliganismus, werden die Chiffren als Wahrheiten missverstanden. Analog dazu lässt sich die Frage beantworten, ob man sich vor Schwarz, Rot und Gold, das wie nie zuvor durch unsere Straßen flutet und natürlich auch bei den Rechtsradikalen begeistert herumgereicht wird, nun fürchten muss. Nein. Die Hools der nationalen Affirmation gibt es natürlich. Doch befinden sie sich außerhalb der Spielzone. Sie sind definitiv draußen.

Bleibt die Farbpsychologie: Schwarz, die Lieblingsfarbe von nur acht Prozent der Deutschen, symbolisiert Dunkelheit, Tod und Leere. Rot, immerhin von 20 Prozent bevorzugt, steht für Leidenschaft - aber auch für Hass. Gelb (fünf Prozent) ist die zwiespältigste aller unbeliebten Farben. Sie ist die Farbe der Lüge und zugleich die der Lebensfreude. Die im Grunde wenig ästhetische, pathetisch-strenge Farbkombination unseres Landes, erstmals dokumentiert für das "Hambacher Fest" im Jahr 1832, als schwarz-rot-goldene Fahnen als Symbol für das Streben der jungen Generation nach Freiheit und deutscher Einheit geschwenkt wurden, könnte also allerlei bedeuten.

Etwa, dass wir uns zwar tödlich (schwarz) hassen (rot) - dass dies am Ende aber auch nur eine Lüge (gelb) sein könnte, um unsere Lebensfreude (gold) geheim zu halten. Aber mit dem Geheimnis ist es ja nun vorbei.

© SZ vom 3.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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