Nachruf:Sie nannten ihn Wolf

Lesezeit: 3 min

Er war ein kompromissloser Zweikämpfer, ein leidenschaftlicher Grätscher und sein Panini-Sticker wurde Kult. Trifan Iwanow ist am Samstag an den Folgen eines Herzinfarkts verstorben.

Von Filippo Cataldo

Es ist nicht besonders erwachsen und natürlich alles andere als nett, Menschen nach ihrem Aussehen zu beurteilen. Doch bei Trifon Iwanow geht das schon in Ordnung. Er gehörte zu jener seltenen Spezies von Fußballern, die schon berühmt waren, bevor man sie auch nur einmal spielen sah. Iwanow war einer der prägendsten Kicker der neunziger Jahre - zuerst wegen seines Äußeren, erst dann auch wegen seiner Talente.

Iwanow betonte seine markanten Gesichtszüge auch noch. Zur wilden Vokuhila (das Haar vorne kurz, hinten lang) kombinierte er Vollbart, Nasenpflaster und diesen unfassbar melancholischen wie irren Schlafzimmerblick. In der Heimat nannten sie ihn "Wolf". Iwanow hatte nichts dagegen.

"Du Iwanow" riefen die Kinder sich auf den Schulhöfen zu

Vor Beginn der WM 1994 in den USA zerrissen sich auf den Schulhöfen die Kinder den Mund über die bulgarische Urgewalt. "Du Iwanow!", wurde als infantile Beleidigung gerufen. "Ein Iwanow" hingegen war die wichtigste Währung überhaupt auf den Schulhöfen. Sein Panini-Bild war das begehrteste.

Iwanow gehörte zu jener goldenen Generation bulgarischer Fußballer, die 1994 in den USA im Zenit ihres Schaffens stand. Bulgarien hatte damals ungefähr den Status, den heute Belgien hat. Den des gar nicht so geheimen Geheimtipps. Im Tor stand Borislaw Michajlow, zumindest 1994 noch ohne Toupet, es verteidigten der beim HSV spielende Peter Chubtschew und Iwanow; im Mittelfeld wirbelten neben Yordan Letschkow die Feingeister Krassimir Balakov (später VfB) und Hristo Stoitschkow vom FC Barcelona. Vor Stoitschkow agierte nur noch Emile Kostadinow, der ein Jahr später beim FC Bayern landen sollte.

Kompromissloser Zweikämpfer, leidenschaftlicher Grätscher

Eine Mannschaft voller glorreicher Halunken. Mittendrin Ober-Halunke Iwanow. Einer, der keine Gefangenen machte, ein kompromissloser Zweikämpfer, ein leidenschaftlicher Grätscher. Ein früher Gattuso, der darüber hinaus über ein verblüffendes technisches Repertoire verfügte und gerne Tore schoss. "Er war einmalig auf dieser Position, sehr begabt, technisch sehr stark und hat sich unglaublich entwickelt, so sehr, dass er in jeder Mannschaft sofort Abwehrchef wurde", sagte sein Freund Balakov einmal über ihn. Iwanow konnte alles, außer sprinten.

Im Viertelfinale in New York verpassten die Bulgaren der DFB-Elf eines der größeren Traumata ihrer WM-Geschichte. Die amtierenden Weltmeister waren durch einen Foulelfmeter von Lothar Matthäus in der 48. Minute in Führung gegangen. Stoitchkow hatte in der 76. Minute für den Ausgleich gesorgt, nur zwei Minuten später stieg der von den Verteidigern allein gelassene Letschkow zum Kopfball. Das Bild, wie der kleine Thomas Häßler am Bulgaren hängt und vergeblich versucht, ihn am Kopfball zu hindern, ging um die Welt. Bulgarien gewann 2:1, verlor dann unglücklich gegen Italien und wurde am Ende Vierter.

"In Österreich lernte ich, Bier zu trinken"

Iwanow, der damals bei Xamax Neuchâtel in der Schweiz spielte, wechselte 1996 zu Rapid Wien. Sein Dickkopf und seine Lust am Dagegen-Sein verwehrten ihm eine größere Vereinskarriere. Dazu kam, dass Iwanow, bei dem die Zigarette davor zur Spielvorbereitung gehörte, und die Zigarette danach zum Runterkommen, immer lieber spielte als trainierte. Am besten spielte er, wenn es wirklich um was ging.

"In Österreich lernte ich, Bier zu trinken", verriet er in einem Interview anlässlich seines 50. Geburtstags im Juli 2015 dem Magazin 11Freunde. Vor der Zeit in Österreich trank er nur Wasser, Kaffee und Whiskey. "Nie Wodka".

Er versuchte sich kurze Zeit als Bankbesitzer

Seine letzten Jahre als Profi verbrachte er von 1999 bis 2001 beim drittklassigen Florisdorfer AC, danach ging er zurück nach Bulgarien, versuchte sich kurze Zeit als Besitzer einer Bank, baute eine kleine Tankstellenkette auf und gründete vier Firmen, die Öl verkauften. Seit 2014 arbeitete er zudem für den bulgarischen Fußballverband.

Am 20. Mai 2016 sollte er in Sofia zusammen mit Lothar Matthäus, dem Italiener Gianfranco Zola und anderen Helden der Neunziger beim Benefizspiel anlässlich des 50. Geburtstags von Hristo Stoitchkow spielen. Dazu wird es nicht mehr kommen.

Trifon Iwanow ist am Samstag an den Folgen eines Herzinfarkts verstorben. Er wurde nur 50 Jahre alt.

© SZ vom 14.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: