1860 München:Überdrehte Löwen

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Bezeichnendes Palaver: Romuald Lacazette beschwert sich bei Schiedsrichter Timo Gerach, aber auch diese Aktion brachte den Münchnern wenig ein. (Foto: Foto2press/Imago)

Bei ihrem Gastspiel in der Alten Försterei unterliegt 1860 dem 1. FC Union Berlin mit 0:2 − und verpasst so die Gelegenheit, die Posse um Matmour vergessen zu machen.

Von JAVIER CÁCERES, Berlin

Das Tempo ist ein Faktor im Fußball, der gemeinhin überschätzt wird. Und wer einen Beleg dafür benötigte, der war am Freitagabend im tiefsten Osten der Bundeshauptstadt an einem überaus empfehlenswerten Ort. Denn das dort, in der Alten Försterei, der Aufschwung des TSV 1860 vorerst gestoppt wurde, hatte auch damit zu tun, dass der schiere Hang zur Verve den Löwen keine Zeit ließ, klare Ideen zu fassen. Die Folge: Die Löwen verloren beim 1. FC Union Berlin, der sich in den vergangenen Wochen den Nimbus des Aufstiegsaspiranten erwirtschaftet hat, durch Tore von Steven Skrzybski (41. Minute) und Stefan Hedlund (61.) mit 0:2. Und das vollauf verdient.

Die Löwen begannen in der Alten Försterei überaus selbstbewusst. Sie kamen mit neun Punkten aus vier Spielen im Gepäck, und das hieß, mit überaus gefestigter Persönlichkeit. Sie suchten erkennbar ihr Heil in der Offensive, doch als die Unioner erkannt hatten, dass die Münchner sich von den Heavy-Metal-Klängen, die beim Aufwärmen von der Stadionregie eingespielt worden waren, zu sehr infizieren lassen hatten und überdreht agierten, ebnete sich das Kräfteverhältnis rasch ein. Auch die Berliner sind nach zehn Punkten aus den letzten vier Spielen mit Selbstvertrauen gesegnet, und das half ihnen, klarere Ideen zu fassen als die oftmals kopflosen Gäste. Resultat: Sie waren dem Ziel eines Torerfolgs näher als 1860.

Zunächst scheiterte der Berliner Sebastian Polter allein vor Torwart Stefan Ortega; dann warf sich Löwen-Verteidiger Sebastian Boenisch in einen 13-Meter-Schuss von Sebastian Hedlund, und die Löwen konnten von ähnlich viel Glück sprechen, als sich Roberto Puncec und Damir Kreilach bei einem Kopfballversuch gegenseitig in die Quere kamen (17. Minute). Der Spieler, der von den 22 Akteuren noch am ehesten mit der Gabe gesegnet ist, dem Spiel Ruhe zu verleihen, Unions Kapitän Felix Kroos, verzog nach 21 Minuten ähnlich knapp wie Innenverteidiger Toni Leistner mit einem Gewaltschuss aus 25 Metern (39.). Der Ball flog nur knapp über die Querlatte des Löwen-Tors. Das alles aber war nur das Preludium für die verdiente Berliner Führung: Steven Skrzybski schoss überlegt aus 14 Metern ein, als ein Abpraller eines Schusses von Niklas Parensen vor seinen Füßen landete.

Auch nach der Pause änderte sich die Szenerie zunächst nicht. Und womöglich ärgerte sich Trainer Vítor Pereira, dass er einen der prominenten Winter-Zugänge, den Kameruner Frank Boya, nicht berufen hatte, er weist nach seinem Erfolg mit Kameruns Nationalelf im Afrika-Cup noch Trainingsrückstand auf. In der 55. Minute, als Pereira womöglich selbst genug davon hatte, dass sich das Spiel mehr in Nähe des Äquators des Spielfelds denn in Nähe der beiden Strafräume abspielte, kam es zu Wechseln. Ivica Olic sowie Stefan Aigner kamen für Leven Aycicek und Christian Gytkjaer. Allerdings ohne Erfolg. Ehe Olic und Aigner sich orientieren und dem Spiel ihre Routine und Klarsicht geben konnten, probierte es Union mit einem probaten Mittel: Fußball.

Kreilach hebelte mit einem Pass in den Rücken der Abwehr die Defensive der Löwen aus, und Sebastian Polter war es ein Einfaches, quer auf Hedlund zu legen, der mit links einschob. Damit war das Spiel im Prinzip gelaufen. Und die Löwen schienen in sich zusammenzufallen, weil das letzte bisschen Ordnung, das ihnen noch etwas Sicherheit verlieh, komplett zu zerbröseln drohte. In der 66. Minute lief Hedlund allein aufs Löwen-Tor und scheiterte an Torwart Ortega. Kämpfen taten die Löwen schon, und sie ließen auch durch einen Lattenkracher von Boenisch aufhorchen. Doch das war der einzige Löwen-Schuss aufs Tor des Abends - und nicht genug, um die Nachricht vergessen zu machen, die Stunden vor dem Spiel die Runde gemacht hatte und weiter von sich reden machen wird.

Denn seit Freitag steht fest, dass die Tage von Karim Matmour bei 1860 gezählt sind. Im Laufe des Freitags hatte der Klub wissen lassen, dass der Algerier fortan mit der U21 trainieren würde. Das darf wohl als Ohrfeige verstanden werden, zumal nicht Gehässigkeiten folgten. So hieß es in der Mitteilung, dass Matmour die Chance hatte, sich in der Winter-Vorbereitung zu präsentieren.

"Dabei konnte der offensive Mittelfeldspieler Cheftrainer Vitor Pereira nicht davon überzeugen, dass er ihm langfristig bei der Umsetzung seiner Spielidee und beim Erreichen der Ziele des TSV 1860" weiterhelfe. Nun wolle man Matmour "bei der Suche eines neuen Klubs" helfen. Das klingt zwar recht zuvorkommend, ist aber wohl nicht ganz so gemeint. Der Klub wirft Matmour vor, via Medien Druck ausüben zu wollen: "Es lässt uns darauf schließen, dass er lediglich das Ziel verfolgt, finanziellen Nutzen aus dieser Situation zu ziehen", schrieben die Löwen. Man nennt so etwas wohl Abfindungspoker.

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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