Michael Schumacher:Aufrecht durch die Krise

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Der Weltmeister hat fast keine Chance mehr, seinen Titel zu verteidigen. Deshalb könnte es möglich sein, dass sich Ferrari schon auf die Saison 2006 konzentriert.

Elmar Brümmer

Immerhin, die Instinkte sind noch absolut intakt. Auf das einladende Ruhebänkchen vor der Ferrari-Parzelle im Fahrerlager setzt sich Michael Schumacher jedenfalls nicht. Der Mann ist als Formel-1-Weltmeister schließlich noch in Amt und Würden. Ergo steht er Rede und Antwort, und der durchgedrückte Rücken demonstriert Stärke in schweren Zeiten.

Der Andrang bei der improvisierten Sprechstunde wirkt größer denn je, Trittleitern leisten beste Dienste. Die Frage, wann Michael Schumacher endlich wieder gewinnt, oder warum er es gerade nicht tut, ist weit spannender als die Situation an der WM-Spitze. Warum der TV-Reporter jedoch vom Aufwärtstrend spricht, kann Schumacher beim besten Willen nicht verstehen. Na, das Ergebnis beim Großen Preis von Europa vor zwei Wochen? "Rubens Dritter, ich Fünfter, stimmt das denn?", der Rennfahrer blickt suchend um sich. Nicken in der Runde: "Da erwischt ihr mich auf dem falschen Fuß..."

Zum zweiten Mal hintereinander beide Autos in die Punkte gebracht, das beste Resultat in dieser Saison. Und der Lohn: blanker Hohn. Für Ferrari von heute gilt als Maximale, was Ferrari von gestern als Minimum betrachtete. Teamchef Jean Todt braucht man mit zehn WM-Punkten erst gar nicht zu kommen: "Die Situation ist erst dann besser, wenn ein Ferrari gewinnt und der zweite auch auf dem Podium steht. Das bedeutet besser für mich", sagt der Franzose.

Aber immerhin: In Montreal kommt Schumacher zumindest die Statistik zupass. Den Kanada-Grand-Prix hat er sieben Mal gewonnen, das ist Rekord. Der Anti-Zahlenmensch Schumacher lässt sich das sogar ausnahmsweise als gutes Omen einreden: "In unserer Situation muss man nach jedem Strohhalm greifen."

Hoffnung auf Einzelsiege

Nochmal darf das Zahlenwerk Trost spenden: In Montreal sitzt Michael Schumacher zum 151. Mal in einem roten Rennauto, so treu war in der Formel 1 noch nie einer zu einem Team. Loyalität ist ein wichtiger Faktor, wenn ein Über-Weltmeister plötzlich vom Start weg sieben Rennen lang nicht mehr gewinnt. Bei noch zwölf ausstehenden Wettfahrten läuft allerdings die Schumachersche Strategie, auf Zeit zu spielen, langsam aus.

Ferraris Hoffnung kann vorerst nur Einzelsiegen gelten. "Wir haben keinen großen Grund, viel euphorischer zu sein", sagt Schumacher, bezogen auf das Rennen am Sonntag, obwohl er sich mit Prognosen in diesem Jahr schwer tut.

Rasender Sisyphos

Der Karren scheint verfahren. Die Basis stimmt zwar beim F 2005, aber für die Spitze reicht es nicht. Das Potenzial ist in der Regel im Mitteldrittel der Rennen zu besichtigen, wenn das Auto leicht ist und die Fahrt kurzfristig frei wird für Rekordrunden.

Die von Bridgestone gelieferten Reifen, mit denen seit diesem Jahr Qualifikation und das ganze Rennen bestritten werden müssen, entfalten im Gegensatz zu denen der Konkurrenz nicht schnell genug ihr Leistungsvermögen. Wer aber von weiter hinten starten muss, dem ruinieren die Widrigkeiten im Mittelfeld häufig Strategie und Rennen. Sisyphos, rasend geworden. Das, was die jahrelange Dominanz unterstützt hat - der Exklusivvertrag mit Bridgestone - gerät im Sinne einer schnellen Aufholjagd nun zum Nachteil. Die Reifenbauer versuchen andere Teams in ihr Lager zu bewegen, gerüchteweise Toyota und Williams.

Die Frage ist nur: zusätzlich zu Ferrari oder statt? Spekulationen wie diese können in der derzeitigen Situation gefährliche Haarrisse im fragilen Gebilde einer unter Druck stehenden Renngemeinschaft erzeugen.

Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo legte sich mit dem Pneulieferanten an, Rubens Barrichello beklagte sich so heftig über angeblich schlechten Fahrstil von Michael Schumacher, das man fast seine vorzeitige Demission vermuten könnte, Taktiker und Techniker agieren ungewohnt nervös. Schumacher versucht in Montreal zu relativieren: "Auch wenn Rubens neulich einen Durchhänger hatte, ist die Stimmung gut."

Die im Siegen so starke Scuderia benötigt reichlich Anlaufzeit, unter neuen Gegebenheiten die alte Balance von sechs Marken- und fünf Fahrertiteln zu finden. Schumacher ist sicher, "dass wir es schaffen werden. Ich weiß nur noch nicht, wann."

Die Zukunftsfrage hängt mit dem eklatanten Managementfehler zu Saisonbeginn zusammen: mit einem alten Auto den neuen Regeln zu begegnen. So etwas soll sich nicht wiederholen.

Daher liegt der Schluss nahe, dass die Saison - sollte nach der Nordamerika-Tour keine Besserung eingetreten sein - abgehakt wird. Renault hat sich 2004 für diese Strategie entschieden. Wohin das führen kann, ist gerade zu besichtigen.

© SZ vom 11.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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