100 Meter Hürden:Bissige Jägerin

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Mit starkem Finish: Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz auf dem Weg zu Bronze. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Pamela Dutkiewicz schlägt über 100 Meter Hürden die Weltrekordhalterin und gewinnt überraschend die Bronzemedaille.

Von Joachim Mölter, London

Sieben Siege in Serie, das konnte nicht so weitergehen. Also hat sich die in diesem Sommer bis dahin makellose Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz aus Wattenscheid Ende Juli schnell noch eine Niederlage abgeholt, bevor sie zur Leichtathletik-WM nach London gereist ist. Beim Diamond-League-Meeting in Monaco wurde sie Siebte, "das war schon wichtig", sagt sie, "um noch mal die Geschwindigkeiten zu spüren." Die von Weltklasse-Gegnerinnen, die an ihr vorbeiziehen, meint die 25-Jährige. Es sei ja etwas anderes, wenn man immer vorneweg laufe und seinen Rhythmus beibehalten könne, erklärt sie: "Wenn man Widerstand spürt, muss man auch bei sich bleiben können. Deshalb war der Lauf in Monaco wichtig."

Pamela Dutkiewicz ist nicht gern die Gejagte in einem Rennen, lieber die Jägerin. "Ich finde diese Position deutlich angenehmer, dieses Dran-Klemmen-Können und einfach mitlaufen", sagt sie: "Manchmal pusht das ja auch, wenn man jemanden vor sich hat, der nicht so weit weg ist." So wie im WM-Finale von London, in dem sie am Samstag mitlief. Über die zehnte und letzte Hürde des 100-Meter-Rennens war sie als Fünfte geflogen, zehn Meter dahinter aber als Dritte im Ziel angekommen, bezwungen nur von zwei Olympiasiegerinnen: der Siegerin von London 2012, Sally Pearson aus Australien (12,59 Sekunden), sowie der Ersten von Peking 2008, Dawn Harper-Nelson aus den USA (12,63). Dutkiewicz (12,72) war zwei Hundertstelsekunden schneller als die beiden zeitgleichen Amerikanerinnen Kendra Harrison und Christina Manning - die beiden, die nicht so weit weg gewesen waren, als Dutkiewicz sie jagte.

Die tragische Figur dieses WM-Rennens ist zweifellos Kendra Harrison gewesen, die 24 Jahre alte Weltrekordlerin mit ihren 12,20 Sekunden, gelaufen im vorigen Jahr in London - nachdem sie bei der Olympia-Qualifikation der Amerikaner die Teilnahme in Rio verpasst hatte. Die in einer Familie mit zehn Kindern im US-Bundesstaat Tennessee aufgewachsene Harrison hat noch nie eine Medaille bei einem Großanlass gewonnen, und so knapp wie bei dieser WM hat sie noch keine verpasst.

"Jetzt passen allmählich alle Puzzleteile zusammen", sagt sie

Die glücklichste Teilnehmerin dieses Endlaufs war dann zweifellos Pamela Dutkiewicz, die sich selbst zunächst auf diesem undankbaren Platz vier gewähnt hatte, den letztlich Harrison belegte. "Dann schaue ich hoch auf die Videowand und mein Name steht auf der dritten Position - besser hätte es nicht laufen können", schwärmte sie und erzählte: "Ich hatte mir ein Flow-Erlebnis gewünscht. Das kann man nicht steuern, es kommt selten vor. In so einem Moment hört man den Startschuss und bekommt dann gar nichts mehr mit." Nur einmal während des Rennens habe sie kurz etwas gedacht, da sei ihr prompt ein technischer Fehler passiert: "Danach habe ich mich wieder gefangen und rangebissen."

Pamela Dutkiewicz hat ihre Bestzeit in diesem Sommer auf 12,61 Sekunden gesteigert, aber für bedeutsamer hält sie die Konstanz, "die ich auf die Bahn gebracht habe: Ich konnte immer so um die 12,70 oder 12,80 Sekunden anbieten. Das gibt Sicherheit." Sie habe sich gedacht: "Wenn du diese Zeiten weiter anbietest, ist auch ein Finale bei der WM möglich." Das war es tatsächlich: Im Vorlauf von London rannte sie 12,74 Sekunden, im Semifinale 12,71, im Finale besagte 12,72.

Pamela Dutkiewicz hat einen langen Anlauf genommen, bis sie auf diesem dritten Platz von London angekommen war. Im Winter 2015 rissen ihre Bänder im Fuß, sie musste pausieren, "ich hatte Zeit, ein paar Sachen zu überarbeiten", sagt sie. Sie stellte ihre Ernährung um; zuvor hatte sie sich lange übergewichtig gefühlt (und in diesem Sommer erstmals öffentlich darüber geredet). Sie feilte an der Technik, am Selbstbewusstsein. "Sonst ist eine Saison immer so durchgetaktet, dass man sich gar keine Zeit nimmt, etwas Neues auszuprobieren", sagt sie: "Diese Zeit hatte ich damals, und jetzt passen allmählich alle Puzzleteile zusammen." Und nun? Hat sie sogar ein bronzeglänzendes Edelmetall eingefügt.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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