Martin Schmitt:Aufgeräumt wie lange nicht

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Martin Schmitts verheißungsvolle Vorstellung lenkt von der Krise der deutschen Athleten ab.

Thomas Hahn

Garmisch-Partenkirchen - Die letzten Blicke, die Martin Schmitt zur alten Olympiaschanze von Garmisch-Partenkirchen hinaufschickte, hatten etwas Versöhnliches in sich. Aber echte Wehmut hat er sich nicht abringen können. Er wirkte wie ein Staatsmann am Grab des politischen Gegners. Er wollte der Schanze nicht allzu viel Schlechtes hinterherrufen so kurz vor dem Abriss, aber er wollte ihr auch nicht schmeicheln. Sein Nachruf fiel also kurz aus. ,,Sie stand jetzt lange genug'', sagte Schmitt. Alles hat er auf der alten Olympia-Schanze schon erlebt: Er hat hier gewonnen (1999), böse verloren und wild geschimpft auf ihren Aufsprunghang, der so schnell ins Flache übergeht, dass er weite Sprünge zu einer echten Belastungsprobe macht. Martin Schmitt freut sich auf die neue Schanze, die schon nächstes Jahr den Gudiberg erhellen soll, er mochte die alte nicht. Es kam ihm selbst wie eine Ironie des Schicksals vor, dass er ausgerechnet hier seine beste Leistung seit Jahren zeigte.

Hilfe von Horngacher

Der frühere Weltmeister Martin Schmitt ist der deutsche Lichtblick gewesen beim Neujahrsspringen, nachdem seine Karriere seit Jahren ein einziger verzweifelter Wettlauf mit der Entwicklung seines Sports ist. Und man darf seine Leistung nicht allein nach dieser Platzierung bemessen, nach diesem achten Rang mit einem Sprung auf 122,5 Meter in einem Wettkampf, dem das windige Wetter und die sich auflösende Anlaufspur einen Durchgang geraubt hatte. Bei besseren Bedingungen wäre er wohl noch weiter vorne gewesen. Zwei Tage lang hatte er zumindest ahnen lassen, dass er vielleicht doch noch einmal an seine besten Zeiten anknüpfen könnte. Vor allem aber lenkten seine Leistungen in Garmisch von der Krise ab, welche die DSV-Springer seit Jahren durchlaufen.

Die Art, wie Schmitt früher zu seinen Siegen sprang, funktioniert nicht mehr, erst jetzt scheint er die Umstellung so langsam zu schaffen. Ein neuer Trainer hat ihm dabei geholfen, der frühere österreichische Springer Stefan Horngacher, und seine eigene Beharrlichkeit. Schon am Silvestertag wirkte er aufgeräumt wie lange nicht. Er bejubelte seinen Trainingssprung und in der Qualifikation die zweitbeste Tagesweite hinter dem Norweger Anders Jacobsen (126,5) mit 125 Metern, die niemand geringschätzte, auch wenn die Jury den Anlauf für die ersten 15 im Weltcup, zu denen Schmitt bis dahin nicht gehört hatte, um eine Luke verkürzte. Sofort kursierte Schmitts plötzliches Hoch als Verheißung. ,,Was der Martin heute gemacht hat'', sagte Michael Uhrmann, Neunter beim Neujahrsspringen, ,,kann jedem anderen das Selbstvertrauen geben, das innerhalb kurzer Zeit der Knoten aufgehen kann.''

Solche Zeichen haben die deutschen Skispringer auch nötig, denn die Ausläufer ihrer Krise sind ja bei dieser Tournee klar zu Tage getreten. Und wer dieses Tief wegdiskutieren wollte, nur weil Schmitt nach seinem 18. Rang von nun einen Achtungserfolg feierte, musste als unheilbar betriebsblind gelten. Die Mannschaft kämpft um Anschluss und probt mit viel Eifer die Umstellung auf einen athletischeren Absprung, ohne den seit der Einführung der Gewichtsregelungen vor drei Jahren nichts mehr zu gewinnen ist. Sie bringt dabei Ergebnisse hervor wie jenes von Oberstdorf mit Platz zwölf als bester Platzierung durch den Oberhofer Jörg Ritzerfeld. Und sie stellt auch das erste Tournee-Opfer: Nachdem Georg Späth, 2004 gefeierter Dritter beim Neujahrsspringen, in Oberstdorf die Qualifikation verpasst hatte, nahm ihn Bundestrainer Peter Rohwein aus dem Team. Denn, so Rohwein: ,,Es muss ja auch Sinn machen.''

Die Mannschaft ist tapfer, sie redet nichts schön und arbeitet an besseren Zeiten. Die Begleiterscheinungen des Misserfolges rütteln wieder am Betrieb. Bild spottet (,,Suppen-Adler'', ,,Dösis''), und der ein oder andere Skisprung-Geschäftsmann forciert Spekulationen mit neuen Bundestrainern und TV-Experten als Teammanager. Aber Rohwein und seine Springer haben Weghören gelernt, und Rohwein hat selbstmitleidige Medienanalysen eingestellt. In aller Ruhe hat er erklärt, dass sein neuer Assistent, der Österreicher Falko Krismayr, nicht - wie kolportiert - als Fachkraft für gute Stimmung gekommen sei, sondern als notwendige Ergänzung im Alltag. Er lobt, wen er loben kann, und schützt, wen er schützen muss. Er findet: ,,Jetzt noch mehr Druck aufzubauen, bringt gar nichts.''

Ein 16-Jähriger namens Schoft

Die Krise reicht ja ohnehin tiefer, wie das Publikum an Silvester erleben durfte, als der DSV als Gastgeber sechs zusätzliche Startplätze für Nachwuchsleute nutzen durfte. Aber die Talente der jungen Männer blieben verborgen. Keiner erreichte den Wettkampf. Nur der 16-jährige Felix Schoft vom SC Partenkirchen entfachte eine kurze Euphorie beim Stadionsprecher, weil seine 116,5 Meter für die besten 50 reichten. Kurz darauf wurde er disqualifiziert, weil sein Anzug zu weit war. Gut organisierten Abteilungen passiert so etwas an solchen Tagen nicht.

Peter Rohwein hat die Situation dann noch halbwegs gerettet, indem er Felix Schoft fürs Bergisel-Springen am Donnerstag berief. Das zarte Lebenszeichen des Nachwuchses sollte nicht umsonst gewesen sein, vor allem aber dankte der Bundestrainer Martin Schmitt. Und Schmitt selbst? Er versuchte das Positive aus diesen seltsamen Tagen zu ziehen, aber er man merkte ihm an, dass er enttäuscht war. Er hatte sich stärker gefühlt als Platz acht, sogar die alte Schanze hätte er wieder in Kauf genommen. Noch einmal schaute er also nach oben und sagte: ,,Ich wäre schon gerne nochmal hoch.'' Es klang ein bisschen wehmütig.

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