Mark van Bommel vom FC Bayern:"Papa war nicht böse, sondern ..."

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Bayern-Profi Mark van Bommel über Kindererziehung, saure Milch und Momente auf dem Rasen, die er bedauert.

Andreas Burkert und Klaus Hoeltzenbein

SZ: Gratulation zum Einzug ins Pokalfinale, Herr van Bommel.

Mark van Bommel im Kampf gegen Kevin Kuranyi (Foto: Foto: dpa)

Mark van Bommel: Danke, aber das musste auch so sein. Bayern kann nicht drei Mal hintereinander verlieren, noch einmal nach Anderlecht, nach Cottbus. Eine gute Mannschaft verliert nie drei Mal. Jetzt will ich aber nicht sagen, dass wir eine gute Mannschaft sind.

SZ: Warum nicht?

van Bommel: Dieser Truppe fehlt Erfolg. Titel. Dadurch kann man wachsen. Wir haben noch nichts gewonnen, außer dem Ligapokal.

SZ: Das wievielte Pokalfinale wird es für Sie sein? van Bommel: Das dritte. Zwei in Holland, beide mit dem PSV Eindhoven, eins 4:0 gewonnen, eins im Elfmeterschießen verloren. SZ: Und Sie? Auch verschossen?

van Bommel: Verwandelt. Glücklich. Aber der Pokal ist in Holland eine Nebensache, hier lebt er viel mehr.

SZ: Eine gewisse Erleichterung hat man Ihnen angemerkt, als Sie Miroslav Klose zu seinem Tor gratulierten.

van Bommel: Ich freue mich für ihn. Super. Er hatte sich schon ein paar Gedanken gemacht, als alle fragten: Was ist los? Warum schießt er kein Tor mehr?

SZ: Es scheint, als sei Klose anfällig für solche Stimmungsschwankungen.

van Bommel: Nein. Ein Stürmer ist viel feinfühliger als ein Mittelfeldspieler. Ich hab in der Saison auch nur einmal in der Liga getroffen, das ist sehr wenig für mich. Entscheidend ist, dass die Mannschaft gewinnt. Wenn man älter wird, ist ein Tor nicht mehr gar so wichtig, als ich jünger war, war ich richtig scharf drauf. Für den Stürmer ist das anders: Er wird nur gemessen an den Toren. Hat er ein ganz schlechtes Spiel gemacht und trifft, hat er gut gespielt. Aber Miro spielt sein eigenes, ein soziales Spiel. Wenn er vor dem Tor steht, guckt er noch, ob ein anderer besser steht. Das ist auch eine Qualität, aber er muss einfach mehr schießen. Haben Sie das Training in den letzten Tagen gesehen? Einige Bälle hab' ich ihm an der Torlinie quergelegt, damit er ihn reinschieben kann. Schieß rein! Nur damit er dieses Gefühl wieder bekommt.

SZ: Kann es sein, dass der Schatten von Luca Toni zu groß ist, weil Toni immer die zentrale Position behauptet?

van Bommel: Das sind zwei verschiedene Spielertypen. Luca ist nur fokussiert auf das Tor, er steht in der Mitte, Miro läuft mehr für die Mannschaft. Er verliert auch viel Energie dadurch, die ihm vielleicht manchmal fehlt vor dem Tor.

SZ: Sie sind befreundet. Sie fahren auch in den Urlaub zusammen.

van Bommel: Im Winter waren wir in Dubai. Die Frauen verstehen sich, wir haben Kinder im gleichen Alter, er zwei, ich drei, das passt gut. Aber diese ganze Truppe jetzt versteht sich gut, hat einen ähnlichen Humor. Von Anfang an war es in dieser Saison sehr lustig in der Kabine. Es erinnert mich ein bisschen an meine Mannschaft von 2005, an Eindhoven, da waren wir auch Meister, Pokalsieger und sind erst im Halbfinale der Champions League gegen Milan ausgeschieden. Wir haben auch hier keine Grüppchenbildung. Natürlich sitzen die Brasilianer an einem Tisch, die Deutschen, und ich schwimme so dazwischen durch.

SZ: Als der FC Barcelona, der Klub, von dem Sie 2006 nach nur einem Jahr ...

van Bommel: ...und nach dem Gewinn der Champions League ...

SZ: ...nach München wechselten, jüngst eine Krise hatte, hieß es dort, es fehle vielleicht so ein Spielertyp wie Sie. In dem ganzen kreativen Gekreisel fehle einer, der dahinter die Dinge ordnet.

van Bommel: Zufällig hat zu der Zeit der Zeugwart angerufen. Hat gesagt: Seit du weg bist, haben wir nichts mehr gewonnen! Es war ein Spaß von ihm.

SZ: Spielertypen wie Sie einer sind, nennt man dort mariscal, den Marschall.

van Bommel: Oder mala leche. Schlechte Milch. Oder besser noch: saure Milch. Gemeint sind Spieler, die, wenn es mal nicht so läuft, ein Zeichen setzen. Die ein Spiel drehen können.

SZ: Davon gibt es nicht viele.

van Bommel: Ja, genau. Und wenn die da sind, ist es auch wieder nicht gut (lacht).

SZ: Der Mann fürs Grobe aus Holland. Normalerweise sind dort die Super-Techniker zu Hause.

van Bommel: Moment mal, meine Technik ist nicht so schlecht. Holländer haben einfach eine gute Technik, das ist die Schule dort. Das Passspiel ist fast immer schnell und sauber. Wichtig ist etwa, dass Franck Ribéry der Ball mit Tempo auf den richtigen Fuß gespielt wird. Manchmal können die Leute auf der Tribüne nicht so richtig honorieren, was so ein präziser Pass aus der Tiefe wert ist.

SZ: Vor wenigen Tagen, beim 0:2 der Bayern in Cottbus, haben die Leute aber schon gesehen, dass Mark van Bommel nicht gespielt hat.

van Bommel: Gegen Schalke und Karlsruhe war ich auch nicht dabei, und die Spiele haben wir gewonnen.

SZ: Sie waren gesperrt. Drei Spiele lang, weil Sie sich auf dem Platz danebenbenommen hatten. Haben Sie das Cottbus-Spiel am Fernseher gesehen?

van Bommel: Sah ein bisschen müde aus von uns. Es sah aus, als ob man immer einen Schritt zu spät kam. Manchmal hat man solche Spiele, aber dann muss man etwas anderes probieren. Dann muss einer böse werden, wachrütteln. Aber am Fernsehen bekam man nicht richtig mit, was da passiert ist.

SZ: Was haben Sie beim Cottbus-Spiel Ihren Kindern erzählt, als sie gefragt haben: Papa, warum hast du frei?

van Bommel: Zwei, drei Wochen hintereinander habe ich das erzählen müssen! Warum spielst du nicht? Warum bist du zu Hause? Und ich musste sagen: Papa war ...nicht böse, sondern ... Wie heißt das richtige Wort auf Deutsch?

SZ: Unartig?

van Bommel: Genau. Ich habe einen Jungen und ein Mädchen von fünf sowie einen Jungen von drei. Und der Fünfjährige, der verfolgt alles, der weiß alles. Der spielt das Fifa-Spiel auf seinem Computer auf der Playstation, der kennt jeden Spieler, also fragt er: Papa, hast du eine gelbe Karte gekriegt? Ja, zwei. Okay, und dann darfst du nicht spielen! Das weiß der schon. Das ist am Computer auch so: gelbe Karte. Noch eine gelbe. Rote Karte! Zum Glück hatten sie es im Stadion nicht gesehen, was passiert war.

SZ: Warum nicht?

van Bommel: Sie waren im Legoland. In der Kinderbetreuung.

SZ: Sie holen Ihre Kinder ja auch vom Kindergarten ab. Kinder, heißt es, tragen die Wahrheit auf der Zunge. Heißt es da nicht auch mal: Schau, da kommt der böse van Bommel?

van Bommel: Bisher nicht, aber man denkt darüber nach. Das ist natürlich ein schlechtes Vorbild für die Kinder. Es darf nicht so weit kommen, dass die Kinder auf dem Trainingsplatz das Gleiche machen. Da denkt man in der Hektik auf dem Platz nicht drüber nach. Aber es ist nicht gut so, das geht nicht: Das sind obszöne Gesten, die du auf der Straße auch nicht machen kannst. Und man bekommt sehr schnell einen Stempel verpasst, Rüpel oder so, obwohl ich noch nie einen aus den Socken getreten habe.

SZ: Auf der Bayern-Homepage sagen Sie über Ihre Eigenschaften: sehr ruhig. Aber Sie fügen den Nachsatz an: außerhalb des Fußballplatzes.

van Bommel: Ich bin kein bösartiger Spieler. Aber es gab Momente, Emotionen, die sind im Nachhinein nicht schönzureden.

SZ: Und jetzt? Was kann man tun, um den Stempel wegzubekommen?

van Bommel: Ich versuche es, natürlich, aber es ist schwierig. Damit muss man jetzt leben.

SZ: Zumal Sie aus Ihrer Rolle kaum rauskommen. Trainer Hitzfeld wird Sie in den kommenden Wochen, da jetzt die wichtigen Spiele kommen, sicher nicht aus dem Amt des Agressiv-Leaders, wie er Sie einmal nannte, entlassen.

van Bommel: Der Begriff hat ja zwei Seiten. Man kann ihn positiv erklären oder negativ. Er hat ihn positiv gemeint, und jetzt ist es negativ geworden. Mein eigener Fehler. Aber meine Kollegen und der Verein sind mit mir, so weit ich das beurteilen kann, sehr zufrieden. Und das ist das Wichtigste. Meist sind Spieler wie Basler oder Effenberg nicht beliebt beim Gegner, aber die Kollegen sind froh, dass sie auf dem Platz stehen. Und so muss man einen solchen Stempel auch erklären. In jeder Mannschaft gibt es zwei, drei Spieler, die den Gegner verunsichern. Hier ist es Ribéry, der dafür sorgen kann, dass der Gegner verliert. Und dann sind es diejenigen, die irritieren. Da gehören Olli Kahn oder ich dazu. Das ist einfach unsere Ausstrahlung.

SZ: Es heißt, Sie seien schon als Kind ein Bayern-Fan gewesen. Ist das Wahrheit oder Legende?

van Bommel: Immer schon. Im holländischen Fernsehen gibt es ein Sportprogramm, in dem steht jetzt ein Nachttisch. Ein altes Ding, aus der Zeit, als ich klein war. Und da ist ein Aufkleber des FC Bayern drauf. Die haben so ein kleines Museum im Studio, und jeden Montag, wenn sie Sendung haben, wird von einem Spieler etwas hineingestellt. Da stehen auch schon meine Kinderfußballschuhe. Und wenn die Serie fertig ist, nach zwanzig Sendungen, wird alles für zwölf Wochen in einem Museum ausgestellt.

SZ: Warum Bayern?

van Bommel: In jedem Land hatte ich als Kind einen Lieblingsklub. Barcelona, Bayern und - wegen der großen Zeit der Holländer Gullit, Rijkaard, van Basten - den AC Mailand. In England hatte ich keinen, am ehesten Tottenham. Mit Deutschland hatten wir zu Hause ein Problem: Mein Vater war für Köln, für Allofs, Littbarski, Polster, meine Mutter schwärmte für Mönchengladbach, damals beide noch erste Liga. Mutter war für Netzer und Simonsen, den Dänen mit den langen Haaren. Da war immer Streit zu Hause, und meist habe ich gewonnen. Bayern hat ja meist gewonnen. In Super-Trikots. Schönes Rot, und vorne stand Iveco oder Magirus Deutz drauf.

SZ: Ist es in Holland zulässig, für deutsche Vereine zu schwärmen?

van Bommel: In der Nähe der Grenze, wo ich aufgewachsen bin, auf jeden Fall. Komisch, in all meinen drei Lieblingsvereinen, Eindhoven, Barcelona, Bayern, hab ich dann auch gespielt.

SZ: Haben Sie schon mit Ihrem künftigen Trainer, Jürgen Klinsmann, gesprochen, wie es weitergeht?

van Bommel: Nein.

SZ: Sie wissen es nicht?

van Bommel: Nein.

SZ: Ihr Vertrag läuft 2009 aus. Müsste man da nicht jetzt mal über eine Verlängerung reden?

van Bommel: Das bestimmt der Verein. Der sagt, jetzt reden wir, oder wir machen gar nichts. Bis jetzt haben sie gar nichts gemacht. Wenn sie mich verkaufen wollen, müssten sie es dieses Jahr machen. Nächstes Jahr wäre ich ablösefrei. Ich weiß, dass der Verein ganz zufrieden war mit den zwei Jahren, die ich hier war. Aber ich weiß nicht, ob sie mit mir weiterplanen.

SZ: Es wäre eine zentrale Figur zu ersetzen: In den Umfragen zählen Sie zu den gefürchtetsten Gegenspielern der Liga - auch wenn Sie Platz eins an Maik Franz aus Karlsruhe verloren haben.

van Bommel: Eines sollte man immer berücksichtigen: Wenn man bei Bayern spielt, steht das Verhalten eines Spielers viel stärker im Rampenlicht als etwa in Cottbus. Noch einmal: Ich hab' noch keinen vom Platz getreten.

SZ: Sie sind eher ein Großmeister des taktischen Fouls?

van Bommel: Jede Mannschaft hat solche Spieler dabei.

SZ: Im April werden Sie 31. Sie sind ein sehr strategisch denkender Profi. Wird man Sie nach dem Laufbahnende auch als Trainer erleben?

van Bommel: Bestimmt. Zwei Scheine habe ich schon gemacht, in Holland braucht man vier.

SZ: Und wie sollen die Leute den Spieler van Bommel in Erinnerung behalten?

van Bommel: Als einen, der wichtig war für seine Mannschaft. Der nicht nur bekannt war für sein schlechtes Image, sondern auch ein guter Fußballer war. Und als einen guten Menschen in der Kabine. Dort passiert viel in den Jahren. Die eigenen Leute muss man schützen und ihnen helfen. Das gehört auch dazu.

Mark van Bommel, 30: Im Sommer möchte Mark van Bommel wieder Nationalspieler der Niederlande sein. Dann übergibt Marco van Basten, mit dem er zerstritten ist, das Amt des Nationaltrainers an Bert van Marwijk. Das könnte von Vorteil sein, van Marwijk ist sein Schwiegervater. Kennengelernt haben sich beide bei Fortuna Sittard, van Bommels erstem Profiklub. Es folgten der PSV Eindhoven (1999 bis 2005), FC Barcelona (2005/2006) und jetzt der FC Bayern. Für eine Ablöse von rund sechs Millionen Euro kam er nach München, wo er in 49 Ligaspielen sieben Tore erzielte. Für Hollands Nationalelf war der Regisseur des defensiven Mittelfeldes bisher 39 Mal im Einsatz.

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