Mario Cipollinis Karriere-Ende:Opa geht aus dem Sattel

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Der vielleicht größte Sprinter der neunziger Jahre "Cipo" hört auf, jetzt ist es endgültig. 17 Zeilen zum Abschied nach 17 Jahren Radsport-Karriere.

Von Birgit Schönau

"Eine Woche vor dem Giro d'Italia den eigenen Rückzug zu vermelden, bedeutet: eine erlittene, aufrichtige Entscheidung. Das Publikum wird mich verstehen."

"Auch wenn er nur 80 Prozent seiner Kondition hatte, versetzte er alle in Angst und Schrecken": Cipollini hört auf. (Foto: Foto: dpa)

Für das Publikum war Mario Cipollini der Größte. Sein Name wird auf den Straßen des Giro zu lesen sein, auch wenn er nicht mehr mitfährt.

Wie der Name seines Freundes Marco Pantani. Cipollini war einer der wenigen Kollegen, die mit Pantani bis kurz vor seinem Tod Kontakt hielten - das tragische Ende des Jüngeren, der vor einem Jahr an einer Überdosis Drogen in einem Hotelzimmer starb, hatte Cipollini schockiert.

Pantani war ein Kletterer, Cipollini der größte Sprinter der neunziger Jahre.

Vielleicht der größte der Radsportgeschichte. Beim Giro 2003 übertraf er mit seinem 42. Etappensieg die Legende Alfredo Binda, sein letztes Rennen gewann er vor 50Tagen in seiner Heimatstadt Lucca. Es war der 189. Sieg bei einem Profirennen, und so schloss sich sein Kreis.

"Für einen vecchietto wie mich, der dem Radsport viel gegeben hat und der viel zurück bekam, ist es wichtig, den richtigen Moment zum Aufhören zu wählen", hat Cipollini geschrieben. Vecchietto, das heißt Opa, Alterchen. Gerade ist Cipollini 38 geworden, die Mähne des "Löwenkönig" färbt sich langsam grau.

Schlimmer ist, dass ihm einer davonfährt, sein Landsmann Alessandro Petacchi. Vor drei Jahren schon hatte Cipo oft das Nachsehen, inzwischen ist offenbar, dass der sieben Jahre jüngere Petacchi der Nachfolger des großen Cipo ist. "Mein wichtigster Rivale", hat Petacchi über Cipollini gesagt, "ich hatte das große Glück, mich an ihm messen zu dürfen. So einen wie Cipo gibt es so schnell nicht wieder."

So einen wie Cipo, der sich auf den Landstraßen der Toskana schindet (und den die Polizei öfters von der Autobahn vertrieb, auf der er partout trainieren wollte), und der doch den Radsport mit einer Variante überraschte, die niemand in dieser Massenplackerei harter Männer vermutet hätte: Glamour. Auch ein bisschen Trash, sicher.

Jedenfalls haben Cipollinis bunte, hautenge Anzüge, hat seine kindlich-unschuldige Eitelkeit das Feld aufgemischt. Stoisch bezahlte er Jahr für Jahr seine Geldstrafen für das verbotene Outfit, das Publikum liebte ihn dafür. Cipo hatte Spaß am Radfahren und er verstand den Radsport als Mannschaftssport. Im Sinne von: alle für einen. Sein "treno", der Zug, der ihn ins Ziel lancierte, war immer der konditionsstärkste und am besten vorbereitet.

Cipollinis Popularität verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass es um ihn als einen der wenigen Großen keine Dopinggerüchte gab. Unmissverständlich, wie das seine Art ist, hat er Doping stets verurteilt und für überführte Kollegen, die sich herausreden wollten, kein Verständnis gezeigt.

Dass ihn die Franzosen nicht mehr zur Tour einladen wollten, nur weil er nie Lust hatte, sich nach seinen aufregenden Sprints bis nach Paris zu plagen, fällt übrigens auf sie selbst zurück. Im Sommer 2002 wollte er schon einmal zurücktreten, so sauer war er über die Tour-Absage. Aber Frankreich liegt für einen Toskaner sowieso hinter den sieben Bergen.

Also überlegte er es sich anders, gewann drei Etappen bei der Vuelta und wurde zum Abschluss noch Weltmeister. "Auch wenn er nur 80 Prozent seiner Kondition hatte, versetzte er uns alle in Angst und Schrecken", erzählt Petacchi.

Addio Cipo, die Welt ist noch voller Straßen - auch für einen Pensionär.

© SZ vom 28.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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