Maria Scharapowa:Die Auserwählte

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Verklärt, verkitscht, verkauft - die russische Tennis-Geschäftsfrau wird 18.

Von René Hofmann

Nick Bollettieri dachte gleich an die Zukunft. "Die große Frage ist: Was passiert jetzt?", sagte er am 4. Juli 2004 -am Tag nach Maria Scharapowas Wimbledon-Sieg. Bollettieri kennt sich aus mit Champions. Der einstige Luftlande-Leutnant hat einige geformt.

Voila! Maria Scharapowa (Foto: Foto: dpa)

1995 führte er Mary Pierce zum Titel bei den Australian, 1997 Iva Majoli bei den French Open. Beiden schrieb er nach dem Triumph einen Brief: "Du sitzt jetzt in einem Boot, das in zwei Richtungen steuern kann. Du kannst weiter hart arbeiten, flussaufwärts fahren und die Nummer eins werden. Oder du kannst dich treiben lassen." Pierce und Majoli ließen sich treiben. Maria Scharapowa nicht.

Am heutigen Dienstag wird sie 18, vor einer Woche hat sie Weltranglistenplatz zwei hinter Lindsay Davenport erobert. Sie sagt: "Mein Ziel ist die eins." Sie meint: die Nummer auf der Liste. Was das Geschäft betrifft, hat sie ihre Kolleginnen schon abgehängt. In den vergangenen neun Monaten ist aus ihr eine der bestbezahlten Sportlerinnen geworden.

"Ihr Aufstieg zeigt, wie schnell im Sportmarketing Helden entstehen können", sagt Tony Signore. Der Chef der renommierten PR-Firma Alan Taylor Communications glaubt: "In einer sich schnell wandelnden Welt ist es für Unternehmen nicht nur wichtig zu wissen, wer gerade gefragt ist, sondern wie sie einen sportlichen Vertreter so einsetzen, dass sie das Maximum für ihr Geld bekommen."

Maria Scharapowa verspricht offenbar eine gute Rendite. Canon offerierte ihr einen einmaligen, weil weltweit gültigen Dreijahreskontrakt. Angeblich dotiert mit sechs Millionen Dollar. Der Handy-Hersteller Motorola nahm Scharapowa direkt unter Vertrag - als erste Berühmtheit seit 1993. Warum? "Sie ist Wimbledon-Siegerin und eine aufsteigende Ikone der Pop-Kultur", heißt es in einem Statement der Firma.

"Eine Athletin mit großer, globaler Wirkung", schwärmt Paul Maglione von der Firma I-Play, die ein Videospiel mit Scharapowa in der Hauptrolle auf den Markt bringt, was sie auf eine Stufe mit Tiger Woods stellt. Die Uhren-Marke TAG Heuer, die Scharapowa für drei Jahre und angeblich drei Millionen Dollar als Botschafterin an sich gebunden hat, verkündet den Deal stolz als "Fusion von Sport und Glamour".

Entsprechend sehen die Fotos aus, die mit der Meldung verschickt werden: Scharapowa am Strand, barfuß im Kleinen Schwarzen. Scharapowa im Business Look: weiße Bluse, schwarzer Blazer. Nur ein Motiv zeigt sie beim Tennis.

Maria Scharapowa hat damit kein Problem. "Ich bin nicht nur Sportlerin, sondern auch Geschäftsfrau", sagt sie. Für einen Teenager setzt sie ihre Sätze erschreckend kühl: "Ich glaube, ich bin ziemlich reif und muss für mein Alter bereits große Entscheidungen treffen. Ich glaube, bis jetzt habe ich das ganz gut hinbekommen."

Wie viele Angestellte sich bei der Marketingagentur IMG um sie kümmern? "Es ist mir egal, ob es 15oder 30 sind. Ich will nur, dass es funktioniert." Mangelndes Selbstbewusstsein hat ihr noch niemand vorgeworfen. Im Herbst kommt ihr Parfum. Von Parlux. Die Firma hat auch den Duft von Paris Hilton kreiert. Der Geschäftsführer freut sich auf Scharapowas Odeur: "Das wird die Speerspitze unserer globalen Expansion nach Osteuropa."

Speerspitze, Glamour-Girl, Pop-Ikone. Keine andere Sportlerin ist je ähnlich verklärt, verkitscht und verkauft worden. Auch Anna Kurnikowa nicht. Der fehlte der ganz große Erfolg. Maria Scharapowa hat im Alter von 17 Jahren, zwei Monaten und 14 Tagen Wimbledon gewonnen. Boris Becker war bei seinem ersten Triumph fünf Monate älter.

Zudem adelt sie die Geschichte ihres Aufstieges: mit sieben Jahren die Heimat verlassen. Die Mutter zwei Jahre lang nicht gesehen. Im Schlafsaal des Camps wie auf dem Tennisplatz - Maria Scharapowa musste sich immer gegen ältere Gegnerinnen durchsetzen. Das hat sie geprägt. "Beim Tennis gibt es nur einen Sieger. Alles andere sind Verlierer. Das ist Teil des Spiels", sagt sie.

Eigentlich ist sie Linkshänderin. Als Kind griff sie den Schläger mit beiden Händen. Irgendwann dann nur noch mit Rechts. Fußball spielt sie mit Links. Beim Schreiben hält sie den Stift rechts, beim Essen das Messer links. Sie beherrscht beide Seiten. Die ernste und die heitere. Sie liest. Thriller von John Grisham, von Dan Brown.

Und Klatsch-Zeitschriften: People, Us. In Wimbledon gratulierte ihr der ehemalige russische Präsident Boris Jelzin per SMS. Bei der Rückkehr nach Florida begrüßte sie der Bürgermeister von Bradenton mit den Sätzen: "Du hast so hart für den Erfolg gearbeitet. Du bist ein All-American-Girl."

Wahrscheinlich ist das das Geheimnis ihres Erfolges: Dass in ihr jeder sehen kann, was er will. Eine talentierte Tennisspielerin, eine emsige Arbeiterin, eine Vertreterin des Ostens wie des Westens, eine elegante Erscheinung - hat es je eine Sportlerin gegeben, die in ähnlich viele Rollen passte?

"Als wirklich globale Persönlichkeit mit unbedingtem Siegeswillen scheint sie auserwählt, Eingang in die Reihen der großartigen Athleten zu finden, die über ihren Sport hinauswirken", hat die PR-Abteilung von Motorola gedichtet.

Bei den Australian Open im Januar in Melbourne schmückte Scharapowas Gesicht ein haushohes Plakat von Nike, auf dem stand: "Ist das der furchteinflößendste Anblick im Tennis?" Beim Masters im November in Los Angeles schmückten ihre Beine ein haushohes Plakat des Veranstalters, auf dem stand: "Je näher du bei ihr sitzt, desto heißer wird sie."

Dass all das ziemlich beispiellos ist, beeindruckt Maria Scharapowa wenig. Der Vogue hat sie in einem ihrer raren Interviews verraten: Vorbilder habe sie keine. Weil keiner vor ihr wirklich perfekt gewesen sei.

© SZ vom 19.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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