Manaus:Wettrennen zum Amazonas

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Dschungelabenteuer: Tatuyo-Indios in der Nähe von Manaus beim Fußball-Vergnügen. (Foto: Felipe Dana/AP)

Von den Stadien, die die Olympia-Planer berücksichtigten, ist die Arena in Manaus die seltsamste. Die Dschungelgroßstadt ist nur dabei, weil die Brasilianer ihre WM-Arenen zeigen wollen.

Von Boris Herrmann

Eine gute Nachricht aus Manaus: Für das olympische Fußballspiel zwischen Schweden und Kolumbien sind beide Teams rechtzeitig im Dschungel eingetroffen. Das ist keine Selbstverständlichkeit an diesem entlegenen Ort wie das Beispiel der japanischen Fußballer zeigt, die am Donnerstagabend (Ortszeit) noch bis kurz vor dem Anpfiff auf ihren Gegner aus Nigeria warteten.

Manaus hat ja ein Faible dafür, vor allem die - sagen wir - unglücklichen Sportnachrichten anzulocken. Zuletzt hat sich diese Stadt als höchst absurder Spielort der Fußball-WM 2014 einen Namen gemacht. Umgeben von sieben Millionen Quadratkilometern Regenwald brachte sie es fertig, die vermutlich trockenste Wiese der Südhalbkugel in ihre Arena da Amazônia zu pflanzen. Vor dem ersten WM-Spiel gab es sogar Gerüchte, die Grashalme seien mit grüner Farbe eingesprüht worden, damit zumindest der optische Eindruck entsteht, es handle sich um einen Sportplatz.

Mit Spannung wurde erwartet, ob Nigeria rechtzeitig zum Anpfiff gegen Japan erscheint

Es war in jedem Fall eine irrsinnige Idee, in dieser Dschungelgroßstadt, die keinen ernstzunehmenden Profiklub und offenbar auch keinen Greenkeeper hat, ein Fußballstadion für rund 200 Millionen Euro zu errichten. Andererseits ist es auch nicht viel irrsinniger als dort ein Opernhaus im Renaissance-Stil zu bauen oder einen bayerischen Biergarten. Was nun aber das Organisationskomitee der Spiele von Rio de Janeiro dazu bewegt hat, einen Teil des olympischen Fußballturniers in Manaus auszutragen, das versteht nicht einmal die Fifa. Als "nicht geeignet" bezeichnete sie diesen Spielort in einem vorolympischen Statement. Klar, vor zwei Jahren klang das noch ein bisschen anders. Da wurde die Arena da Amazônia als großes WM-Vermächtnis für leidgeprüfte Hinter-Regenwäldler angepriesen. Am Ende ist es natürlich so gekommen, wie es kommen musste: In Manaus gibt es jetzt neben grünen Krokodilen auch einen weißen Elefanten.

Die Dritte-Welt-Stadt im Zweite-Welt-Land Brasilien rückte mit ihrer überteuerten Mehrzweck-Arena, die eigentlich keiner braucht, dem Finanzkollaps noch ein Stückchen näher. Die Stadionverwaltung teilt dazu tapfer mit, dass in diesem Jahr schon 17 Begegnungen stattgefunden haben, in denen 58 Tore gefallen seien. Größtenteils handelte es sich um Freundschafts- und Jugendspiele. Für den bisherigen Zuschauerrekord (44 419) sorgte eine ausgelagerte Partie der Regionalmeisterschaft aus dem knapp 3000 Kilometer entfernten Rio de Janeiro: Flamengo gegen Vasco da Gama. Ein für September angesetztes WM-Qualifikationsspiel zwischen Brasilien und Kolumbien stand zwischenzeitlich vor der Absage. Wegen der teuren Logistik am Ort verlangte der Fußballverband CBF Eintrittspreise, die drei Mal so hoch waren wie üblicherweise. Bis Ende Juli waren nicht mal 5000 Karten verkauft.

Auch die mutige Entscheidung, für Olympia in den Dschungel zurückzukehren, stand von Anfang an unter keinen guten Vorzeichen. Manaus liegt von Rio deutlich weiter weg als etwa die Hauptstädte der brasilianischen Nachbarstaaten Argentinien, Uruguay, Paraguay und Bolivien. Bei einer Zeremonie zur Präsentation der Olympiafackel büxte dort ein zu Dekorationszwecken herbeigeschaffter Jaguar aus. Er wurde von einem Soldaten in Notwehr erschossen. Ende Juni soll das Organisationskomitee in Rio dann drauf und dran gewesen sein, Manaus wieder auszuschließen. Von den geplanten temporären Bauten am Stadion (dem Medienzentrum, der Fernsehsehverkabelung, den Zusatzkabinen) war noch nichts zu erkennen.

Es ist überhaupt ein seltsames Stadion-Konzept, das sich die Olympiamacher da ausgedacht haben. Die Eröffnungs- und Schlussfeier finden natürlich im berühmten Fußballtempel Maracanã statt. Weil es dort aber keine Tartanbahn gibt, findet die Leichtathletik in einem denkbar ungemütlichen Stadion statt, das offiziell auf den Namen João Havelange hört, den ehemaligen Fifa-Boss und Elder Statesman des brasilianischen Fußballklüngels. Rios Erstligist Botafogo, der dort seine Heimspiele austrägt, boykottiert diesen Taufpaten und benennt die Arena konsequent nach seinem Vereinsidol Nilton Santos. In großen Teilen Rios ist es wiederum nur als "Engenhão" bekannt. Für die Dauer der Spiele heißt es nun Olympiastadion.

Um Medaillen gekickt wird aber nicht nur im Maracaña sowie im Stadion der vielen Namen, sondern auch in Brasília, Belo Horizonte, Salvador, São Paulo und Manaus. Dem liegt der Plan zugrunde, die unausgelasteten Prachtbauten der Fußball-WM mal wieder gegen den Ruf ihrer Elefantenhaftigkeit zu verteidigen.

Was nun den Spielort Manaus betrifft, so hat sich in den zurückliegenden Tagen ein faszinierendes Wettrennen zum Amazonas ereignet, das halb Nigeria unter dem Hashtag #StrandedDreamTeam verfolgte. In Sachen absurde Fußballmeldungen sind die Nigerianer etwa so berühmt wie Manaus. Bei der WM 2014 drohten die Spieler ihren Achtelfinaleinsatz wegen eines Prämienstreits zu boykottieren. Erst eine Luftpost-Sendung von 3,8 Millionen US-Dollar bewegte sie im letzten Moment auf den Rasen. Diesmal saß Nigerias U23 tagelang bei einem Zwischenstopp in Atlanta fest, ausgerechnet dort, wo sie sich 1996 mit olympischem Fußballgold den Namen Dream Team erworben hatte. Offenbar war bei der Bezahlung für eine Chartermaschine nach Manaus "etwas schief gegangen", weshalb sich die Fluggesellschaft weigerte, die Nigerianer weiterzubefördern. Als die Überweisungsschwierigkeiten zwischen Abudja und Atlanta am Mittwochabend geklärt waren, stellte sich plötzlich heraus, dass die vorgesehene Chartermaschine "zu klein" für das komplette Team war. Von der kurzfristig aufgekommenen Idee, deshalb nur die erste Elf auszufliegen, wurde abgesehen.

Um 7 Uhr Ortszeit am Donnerstag sollte es dann endlich in einem passenden Flieger losgehen. Um 8.22 Uhr meldete ein Delegationsmitglied "just boarded". Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe stand noch nicht fest, ob es die Nigerianer rechtzeitig zum Anstoß am Donnerstagabend nach Manaus schaffen würden.

© SZ vom 05.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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