Luca Toni:Kraftprotz im Land der Chorknaben

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31 Treffer in der Liga, sieben im Nationaldress - Luca Toni, der beste Stürmer Italiens, steht für eine Zeitenwende.

Birgit Schönau

Noch kein Tor. Gegen Ghana gab es nur einen Lattenschuss und eine Menge Kärrner-Arbeit für die Mannschaft. Das Tor wird kommen, versichert Luca Toni, er hat da seine persönliche Wahrscheinlichkeitsstatistik. Jedes Spiel, das für ihn torlos verstreicht, erhöht die Möglichkeiten für einen Treffer im nächsten. So denken Optimisten.

(Foto: Foto: AP)

Toni weiß, dass im Match gegen die Amerikaner alle Augen auf ihn gerichtet sein werden. Torschützenkönig in Italien mit 31 Treffern, Held der Qualifikation mit drei Toren allein gegen Weißrussland. Toni gilt als einer der besten Stürmer Europas, als der stärkste vielleicht, und jetzt wollen die Leute seine Tore sehen, spektakuläre Treffer, eher aus Kraft entstanden als aus Wendigkeit. Wenig italienische Tore.

Einen Turm an der Seite

Früher hätte der Commissario Tecnico einen wie Toni mit seinen 1,93 Metern als Stopper eingesetzt, doch nicht in der Attacke. Vorn spielten Fliegengewichte wie Paolo Rossi oder Totò Schillaci, selbst Gigi Riva war einen Kopf kleiner als Toni und zehn Kilogramm leichter.

Der klassische attaccante all'italiana hatte den Körper eines Chorknaben - mager, schmächtig, wendig. Wie Meazza selig, der kam noch nicht einmal auf einssiebzig. Der Chorknabe im Angriff entwischte den gegnerischen Verteidigern, anstatt sich gegen sie durchzusetzen, er umdribbelte die mächtigen, aber hölzernen Abwehrtürme von Briten, Deutschen und Skandinaviern oder rannte ihnen davon, er spezialisierte sich auch gern auf Abstaubertore und scheute den Schwalbenflug nicht.

Zeitenwende mit Vieri

Dann kam 1998 Christian Vieri, ein Koloss von 1,85 Metern. Sie nannten ihn "Widder". Vieri blieb bei internationalen Turnieren glücklos, aber als Stürmer der Squadra Azzurra symbolisiert er trotzdem eine Zeitenwende.

Lippi stellt dem starken Toni inzwischen sogar einen zweiten Turm zur Seite, denn Vincenzo Iaquinta, der gegen Ghana traf, hat ein ähnliches Format. Und Alberto Gilardino, der Dritte im Bunde, ist auch nicht viel schmächtiger.

Filippo Inzaghi könnte noch weiter auf der Bank schmoren, denn er passt Nationaltrainer Marcello Lippi viel zu sehr ins Italien-Klischee der Ausländer. Der Trainer ist allergisch gegen Schwalben. Wenigstens bei der WM. Wenigstens in Deutschland. Es geht diesmal ums Ganze. Nämlich ums Image.

Lippis Kraftprotze sind deshalb diszipliniert und bodenständig. Und der bodenständigste von allen ist Toni. Die Ruhe in Person. Keine schillernde Diva, sondern ein bravo ragazzo, ein anständiger Junge. Einer, der sich nach oben gekämpft hat, dem nichts geschenkt wurde, und der jetzt, mit 29, bei seiner ersten WM wohl schon den Zenit erreicht hat, denn beim nächsten Mal gehört er schon zu den Elderstatesmen.

Toni kennt die Niederungen der zweiten und dritten Liga, er brachte die US Palermo erst vor zwei Jahren mit 30 Toren in die Serie A.

Nicht groß gefragt

Im vergangenen Sommer wechselte er für zehn Millionen Euro zum AC Florenz, er wurde nicht groß gefragt und passte sich doch schnell an. "Am Anfang haben sie mir hier gesagt: Es reicht uns, wenn du bloß gegen Juventus triffst", hat er erzählt.

Ihm reichte das aber nicht, deshalb machte er in fast jedem Spiel gegen fast alle ein Tor. Und trotzdem ist Luca Toni allen, auch den gegnerischen Fans, sympathisch. Ein Saubermann mit eigenem Kopf, der keine fertigen Sätze von sich gibt, sondern sagt, was er denkt. Nie hatte ihn Italien so nötig wie heute.

Auch die Fiorentina ist in den Manipulationsskandal verwickelt, auch Luca Toni weiß nicht, in welcher Liga und bei welchem Klub er von September an spielen wird. Inter Mailand hat Interesse angemeldet, auch der FC Barcelona.

Nur die Ruhe bewahren. Und sehen, was kommt: "Ich habe eine lange Lehrzeit hinter mir. Bin kein kleiner Junge mehr. Wenn ich jetzt meine Lebenseinstellung ändern würde, wäre ich ein Schwachkopf. Ich ertrage Leute nicht, die plötzlich Erfolg haben und sich dann für wer-weiß-wen halten."

Ball flach halten

Was solche Überzeugungen angeht, ist Luca Toni der verlängerte Arm von Marcello Lippi. Eine gute Figur machen, das Ergebnis heimbringen und ansonsten den Ball flach halten.

Gilardino hatte sich vom Kriegstreiber-Geheul der Amerikaner provozieren lassen und mit wichtigem Gesichtsausdruck ins Mikrofon gesprochen: "Ich weiß, dass unsere Soldaten im Irak das Match sehen werden. W

ir spielen auch für sie, denn sie kämpfen jeden Tag für Italien." Zu Hause heulte die Linke auf. O dio, Gilardino. Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph - na, lassen wir das. Toni wäre das nicht passiert.

Glamourfotos mit der Freundin

Toni trinkt nach dem Match gern ein Gläschen Wein und hätte ums Haar vorzeitig aufgehört mit dem Fußball. Das war 1997 bei der Fiorenzuola in der Serie C, "da saß ich nur auf der Bank und dachte ernsthaft darüber nach, die Segel zu streichen, nach Hause zurückzukehren und nur noch mit meinen Freunden zu bolzen".

Es kam dann anders. Nur die Freunde blieben. "Denen ist es egal, ob ich bei Fiorenzuola oder in der Nationalmannschaft spiele. Sie behandeln mich immer gleich." So etwas erzählt Toni mit einigem Stolz.

Er wundert sich darüber, dass "dir die Leute immer mehr schenken, je reicher und berühmter du wirst".

Sicher, er hat ein paar Glamour-Fotos mit seiner Freundin Marta gemacht, mit wenig an und entrücktem Gesichtsausdruck. So ist nun mal das Geschäft. Er erledigt das, aber es interessiert ihn nicht. Seine Freundin Marta hatte einen Auftritt beim diesjährigen Schlagerfestival, aber Luca Toni ließ sich nicht blicken. Er will den Rummel nicht. Er will bloß Tore.

Luca Toni sagt: "Wenn ich nicht meine ganze Karriere in der Fußballprovinz verbracht hätte, sondern in Mailand oder Turin gelandet wäre, hätte ich doch nie so viele Tore schießen können." Wer derart geradeaus denkt, der muss einfach treffen.

© SZ vom 17.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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