Leverkusener Saisonbilanz:Fallen und geschickt aufstehen

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Zum vierten Mal binnen fünf Jahren erreicht Bayer 04 die Champions League. Der Wendepunkt einer eindrucksvollen Spielzeit ist die Läuterung des Trainers Roger Schmidt.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Leverkusen gegen Ingolstadt, das war am letzten Spieltag auch das Duell zweier Klubs, die wie nur wenige Konkurrenten mit dem Saisonergebnis zufrieden sein können. Der Aufsteiger verdiente sich redlich den Ruf eines hypernervigen Gegners und war früh gerettet. Noch heller strahlen die Gesichter in Leverkusen, das sich zum vierten Mal binnen fünf Jahren für die Champions League qualifiziert hat - eine Quote, die nur vom FC Bayern überboten wird.

Hätten Bayern - oder auch der Tabellenzweite Borussia Dortmund - eine Spielzeit voller Aufs und Abs wie der Werksklub erlebt, wären darüber dutzendweise Aufsätze, Essays und Kommentare verfasst worden. In Leverkusen wird das traditionell anders gesehen: Die Berichterstatter hängen generell alles deutlich niedriger.

Schmidts einmalige Entgleisung

Das wäre in dieser Spielzeit ein Mal fast anders gekommen. Am 5. März um 16.42 Uhr schien klar zu sein, dass die Saison von Bayer Leverkusen eine zum vergessen war. Das Team hatte sich gerade das 0:3 in Augsburg eingefangen. Und da zuvor bereits drei Partien in Serie verloren gegangen waren, fragten sich nicht Wenige, ob Roger Schmidt nach dem Ende seiner Drei-Spiele-Sperre überhaupt noch einmal auf die Bayer-Bank zurückkehren würde.

Ende gut, alles gut? Nach Leverkusens Turbulenzen während der Saison und dem Ausrutscher von Trainer Schmidt, scheint etwas Ruhe eingekehrt zu sein. (Foto: Sascha Schurmann/AFP)

Zwei Wochen zuvor hatte sich der Trainer eine einmalige Entgleisung geleistet, als er sich weigerte, auf die Tribüne zu wechseln, wie von Schiedsrichter Felix Zwayer angeordnet. Wie ein störrisches Kind stand Schmidt an der Seitenlinie und verlangte, der Unparteiische solle ihm diesen Verweis persönlich erklären. Als Zwayer daraufhin die Partie unterbrach und die Spieler in die Kabinen schickte, war der Eklat perfekt - und der stets eigenwillig auftretende und urteilende Schmidt stand in der Kritik wie noch nie in seinen 20 Monaten am Rhein.

Doch an jenem März-Nachmittag in Augsburg verwandelte Bayer in den letzten Minuten das 0:3 noch in ein 3:3 - und gewann danach sieben Spiele in Serie, fünf davon zu null. Der Trainer, den stets der Ruf des Besserwissers und Hochmütigen verfolgte, durfte bleiben, Rudi Völler verteidigte ihn bei (fast) jeder Gelegenheit. Und siehe da: Schmidt gab sich fortan lockerer, souveräner, geradezu geläutert. "Ich bin glücklich, wie sich diese Saison entwickelt hat", sagte er am Samstag, nach der letzten Prüfung, einem am Ende umjubelten 3:2 (2:1) gegen stark aufspielende Ingolstädter; einer Prüfung, die mehr eine Kür mit Kuriositäten war.

Die Trainer Roger Schmidt (Leverkusen, l.) und Ralph Hasenhüttl (Ingolstadt, r.) können beide auf eine erfolgreiche Saison zurückblicken. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Denn Schmidt etwa wollte seinen beiden Ersatz-Torhütern Dario Kresic, 32, und David Yelldell, 34, unbedingt noch ein Abschiedsgeschenk machen, bevor sie den Klub verlassen. In der 47. Minute kam also Yelldell für Kresic. Für beide war es der erste Bundesliga-Einsatz überhaupt - und um ein Haar hätte Leverkusen wegen der frühzeitigen Wechsel die letzten 20 Minuten zu zehnt bestreiten müssen, aber der merklich angeschlagene Verteidiger Ömer Toprak humpelte bis zum Schlusspfiff durch.

Der Kader soll zusammengehalten werden, auch Toprak soll bleiben

Kresic und Yelldell gehen, doch ansonsten wollen die Leverkusener ihren bemerkenswerten Kader voller umworbener Spieler zusammenhalten. "Wir müssen niemanden verkaufen", sagte Sportdirektor Rudi Völler, der auch nicht gewillt zu sein scheint, Verteidiger Ömer Toprak an Borussia Dortmund abzugeben. Jedenfalls nicht ohne eine gewaltige Kompensation.

Wacklig ist höchstens der Mexikaner Chicharito, der im Sommerschlussverkauf von Manchester United kam - und nach 17 Saisontoren schon bald wieder in der Premier League landen könnte. Auf lange Sicht wichtiger scheint aber zu sein, dass Bayer Twens wie Julian Brandt und Karim Bellarabi bindet. Die Tempodribbler, die bestenfalls bescheiden in die Saison gestartet waren, prägten im letzten Saisonviertel das Leverkusener Spiel.

Bellarabi und Brandt, die sich berechtigte Hoffnungen auf eine EM-Nominierung machen, waren auch am Samstag noch einmal die Hauptdarsteller. In der entscheidenden Szene des Spiels ließ Bellarabi die Ingolstädter stehen wie in einem Comic. Er wurde von Marvin Matip im letzten Moment gefoult; taktisch clever - aber Bellarabi war noch cleverer: Im Liegen legte er sich flott den Ball zurecht, und während Schiedsrichter Guido Winkmann auf Matip zulief, um diesen zu verwarnen, kam der Ball schon bei Kevin Kampl an, der diesen kuriosen Angriff mit dem Tor zum 2:1 für Bayer 04 krönte. Eigentlich ein irregulärer Treffer, weil der Ball vor dem Freistoß nicht vollständig ruhte. Dennoch war es ein Tor, das durchaus ein Essay verdient hätte - und als Symbol für die Leverkusener Saison herhalten konnte: Gefallen - und dann viel geschickter aufgestanden, als alle erwartet hatten.

© SZ vom 15.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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