Leverkusen nur in Europa League:28 Minuten Märchen

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Abschied aus Leverkusen: Stefan Kießling. (Foto: Marius Becker/dpa)

Spiegelbild einer Saison: Auch beim 3:2 gegen Hannover lässt Bayer 04 zu viele Chancen aus. Das kostet den Werksklub die Champions League.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Um 17.12 Uhr schien plötzlich alles möglich zu sein. Es gab Elfmeter für Bayer Leverkusen in dieser 83. Minute, und der, der ihn schießen sollte, wurde genau in diesem Moment zu seinem 403. und letzten Bundesligaspiel eingewechselt. Stefan Kießling, 34, war bereit, zur 4:0-Führung für Leverkusen einzuschießen und danach noch sieben plus vier Minuten lang zu versuchen, mit dem fünften Treffer die Qualifikation für die Champions League klarzumachen. Kießling stand am Elfmeterpunkt, doch der Schiedsrichter Guido Winkmann nahm den Elfmeter nach Videoansicht wieder zurück, und damit war auch das Märchen für Leverkusen und Kießling zu Ende. Kein Elfmeter, kein viertes Tor, stattdessen noch zwei Treffer für Hannover 96 in der Nachspielzeit. Am Ende stand es 3:2 (2:0), Leverkusen war nur Fünfter - keine Champions League in der kommenden Saison, bloß Europa League. Sie spielten dramatisch-traurige Musik ein in der Arena, Marke: "Herr der Ringe nach der verlorenen Schlacht".

"Es hätte zwischenzeitlich sechs, sieben null für uns stehen können", sagte der Angreifer Kai Havertz traurig, "aber wir freuen uns jetzt auch über die Europa League." Havertz ist 18, er darf das sagen. Durch die Emotionen anlässlich des Abschieds von Kießling sah sich auch Abwehrspieler Jonathan Tah halbwegs versöhnt. "Wir sind einerseits enttäuscht, andererseits war die Atmosphäre nach dem Spiel tröstlich. Am Ende war das mit der Champions League den Fans irgendwo egal. Da stand Kies im Vordergrund."

Die Hoffnung hatte bis zuletzt gelebt. In der Blitztabelle waren die Leverkusener am Samstagnachmittag insgesamt 28 Minuten lang Tabellenvierter und damit zwischenzeitlich doch für die Champions League qualifiziert gewesen: Für 24 Minuten in der ersten Halbzeit und noch einmal für vier Minuten in der zweiten, als Dortmund in Hoffenheim ausgeglichen hatte. Am Ende aber übernahm die Abschlusstabelle für die Blitztabelle, und darin stand Leverkusen nur auf Platz fünf. Dass Kießling nach dem Spiel weinte, hatte nicht dies zum Grund. Er verabschiedete sich nach zwölf Spielzeiten in Leverkusen von den Fans. Es war ein erhebender Moment an einem versauten Nachmittag für Leverkusen.

"Wir brauchen uns nicht zu schämen"

"Dieses Märchen hätte man eigentlich mal zulassen müssen", sagte Trainer Heiko Herrlich nach dem Spiel über jenen Moment, als Kießling auf den Elfmeter wartete und ihn nicht bekam. Die Debatten um den Videobeweis hätten eine neue Komponente bekommen, wenn man künftig auch noch märchenhafte Einflüsse berücksichtigen wollte. Aber aus Herrlich sprach die doppelte Traurigkeit nach dem Verpassen der Champions League und dem Abschied von einem großen Stürmer. "Die Champions League haben wir nicht heute vergeigt, sondern in den Spielen davor", sagte Herrlich. Er fand Leverkusens Saison trotzdem "sehr gut" und beschloss: "Für den fünften Platz brauchen wir uns nicht zu schämen." Sportchef Rudi Völler bilanzierte: "Es war eine gute Saison - aber mit Platz vier wäre es eine sehr gute gewesen."

Ihren ersehnten Fünf-Tore-Vorsprung hätten die Leverkusener zur Pause bereits erzielt haben müssen. Die Hannoveraner spielten wie Basketballer - körperlos. In der 3. Minute schoss Lucas Alario das 1:0, in der 6. Minute schoss Wendell einen Foulelfmeter (Sebastian Maier an Julian Baumgartlinger) am Tor vorbei, in der 18. Minute erhöhte Alario (nach haarsträubendem Fehlpass von Matthias Ostrzolek) auf 2:0, und bis zum 3:0 durch Julian Brandt (55.) hatten die Gastgeber noch zahlreiche Einschussmöglichkeiten. Hannover schien weder willig noch fähig, sich mit einer ordentlichen Leistung aus der Saison zu verabschieden.

Doch als die Kunde von Hoffenheims Toren zum 3:1 gegen Dortmund die Runde machte, ließ der Schwung der Leverkusener nach. Und als Kießling das Abschiedsgeschenk verwehrt wurde, war das Spiel für Bayer irgendwie vorzeitig vorbei. Niclas Füllkrug und Martin Harnik trafen gegen völlig erschöpfte Leverkusener. "Das Ergebnis war natürlich schmeichelhaft", gestand Füllkrug später. "Wir wollten uns nichts vorwerfen lassen", sagte der Trainer André Breitenreiter, dabei hatte die Leistung von 96 wirklich nur in den letzten zehn Minuten gestimmt

In den letzten zehn Minuten der Karriere von Stefan Kießling, der weinend auf dem Zaun stand und sich von den Fans verabschiedete. "Ich weiß gar nicht, wie spät es ist", sagte der 34-Jährige, als er endlich in die Katakomben kam: "Ich bin fix und fertig. Es war überwältigend, aber jetzt freu ich mich, mich mal fünf Minuten hinzusetzen und eine Cola zu trinken."

© SZ vom 13.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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