Leichtathletik-WM in Osaka:Revanche gegen die Hitze

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Der alte und neue 10000-Meter Weltmeister Kenenisa Bekele überwindet rechtzeitig seine Erschöpfung.

Thomas Hahn

Es war, als ob Kenenisa Bekele in der vorletzten Kurve lächelte. Wusste er da schon, dass er auch dieses 10000-Meter-Rennen gewinnen würde? Dass er nur noch 200 Meter von seinem nächsten Gold entfernt war, obwohl sein Landsmann Sileshi Sihine ihm doch schon um ein paar Schritte enteilt war? Obwohl er zwischendurch ziemlich müde ausgesehen hatte?

Wenige Augenblicke später trat er an, und schnell legte er zehn, zwanzig Meter zwischen sich und Sihine. Bei diesem Schlussspurt sah auf einmal alles wieder ganz leicht aus, leichter als man es ihm vor wenigen Monaten noch zugetraut hatte, als er müde und abgespannt in Addis Abeba saß und bezweifelte, ob er überhaupt bei der WM im drückenden japanischen Sommer antreten würde.

Seine Genesung wirkt in der Rückschau wie ein kleines Wunder, und wie bei allen kleinen Wundern dieser WM hat auch Bekele damit ein paar Zweifel auf sich gezogen. Bekele aber bekreuzigte sich, er zeigte mit Sihine Plakate zum Millenniumsfest seiner Heimat, das nach dem äthiopischen Kalender auf dieses Jahr fällt und später sagte er: "Ich bin glücklich."

Trauma Mombasa

Die Welt hat längst verstanden, dass aus Äthiopien die besten Läufer kommen, und deswegen nimmt sie es nur noch mit müdem Applaus zur Kenntnis, wenn sich diese zierlichen Menschen in den grünen Hemden ganz vorne platzieren. Aber auch ihre Erfolge haben eine Geschichte, und diese WM von Osaka ist für sie die größte Herausforderung seit langer Zeit gewesen. Ihre Herrschaft auf den langen Bahnstrecken ist brüchiger als sonst, und das liegt am Schauplatz dieser Titelkämpfe.

Äthiopiens Läufer sind das milde Klima ihres Hochlandes gewohnt, die gemäßigten Temperaturen in der Hauptstadt Addis Abeba und die frische dünne Luft auf der anderen Seite des Grabenbruchs, in der Provinz Arsi, wo die meisten äthiopischen Meister - auch Bekele - herkommen. Dieses Klima ist einer der Gründe für ihren Erfolg, es bietet ihnen während des ganzen Jahres ideale Bedingungen. Aber es bedeutet auch, dass sie es nicht gewohnt sind, wenn die Hitze groß ist und die Luft dick.

In Japan ist die Hitze groß und die Luft dick, kein WM-Tag ist bisher vergangen, ohne dass nicht irgendjemand darüber geklagt hätte. Es hieß in diesem Jahr kurz, dass Haile Gebrselassie, der zweimalige Olympia-Sieger über 10000 Meter, für diese WM vom Marathon noch einmal zurück auf die Bahn wechseln würde. Aber er dachte an Japans Schwüle und sagte: ,,Osaka ist nicht der Ort, an dem man sein sollte.'' Keiner in Äthiopien hat vergessen, wie ihre Leute bei der Cross-WM im März in Mombasa eingingen, als die Luftfeuchtigkeit noch höher war als in Osaka, die Hitze noch atemraubender, und Bekele kurz vor dem Ziel entkräftet aufgeben musste.

Und das 10000-Meter-Rennen der Frauen am Samstag wurde ein Spiegel dieser Schwierigkeiten. In den vergangenen Jahren hatten die Äthiopierinnen regelmäßig die ersten drei Plätze belegt. Diesmal fehlte ihnen die Puste dazu. Mestawet Tufa stieg aus, Ejegayehu Dibaba und Aheza Kiros verloren früh den Anschluss. Nur durch eine Energieleistung von Ejegayehus jüngerer Schwester Tirunesh Dibaba, der Titelverteidigerin, blieb die Hierarchie halbwegs gewahrt. Sie blieb an der gestolperten Tufa hängen, sie hatte Magenkrämpfe und zwischenzeitlich einen beträchtlichen Rückstand, aber sie nahm all ihre Kräfte zusammen und sprintete in der Schlussrunde zum Gold. Sie sagte: ,,Wenn es nicht für mein Land gewesen wäre, dann wäre ich ausgestiegen.''

Auch bei den Männern gerieten Äthiopier in Turbulenzen: Tadesse Tola überrundet, Gebreegzabher Gebremariam überfordert als Domestike für Sihine und Bekele. Aber Zersenay Tadesse, der Cross-Weltmeister aus Eritrea, tat den Favoriten den Gefallen, acht Kilometer lang vorauszulaufen. Das war eine gute Vorlage, um auch den Angriff des Kenianers Martin Irunqu Mathathi abzufangen. Am Ende hatte Bekele Revanche genommen im Rennen gegen die Hitze.

Die Niederlage von Mombasa ist nämlich ein ziemlich traumatisches Erlebnis für ihn gewesen. Er war verzagt, die Müdigkeit seines Körpers schlug sich auf seine Seele nieder. Man musste fast befürchten, dieses Aus und die Kritik danach habe ihn für längere Zeit gebrochen. Ende Mai beim Meeting seines Managers Jos Hermens in Hengelo prüfte Bekele sich selbst, gewann, aber fühlte sich schwach. Hermens schickte ihn zu einem Homöopathen in Holland, er sagt, mit Akupunktur, Magnetfeld-Behandlung, Mineralien- und Vitamin-Therapie habe der ihn wieder fit gemacht. Der Rest war Training in Addis Abeba, sagt Hermens. Als Kenenisa Bekele Mitte Juli in Sheffield nach Europa zurückkehrte, war er wieder der Alte: 7:26,69 Minuten über 3000 Meter, Weltjahresbestzeit.

Den Manager Jos Hermens hat der Deutsche Leichtathletik-Verband im vorigen Jahr wegen Verdachts auf Dopinghandel angezeigt nach Erkenntnissen aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Spanien gegen verschiedene Sportärzte. Hermens verklagte den Verband, trotzdem kann man in ihm so etwas wie die Schwäche in Bekeles Biographie sehen, die Bekele selbst bestimmt nicht als solche wahrnimmt und die ihn jetzt natürlich auch nicht kümmerte. Er sagte, drei Runden vor Schluss habe er gespürt, wie die Müdigkeit in seine Beine kroch: ,,Ich war beunruhigt'', sagte er und man merkte ihm an, wie froh er war, dass er der japanischen Hitze mit einer Goldmedaille entkommen war.

© SZ vom 28.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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