Leichtathletik-Star Christine Arron:"Ich besitze den wahren Weltrekord"

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Die Französin Christine Arron, 31, ist eine der schnellsten Frauen der Welt und wegen ihrer klaren Aussagen zum Dopingproblem in der Leichtathletik eine der wenigen glaubwürdigen Sprinterinnen. Manche halten sie sogar für die wahre 100-Meter-Weltrekordlerin.

Thomas Hahn

SZ: Frau Arron, haben Sie einen Rat für Marion Jones, die dreifache Olympiasiegerin von Sydney 2000?

Viele halten sie für die wahre Weltrekordlerin: Christine Arron. (Foto: Foto: ap)

Arron: Einen Rat? Nein.

SZ: Aber Sie müssten doch einen haben. Marion Jones hat Probleme, ihre Form wiederzufinden nach ihrer Schwangerschaft. Sie hat sich nicht für die WM qualifiziert. Sie dagegen haben das Comeback nach der Geburt Ihres Sohnes Ethan 2002 geschafft.

Arron: Ich weiß nur, dass sie gesagt hat, nach ihrer Schwangerschaft werde sie noch stärker sein. Ergebnisse habe ich keine gesehen. Ich selbst habe mein Niveau ziemlich schnell wiederfinden können nach meiner Schwangerschaft. Ich habe normal trainiert, zunehmend mehr. Die Schwangerschaft selbst war eine Phase, in der ich mich ausruhen konnte, in der ich mich ein bisschen erholen konnte und jetzt - also, ich glaube, dass man seine alte Stärke durchaus wiederfinden kann. Ich weiß ja nicht, was Marion Jones vorher gemacht hat (sie lacht). Außerdem war sie seit dem Skandal um das Labor Balco (kalifornischer Nahrungsergänzungshersteller, über den Marion Jones wie viele andere US-Sprinter Dopingmittel bezogen haben soll, Anm. d. Red.) nicht so leistungsfähig, dass man meinen könnte, die Schwangerschaft hat ihre Leistung gemindert. Bei einem Mädchen ihres Talents - so sie denn wirklich so talentiert ist -, dürfte die Schwangerschaft eigentlich nicht verhindern, dass sie wieder ihre alte Form findet.

SZ: Ihre Beziehung zu Marion Jones wirkte immer etwas unterkühlt.

Arron: Ja, sie ist kalt. Es gibt nicht viele, die eine Beziehung zu ihr haben. Das einzige Mal, wo ich ihr gratuliert habe, hat sie mich nicht einmal angeschaut.

SZ: Irgendwelche Gefühle für sie?

Arron: Ich ... ich empfinde kein Mitleid für sie. Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass sie betrogen hat, auch wenn es dafür keine Beweise gibt. Außerdem ist sie mir nicht sympathisch. Warum sollte ich also Mitleid mit ihr haben?

SZ: Sie haben einmal gesagt, dass Sie wegen des Dopings viele Medaillen verloren haben. Wie viele, glauben Sie?

Arron: Ich weiß, dass ich welche verloren habe, aber ich könnte das nicht in Zahlen ausdrücken. Auch wenn man sie nie erwischt hat, hat man den Eindruck, dass manche Athleten gedopt haben. Es ist sicherlich so, dass es in der Leichtathletik zwei Geschwindigkeiten gibt.

SZ: Glauben Sie, dass Sie den wahren Weltrekord über 100 Meter besitzen?

Arron: Vielleicht (sie lacht). Ja, wenn man sich die Mädchen anschaut, die vor mir sind - ja, das kann ich so sagen, offen gestanden.

SZ: Sie haben auch gesagt, dass die Skandale der vergangenen Jahre Möglichkeiten eröffnet hätten für diejenigen, die nicht dopen. Aber dann verbessert sich eine Julia Nesterenko aus Weißrussland binnen eines halben Jahres um eine halbe Sekunde und wird Olympiasiegerin. Wie glaubwürdig ist das?

Arron: Die Olympiasiegerin ist vor den Spielen schon super leistungsfähig gewesen, soviel ist sicher, und danach hat man sie nicht mehr gesehen. Da fragt man sich schon, wie glaubwürdig diese Leistung bei Olympia ist. Zumal man weiß, dass es Substanzen gibt, die nicht nachweisbar sind, nicht wahr. Wenn man nicht die Spritze mit den Proben des Designer-Steroids THG gehabt hätte, hätte man den Nachweis dafür nie entdeckt, zumindest nicht sofort. Das heißt, die Betrüger sind uns im Antidopingkampf immer voraus. Das ist ein Problem. Dagegen können wir Athleten nichts machen.

SZ: Ist das nicht deprimierend?

Arron: Das ist ärgerlich, aber ich kann nicht die ganze Zeit daran denken, sonst kann ich nicht laufen.

SZ: Geht das? Nicht daran zu denken?

Arron: Ich denke daran, aber ich denke nicht die ganze Zeit daran, nein.

SZ: Haben Sie den Verdacht auch schon gegen sich gerichtet gesehen?

Arron: Oh ja, als ich die 10,73 Sekunden gelaufen bin. Es hat sogar Leute gegeben, die mir das gesagt haben.

SZ: Verstehen Sie das?

Arron: Ja, ich verstehe das. Das Problem ist sowieso, dass jeder sofort des Dopings verdächtigt wird, sobald er eine gute Leistung bringt. Leider ist das so gekommen. Aber gut, ich weiß, dass echt ist, was ich mache und wie ich es mache, das ist das Wichtigste. Dass man sich noch im Spiegel anschauen kann und sagen: Ich habe das auf saubere Art gemacht. Außerdem bin ich immer verfügbar für die Kontrolleure. Ich fand es sogar gut, dass sie vor und während den Meisterschaften Blutproben genommen haben und nicht nur Urinproben. Auch bei den unangekündigten Trainingskontrollen nehmen sie Blutproben.

SZ: Ihr Sohn ist wohl noch zu jung, um das alles zu verstehen.

Arron: Doch, doch, doch, er versteht, ja, weil ich ihn sehr oft zum Training mitnehme, und ein paar Mal auch zu Wettkämpfen. Er weiß, dass ich laufe.

SZ: Aber was sagen Sie ihm, wenn er fragt, warum Sie verloren haben?

Arron: Ach so, nein, darüber redet er nicht. Wenn ich gewinne, ist er zufrieden, und wenn er mich im Fernsehen sieht, ist er auch zufrieden. Aber er hat noch nicht im Blick: Mama hat gewonnen, Mama hat verloren. So weit ist er noch nicht. Er ist zu klein.

SZ: Soll er ein Athlet werden wie Sie?

Arron: Wenn er will. Ich muss das nicht unbedingt haben. Ich weiß, dass er sich gerne austobt, dass er gerne läuft. Aber später? Mal sehen.

SZ: Wenn Sie Ihren Sohn davon überzeugen wollten, dass Leichtathletik der Sport ist, den man machen muss - was würden Sie sagen?

Arron: Dass das der Sport ist, den man machen muss ... ich weiß nicht ... im aktuellen Zusammenhang würde ich das nicht mehr sagen ... Das hat mit einer sehr tief greifenden Motivation zu tun. Weil ich weiß, dass das eben nicht der Sport ist, den man machen sollte, wenn man ihn nicht liebt. In der Leichtathletik bekommt man nicht so viel Hilfe wie in anderen Sportarten. Leichtathletik ist ein schöner Sport. Aber letztlich muss man ihn wirklich lieben.

SZ: Spüren Sie Druck?

Arron: Natürlich, ich hatte Probleme bei den großen Meisterschaften und danach haben die Medien sich darauf konzentriert. Sie versuchen, das zu verstehen, dieses Mysterium. Das ist Druck.

SZ: Und was ist Ihre Erklärung für Ihre Schwäche bei großen Meisterschaften?

Arron: Es ist wahr, dass ich bei Olympia gescheitert bin, aber bei der WM davor kam ich gerade von meiner Schwangerschaft wieder. Ich war Fünfte, das ist gut nach acht Monaten Pause. Trotzdem hat man gefragt, ob das Niveau nicht hätte besser sein können. Gut, und nach 1999 hatte ich Knieprobleme. Sie sehen das wie eine Niederlage, aber wenn man das gegenüberstellt, dann hatte ich trotzdem gute Jahre. Naja. Ich hoffe, dass sie aufhören werden, darauf loszugehen, wenn dieses Jahr so weitergeht.

SZ: Bereuen Sie das Halbfinal-Aus bei den Spielen in Athen nicht?

Arron: Das ist ärgerlich, weil ich nicht mein ganzes Leben auf dem hohen Niveau rennen werde, wie ich das voriges Jahr getan habe. Aber ich werde mich nicht aufhalten mit der Niederlage von Athen, ich gehe über zu anderen Dingen.

SZ: Sie haben auch in den USA trainiert, in der Gruppe von John Smith, zu der auch der frühere 100-Meter-Weltrekordler Maurice Greene gehört. Was sind die Unterschiede zwischen dem amerikanischen Training und dem europäischen?

Arron: Die Art des Trainings ist ein bisschen anders, die Erholungszeiten sind kürzer, es ist letztlich das Programm, das den Unterschied ausmacht. Das war ein bisschen zu hart für mich.

SZ: Warum haben Sie das damals überhaupt gemacht?

Arron: Weil ich etwas anderes versuchen wollte. Also ... gut, der Versuch ist gemacht (sie lacht).

SZ: Es war ein ziemlich kurzer Versuch, ein halbes Jahr nur.

Arron: Stimmt, aber es hat mir nicht sehr viel Spaß gemacht. Ich hatte nicht genügend Betreuung in den USA. Ich habe nicht wirklich die Mannschaft dort gefunden, die ich brauchte.

SZ: Hat Ihnen das Training in den USA trotzdem etwas geholfen?

Arron: Es war eine Erfahrung, es hat mir neue Einblicke verschafft, aber es war schwierig. Tja... hat mir das geholfen? Bei gewissen kleinen Dingen schon, auf der Geraden, bei der Erwärmung. Aber im Großen und Ganzen ... ich hatte ziemlich wenig Zeit. Und im Jahr darauf war ich schwanger.

SZ: Der Charakter eines Athleten scheint Ihnen wichtig zu sein. Sie haben mal Marie-José Pérec, die dreimalige französische Olympiasiegerin und große Diva, kritisiert wegen ihrer Allüren.

Arron: Kritisiert? Nein. Es stimmt schon, ihr Temperament ist speziell. Aber ich kritisiere nicht sehr gerne Leute, die ich gar nicht so gut kenne.

SZ: Und Sie? Wie sind Sie?

Arron: Ich weiß nicht, das hängt von der Perspektive ab.

SZ : Es ist schwierig, sich selbst zu charakterisieren, nicht wahr?

Arron: Ja, ich ... ich bin anspruchsvoll, perfektionistisch.

SZ: Sie sind nie zufrieden mit sich?

Arron: Doch, das kommt vor. Aber nicht oft (sie lacht).

SZ: Sie wollen bis 2008 weitermachen. Das ist eine lange Zeit. Sie sind 31 ...

Arron: Man wird sehen. Alles hängt davon ab, wie ich mich körperlich fühle, wie ich mich im Kopf fühle, wie die Motivation ist. Also... nein, im Moment scheint mir die Zeit bis zu den Spielen nicht lang zu sein. Es sind drei Jahre.

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