Leichtathletik in New York:Ungewohnter Gegenwind

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Ein schillernder Typ: Auf der Rennbahn hat der Name des Jamaikaners Usain Bolt allerdings etwas an Glanz verloren. (Foto: Bebeto Matthews/AP)

Usain Bolt ist auch in seinem zweiten Rennen der Saison noch weit von der Form der vergangenen Jahre entfernt. Er selbst redet von "einem meiner schlechtesten Rennen".

Von Johannes Knuth, New York/München

Usain Bolt hatte zuletzt ein wenig Ärger mit seinen Nachbarn. Bolt lädt in seiner Villa in Kingston gerne einmal zu dem einen oder anderen Umtrunk, sehr zur Freude der Kingstoner Partyszene, eher weniger zur Freude von Bolts Nachbarschaft. "Er ist ein schrecklicher Nachbar", schrieb Jodi Stewart-Henriques, Model und Ehefrau von Rapper Sean Penn, kürzlich auf Facebook. Als belastende Beispiele führte sie an: "Laute, fürchterliche Musik, Motorräder, Partys und Geschrei." Sämtliche Nachrichtenportale von Kingston bis Kirgisistan sogen die Zitate genüsslich auf.

Das versetzte wiederum die Öffentlichkeit in Bolts Heimat in Aufruhr. Der 28-Jährige ist ja immerhin ein Nationalheld dort, er hat bei den gar nicht mehr so fernen Weltmeisterschaften Ende August in Peking gefälligst wieder ein paar Goldmedaillen zu gewinnen, über die 100, 200 Meter und mit der Sprintstaffel. Und hatte Bolt nicht zuletzt selbst angekündigt, er wolle seine Weltrekorde, die 9,58 (100) und 19,19 (200) noch einmal drücken, ehe er seine Karriere bei den Sommerspielen in Rio mit ein paar Medaillen veredelt?

Der Vorsprung beträgt gerade einmal 0,03 Sekunden

Am Samstag lief Bolt beim Diamond-League-Meeting in New York die 200 Meter. Es war sein zweites seriöses Rennen der Saison. Er hatte Besserung gelobt nach dem mauen Saisonstart. Er lief los, setzte sich an die Spitze des Feldes, die Kurve über die 200 Meter kann Bolt noch immer so gut laufen wie kaum ein anderer. Dann bogen die Läufer auf die Zielgeraden, das war der Punkt, an dem sich Bolt für gewöhnlich von der Konkurrenz löst. Diesmal blieb der 28-Jährige am Feld kleben. Er trudelte nach 20,29 Sekunden ins Ziel, verlor beinahe gegen Zharnel Hughes vom Inselstaat Anguilla (20,32).

Usain Bolt ist in seiner Karriere sehr oft unwirklich schnell gelaufen, der Maßstab ist dabei oft verrutscht, nicht selten wurden ihm sehr gute Zeiten als Mittelmaß ausgelegt. Aber diese 20,32 Sekunden vom Samstag, die wollte Bolt gar nicht erst schönreden, auch nicht, obwohl ihm der Wind kräftig entgegengeweht hatte (2,8 Meter pro Sekunde). "Das war eines der schlechtesten Rennen meiner Karriere", sagte Bolt, "ich weiß nicht, was schiefgelaufen ist."

Vor sechs Jahren, kurz vor den Weltmeisterschaften in Berlin, hat Bolts Schuhsponsor eine Werbekampagne geschaltet: "Who faster?", stand auf den Plakaten. Sie hängten sie überall in Berlin auf, es war eine Frage, die keine war, die Antwort stand ja fest: Usain Bolt, wer sonst? Bolt lief dann seine Weltrekorde, 9,58 und 19,19 Sekunden. Er ist mittlerweile sechsmaliger Olympiasieger, achtmaliger Weltmeister. Bolt nahm 2014 allerdings nicht an einem einzigen 200-Meter-Lauf teil, über die 100 Meter überließ er Justin Gatlin das Feld, lief selbst nur die 15.-schnellste Zeit der Welt, ausgebremst von diversen Verletzungen. Die Auftritte in diesem Jahr? Bestenfalls mäßig für seine Verhältnisse. Der Schnellste? Ist gerade Justin Gatlin. Der 32-Jährige bietet derzeit fantastische Zeiten an, 9,74 Sekunden über die 100 Meter, 19,68 Sekunden, er läuft im hohen Alter schneller als je zuvor nach seiner langen Dopingsperre, aber das ist eine andere Geschichte.

Der Jamaikaner wirkt nachdenklich, die Konkurrenz unkt

Wenn Bolt in diesen Tagen auftritt, ist die Aufregung noch immer groß. Der Jamaikaner muss dafür gar nicht rennen. Er veranstaltet ein Spektakel, indem er einfach da ist. Es ist unerheblich, ob Bolt gerade Chicken Wings isst, Playstation spielt, an seinem Handy herumspielt, wie in New York, in New York spielte Bolt wirklich häufig an seinem Handy herum - was die Regie des Diamond-League-Meetings am Samstag nicht davon abhielt, alle zwei Minuten aus dem Stadion zu Bolt zu schalten. Der starrte dann meist noch immer gelangweilt in sein Handy. Irgendwann betrat er dann endlich das Stadion, die Zuschauer raunten, dann kreischten sie, Bolt war gerade vorgestellt worden. Er zeigte seine Sternendeutergeste, eines der größten PR-Symbole des Weltsports. Ansonsten wirkte Bolt nachdenklich, wie er in den Wochen und Monaten zuvor bereits gewirkt hatte.

"Ich glaube, er weiß, dass es schwer sein wird, noch einmal dieser dominante 9,6-Sprinter zu sein", sagte Ato Boldon, ehemaliger 100-Meter-Sprinter, vor kurzem dem Fachmagazin "Track and Field News", "ich glaube, er spürt, wie sich die Verletzungen häufen." Boldon verwies noch auf einen Kommentar von Stephen Francis. Francis trainiert den "MVP Track Club", die Sprintgruppe, die in Konkurrenz steht zu Bolts Trainer Glen Mills. Francis hatte vor der Saison gesagt, er glaube, Bolt werde sich über die 100 Meter nie mehr in die Nähe seines eigenen Weltrekords vortasten. Konkrete Gründe nannte er keine, so ist das ja grundsätzlich mit Bolt, die Rätsel um ihn, die Verknappung gehört zum Geschäftsmodell. Bolt ist noch immer vieles: Clown, Gastgeber des einen oder anderen Umtrunks. Der Schnellste ist er derzeit nicht.

© SZ vom 14.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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