Lance Armstrong:Lästern über Jan Ullrich

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Der ehemalige Weltklassefahrer besucht den Giro d'Italia und hat dabei kein gutes Wort für seinen einstigen Rivalen übrig.

Andreas Burkert

Einige Bartbüschel hat Lance Armstrong übersehen, während er sich beim Anflug auf Brüssel rasch rasierte in seinem Privatjet. Überhaupt sieht er ein bisschen geschafft aus, als er am Ortseingang der belgischen Kleinstadt Wanze aus dem Van steigt, der ihn vom Flughafen dorthin gebracht hat, zum letzten belgischen Startort des 89.Giro d'Italia. Doch ansonsten gehe es ihm wunderbar, sagt er, "ich mache ja gerade Urlaub".

Gut gelaunt beim Giro: Lance Armstrong. (Foto: Foto: AP)

Lance Armstrong, 34, ist zurückgekehrt nach Europa, im August hatte er den Kontinent verlassen, nach einem Urlaub in Südfrankreich im Anschluss an seinen siebten Triumph bei der Tour de France. Seit dem letzten Radrennen des Texaners ist viel passiert, er wird immer noch des Dopings verdächtigt. Auch dazu wird Armstrong reden, er ist ausgesprochen gut gelaunt. Sein Gesicht ist braungebrannt, obwohl er kaum noch Rad fahre; er jogge jetzt und plane den Start beim Marathon in New York. Das nächstes Ziel ist aber Alpe d'Huez, die französische Skistation, auf deren Serpentinen er stets seine Gegenspieler bloßstellte. Ein Freund feiert Geburtstag, und das ist Armstrongs Geschenk: ein paar Tage Aktivurlaub in der Nähe des Giro, und ein Wettrennen auf einem der Tour-Monumente. Er werde es gewinnen, sagt er lachend. Natürlich.

Private Gründe haben ihn also dorthin geführt, doch natürlich nutzt Armstrong die Gelegenheit, die alten Kameraden zu begrüßen. Mit einem "hey, boys" entert er das Teammobil, die meisten Fahrer sind bei mindestens einem seiner Toursiege dabei gewesen. Joachim, der Luxemburger, die Spanier Beltran und Rubiera, oder Padrnos, der Riese aus Tschechien. Ob er die Rennen nicht vermisse? Armstrong zögert keine Sekunde mit seiner Antwort. "Nein, sie fehlen mir nicht. Nur das Training."

Und Jan Ullrich offenbar auch, sein ewiger Rivale, jedenfalls widmet er sich dem Deutschen ausführlich. Viel ist nicht übriggeblieben vom Respekt vor dem Rostocker, den er stets als größte Bedrohung bezeichnete. "Eigentlich war ja Jan mein Favorit für dieses Jahr", eröffnet er sein Grußwort an den T-Mobile-Kapitän, der sich etwas weiter vorne Richtung Marktplatz auf die vierte Giro-Etappe vorbereitet. Doch Ullrich habe "wohl wieder ordentlich Rückstand", Armstrong klingt zynisch. Er verstehe Ullrich nicht, "er kann doch so viel gewinnen, doch ich weiß nicht, ob ihm Rad fahren überhaupt noch Spaß macht." Ob Ullrich dick sei, fragt er in die Runde. Wohl fünf bis sechs Kilo bis zum Tourgewicht, entgegnet jemand. Armstrong sagt amüsiert: "Das ist doch sehr gut für ihn." Es wird laut gelacht.

Ullrich und Armstrong werden sich in Wanze nicht sehen. Den Amerikaner zieht es nicht in die Startzone. Auch ein Foto mit Stefan Schumacher kommt demnach nicht zustande, doch der Träger des Rosa Trikots ist ohnehin aufgeregt genug nach seinem fulminanten Sturm zur Zitadelle von Namur, der ihm am Montag den Etappensieg und die Gesamtführung gebracht hat. "Ich habe ganz unruhig geschlafen, bin alle halbe Stunde wach geworden", sagte der Gerolsteiner-Profi vor der Fahrt nach Hotton, wo im Massensprint der Australier Robbie McEwen gewann (siehe nebenstehenden Artikel) - und der sehr glückliche Schwabe Schumacher erneut Rosa überzog.

Lance Armstrong hat darauf verzichtet, die Etappe im Wagen von Discovery-Teamchef Johan Bruyneel zu begleiten. "Nach zwölf Stunden Flug soll ich noch fünf Stunden im Auto sitzen?" Desinteressiert möchte er sich geben, so scheint es. Als ob ihm jenes Metier tatsächlich nicht fehle, das ihm alles gab. Weil er dort seinen Belastungstrieb und sein Streben nach Perfektion ausleben konnte wie nirgends sonst. So richtig nimmt man ihm seine Distanz nicht ab, nicht nur wegen der Tiraden gegen Ullrich. Nebenan sagt Bruyneel, Armstrong habe ihn nur Sekunden nach Paolo Savoldellis Prolog-Erfolg für Discovery angerufen und gratuliert. "Glauben Sie mir, er schaut sich alles im Internet an."

Zur Tour im Juli will Armstrong zurückkehren, "in der letzten Woche". Bruyneel glaubt, ein erneuter Sieg des US-Teams, durch Savoldelli oder eben einen anderen, "das würde ihm sehr viel bedeuten". Zumal Armstrong Geschäftsmann sei, "er ist doch Co-Besitzer". Etwa 25 Prozent der Anteile am Team gehören ihm, dem Hauptsponsor ist er vertraglich noch bis Jahresende verpflichtet. Auch deshalb ist jemand wie Ullrich immer noch ein Gegner. Tourchef Jean-Marie Leblanc und die L'Équipe zählt er ganz bestimmt ebenso dazu. Laut den Recherchen der französischen Sportzeitung hat ein Labor in sechs Urinproben Armstrongs aus dem Jahr 1999 das Blutdopingmittel Epo nachgewiesen. Monsieur Leblanc hatte den Regenten darauf quasi unehrenhaft von der Tour verabschiedet, ansonsten ruht die Angelegenheit. Obwohl der Champion a.D. stets jeden Kritiker vor Gericht zitierte. Habe er nicht Angst, womöglich von Frankreichs Justiz behelligt zu werden? "Angst?", fragt Armstrong und nimmt die Sonnenbrille ab, er schaut aus kleinen Augen. Er versteht die Frage nicht.

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