Korruption bei WM-Vergaben:Nur Deutschland  nicht?

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Franz Beckenbauer und Vyacheslav Krupenkov (r), der Geschäftsführer von Gazprom in Deutschland. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Vier Turniere stehen unter Verdacht - aber bei der WM 2006 sagen die Offiziellen: alles sauber. Indizien, merkwürdige Zufälle und seltsame Geldflüsse deuten etwas anderes an.

Es ist natürlich maximal erstaunlich, was in den vergangenen Tagen so alles bekannt wurde rund um den Weltfußballverband, die Fifa. Was vielleicht ein bisschen untergeht, ist, worüber ebenso erstaunlicherweise nicht diskutiert wird: Nämlich die Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland. Denn offiziell sind weder das Sommermärchen noch Franz Beckenbauer als früherer Entscheider in den höchsten Fifa-Kreisen Bestandteil der Ermittlungen der US- und Schweizer Behörden.

"Wir haben uns absolut nichts vorzuwerfen", sagte Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes im ZDF dann auch zur Endrunde im eigenen Land: "Ich darf daran erinnern, dass wir die absolut beste Bewerbung hatten. Wir haben die Abstimmung mit 12:11 gewonnen. Wir wissen, dass die acht Europäer für uns gestimmt haben. Woher die anderen vier Stimmen kamen, können wir nur vermuten. Die haben wir mit unserer Bewerbung überzeugt." Niersbach sagte zudem in einem Interview mit der ARD am Samstag, dass er für das Amt des Fifa-Präsidenten nicht zur Verfügung stehe.

Nur die WMs 2002 und 2006 sind nicht im Fokus

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière kennt nach Gesprächen mit den US-Behörden "keine Deutschland-Bezüge". Im Zuge des Skandals, der die Fifa in die tiefste Krise ihrer Geschichte stürzte, sind die Weltmeisterschaften 1998, 2010, 2018 und 2022 ins Visier der Ermittler aus den USA und der Schweiz geraten. Zumindest vor den Vergaben für 1998 und 2010 wurde sehr offensichtlich bestochen und betrogen. Das geht aus den Protokollen der US-Vernehmung des früheren Fifa-Funktionärs und "Whistleblowers" Chuck Blazer hervor. Der britische Premierminister David Cameron kündigte derweil an, er wolle die Fifa-Korruption sogar auf die Agenda des G7-Gipfels setzen. "Korruption ist der Erzfeind der Demokratie und deren Entwicklung", sagte Cameron zu der Idee.

Die Schlüsselfigur ist der in den USA angeklagte ehemalige Fifa-Vize Jack Warner, der am Samstag auch von Ägypten schwer belastet wurde. Vor der Vergabe für 2010 soll er seine Stimme gegen die Zahlung von sieben Millionen US-Dollar feilgeboten haben. Das nordafrikanische Land lehnte ab. Von den Endrunden 2002 und 2006 ist bislang keine Rede.

Panzerfäuste nach Saudi Arabien, Millionen nach Südkorea

"Ich halte es für ausgeschlossen, dass von den für die Bewerbung verantwortlichen Vertretern des Deutschen Fußball-Bundes versucht worden sein sollte, die Mitglieder des Exekutivkomitees durch unlautere Mittel zu beeinflussen", sagte der damalige Innenminister Otto Schily der Bild-Zeitung. Die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Dagmar Freitag, hat dagegen eine Aufklärung der Gerüchte um die Vergabe an Deutschland gefordert. "Nach den Vorkommnissen der letzten Tage muss allen klar sein, dass hinter jeder einzelnen Vergabe einer Fifa-WM Fragezeichen auftauchen", sagte die SPD-Politikerin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Schilly, die Mazière und Niersbach scheinen sich ihrer Sache ziemlich sicher zu sein. Indizien, dass auch bei der deutschen WM-Bewerbung nicht alles sauber lief, gibt es aber genug. Der Bundessicherheitsrat genehmigte nur eine Woche vor der Wahl im Jahr 2000 die Lieferung von 1200 Panzerfäusten nach Saudi Arabien. Da kam ein Wahlmann her. Beckenbauers FC Bayern spielte zwei Freundschaftsspiele auf Malta und Thailand - auch dort kamen Wahlmänner her. Daimler, damals Sponsor der deutschen Nationalmannschaft, investierte 800 Millionen Euro in den südkoreanischen Autohersteller Hyundai. Ein Sohn des Gründers saß im Exekutivkomitee. Auch die Pleite des Medienumternehmers Leo Kirch, der damals die Fernsehrechte am Turnier erwarb, brachte einige Dokumente mit seltsamen Zahlungen an die Öffentlichkeit.

Blatter: "Gekauft? Da fällt mir 2006 ein."

Und dann ist da noch natürlich Jack Dempsey. Der Neuseeländer, der eigentlich für Südafrika stimmen wollte, aber vor der entscheidenden Abstimmung den Raum verlässt. Sepp Blatter deutet das in einem Interview mit der Schweizer Zeitung Blick an: "Gekaufte WM ... Da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verliess. Und man so statt 10 zu 10 bei der Abstimmung ein 10 zu 9 für Deutschland hatte. Ich bin froh, musste ich keinen Stichentscheid fällen. Aber, na ja, es steht plötzlich einer auf und geht. Vielleicht war ich da auch zu gutmütig und zu naiv."

Wie Beckenbauer zehn Jahre später bei der Wahl der dann scharf kritisierten Ausrichter Russland (2018) und Katar (2022) abstimmte, hat der Kaiser bislang nicht verraten. Offenbar finden die Behörden aber auch nichts Anrüchiges an der Entscheidung des inzwischen 69-Jährigen, der von 2007 bis 2011 in der "Regierung des Weltfußballs" saß und nach der Wahl "Sportbotschafter" des russischen Energie-Riesen Gazprom wurde. "Nein, natürlich nicht", antwortete Beckenbauer auf die Frage, ob er von der Schweizer Bundesanwaltschaft kontaktiert worden sei. Sieben andere Entscheider des damaligen Exko sind bereits befragt worden. Die Schweizer Behörde ermittelt wegen einer von der Fifa selbst gestellten Strafanzeige gegen Unbekannt wegen "Unregelmäßigkeiten" bei der doppelten Vergabe.

Beckenbauer weiß von nichts

"Was in der Fifa passiert, betrifft uns alle. Wir sind alle Fußballer", sagte der Beckenbauer: "Es ist furchtbar für den Fußball, dass es solche Entwicklungen gegeben hat." In der vergangenen Woche waren die Ermittler in der Züricher Fifa-Zentrale und sammelten dort Daten und Dokumente ein. Fast zeitgleich wurden davon unabhängig sieben hochrangige FIFA-Funktionäre aufgrund von Ermittlungen des FBI und der US-Staatsanwaltschaft verhaftet. In der Folge trat der eigentlich wiedergewählte Fifa-Präsident Joseph S. Blatter am vergangenen Dienstag zurück. "Die Fifa hat 209 Mitgliedsverbände, das sind bestimmt 1000 Funktionäre", sagte Beckenbauer: "Die alle zu kontrollieren, kann nicht funktionieren. Es muss ein Schlüssel gefunden werden, um so etwas in Zukunft zu verhindern." Mehr könne er nicht sagen. Vielleicht wollte er auch nicht. Jedenfalls sagte der Mann, der Sepp Blatter zu seinen Freunden zählt und seit acht Jahren in diversen Fifa-Organen sitzt: "Ich weiß nur, was in den Medien steht."

© SZ vom 07.06.2015 / sid/SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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