Kommentar zum WM-Titel:Bitte nicht ausziehen

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Von Thomas Hahn

(SZ vom 14.10.2003) - Es wäre gerecht, diesen Sieg einfach wirken zu lassen als das, was er ist, ein Erfolg nämlich, der seine Urheber zu etwas Besonderem erhebt: Zum ersten Mal sind Deutschlands Fußballfrauen Weltmeister, das wird notiert bleiben in den Büchern ihres Sports und ihre Biographie für immer schmücken.

Glückwunsch also, zumal dieses mitreißende Finale diesmal weit mehr erreichte als nur ein bisschen Öffentlichkeit: 10,37 Millionen Menschen haben im Durchschnitt die Live-Übertragung gesehen, mehr als zuvor die Bilder von den Männern beim 3:0 über Island. Eine lange belächelte Sparte hat ihr Meisterstück vollbracht.

Aber das Leben geht ja weiter, und die Frage kommt auf, wie viel vom Segen dieses Sieges sich in die Zukunft retten lässt. Zu große Hoffnung darf man schließlich nicht haben, dass dieser Finalsieg zu einem deutschen Mythos auswächst wie der erste WM-Gewinn der Männer 1954 (obwohl die Vorstellung einer zweiten Wortmann-Verfilmung einen gewissen Reiz besitzt; mit Hannelore Elsner als Tina Theune-Meyer und Ulrike Folkerts in der Hauptrolle).

Nein, die Frauen haben noch viel zu tun. Erfolgreich waren sie schon vor dem WM-Titel, großen Zuschauerzuspruch genießen sie trotzdem selten. Und so bleibt ihnen als wichtigste Aufgabe, einen Makel zu tilgen, der viele Randsportarten plagt: Die Leistungsdichte ist zu gering. Als der 1. FFC Frankfurt 2002 Pokalsieger wurde, kam Gegner HSV kaum über die Mittellinie - das Live-Publikum erlebte gähnend den großen Graben zwischen den Halbprofis vom Main und den Amateuren von der Alster. Den müssten sie zuschaufeln, was allerdings geraume Zeit dauern wird. Dazu muss die Jugendarbeit in den Vereinen wachsen und in die höchste Liga mehr Profitum einziehen.

Es geht eben um mehr als nur um Vermarktung, es geht darum, einen Sport so grundlegend zu stärken, dass er aus sich selbst heraus bestehen kann. Und deshalb braucht man jetzt auch nicht die Antik-Idee auszugraben, Nationalspielerinnen in figurbetonte Klamotten zu zwingen oder ganz auszuziehen, um die männliche Kundschaft zu betören. Posieren sollen andere. Diese Frauen müssen tun, was sie am besten können: Fußball spielen.

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