Kommentar:Wo die Omertà versagt

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Auch im Ethikprozess dürfen Beschuldigte schweigen. Nur verwirken sie dann ihren Platz im Fußball, zumindest für viele Jahre. Und das ist gut so.

Von Thomas Kistner

Ein gusseiserner Mannschaftsgeist schweißt die Fußballfamilie zusammen. Mit dem versetzen der Sport und seine Akteure, Athleten wie Funktionäre, neben den Fans auch gerne hartgesottene Ermittler in Erstaunen. Wenn es eng wird, wenn es um Doping oder Korruption geht, pflegt der Sport eine Omertà, die den Schweigebund echter Mafia-Clans wie ein Gelübde unter Schulmädchen wirken lässt. Das haben schon Experten von Italien über Frankreich und Deutschland bis zum britischen Scotland Yard beklagt. Die Schweigemauer steht - im lukrativsten Feld der Unterhaltungsindustrie und einzigen Gesellschaftsbereich, der sich absurder Autonomie und Selbstkontrolle erfreut. Kameraden halten dicht.

Hier gilt es anzusetzen. Die Omertà ist das Bruchband, das die Hochglanzkulissen des Sports zusammenhält. Nun ist das Fifa-Ethikkomitee entschlossen, das Schweigen um das Sommermärchen aufzubrechen. Und es hat die Mittel dazu. Zwar keinen Ermittlungsapparat wie die staatliche Justiz, dafür einen Verhaltenscode, der effektiver sein kann als das Strafrecht: Wer sich, ohne jedes Demenz-Anzeichen, nicht an Vorgänge erinnern mag, die ihm präsent sein müssten, wer nicht kooperiert oder mit Hilfe gerissener Advokaten Schmarrn auftischt - der wird gesperrt. Der ist raus aus dem Fußball, tschüss, servus. Frag nach bei Sepp Blatter, der sich bis zuletzt als Erfinder des Fußballs wähnte; oder bei Frankreichs Ikone Michel Platini. Und vielleicht bald bei Franz Beckenbauer?

Die Ethiker haben Druckmittel. Gerade im Hinblick auf Personen, die sich allein über den Fußball definieren, die hier ihr Ansehen und ihr Auskommen haben. Leute wie Wolfgang Niersbach, der alle DFB-Stationen bis zum Präsidenten durchlief und der, gäbe es diese Affäre um die WM 2006 nicht, jetzt auf dem Sprung auf den Uefa-Thron wäre. Oder Leute wie Beckenbauer, dem mancher weiter die Kaisertreue hält, der aber für weniger auf Märchen erpichte Gemüter einige Fragen zu viel aufwirft. Diese WM-Affäre ist ja nur eine von vielen. Da sind zeitnähere Eskapaden, zu klären ist etwa, ob er für die WM 2018 in Russland gestimmt hatte - bevor er Wochen danach selbst als Werbetestimonial für die russische Gasindustrie präsentiert wurde.

Wer zu den Vorwürfen schweigt, wird aus dem Fußball verbannt

Ja, die Omertà hinterlässt so manches Rätsel. Wie dieses: Warum überwiesen die deutschen WM-Betreiber 6,7 Millionen Euro an eine Baufirma in Katar? Sie sagen, das sei der Vorschuss für einen Zuschuss der Fifa gewesen. Darf man das glauben? Klar. Man darf auch glauben, dass bald wieder der Osterhase die Ostereier bringt. Die Frage ist aber nun: Was glauben die Fifa-Ethikermittler?

Dieses Gremium mag keine Märchen. Chefermittler Cornel Borbely hat sogar seinen berühmtesten Landsmann zur Strecke gebracht, Blatter. Das zeigt den Deutschen an, dass sie kooperieren und keine Storys, sondern die Wahrheit auf den Tisch packen sollten. Ihre Auflösung für das Rätsel, weshalb Millionen in die Wüste wanderten, muss schlüssig sein.

Auch im Ethikprozess dürfen Beschuldigte schweigen. Nur verwirken sie dann ihren Platz im Fußball, zumindest für viele Jahre. Und das ist gut so. Denn die Verbannung ist die effektivste Waffe im Kampf gegen die Omertà des Sports.

© SZ vom 23.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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