Kommentar:Wo Bierhoff sich täuscht

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Anfangs hat der DFB angemessen reagiert und die Brisanz der Debatte um Özil und Gündogan erkannt. Dass Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff das Thema dann für beendet erklärte, war falsch. Weil eine Aufklärung nie stattgefunden hat.

Von Philipp Selldorf

Häufig wird Oliver Bierhoff nachgesagt, sein öffentliches Auftreten und sein Tonfall seien zu konziliant und moderat, er neige zum Beschönigen und zur glatten Oberfläche. Nun hat er bei einem Fernsehinterview ein Stück Selbstkontrolle verloren, er ist ein bisschen laut geworden und hat sich bei den Menschen, die ihn da live befragten, erbost über ihre Fragen beschwert. In den schnellen Medien hieß es, Bierhoff sei "der Kragen geplatzt", und es wurden sogar Vergleiche mit Rudi Völler und dessen berühmter "Mist & Käse"-Rede (Reykjavik 2003) gezogen. Letzteres ist zu viel der Ehre, Ersteres trifft zu. Dass der DFB-Teammanager ausnahmsweise eine Kontroverse eingegangen ist, das ist aber nicht das Problem. Das Problem ist, dass er ein grundlegendes Missverständnis in der umstrittenen Sache offenbart hat.

Bierhoff vertritt die Ansicht, die Medien seien daran schuld, dass die Affäre Erdoğan nicht zur Ruhe komme und weiterhin das Klima belaste. Ständig werde das Thema aufs Neue angesprochen und wiederbelebt, obwohl seit dem Treffen der Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Staatschef schon drei Wochen vergangen seien. "Ihr bringt es doch jeden Tag wieder, weil ihr keine Themen habt", beschuldigte Bierhoff die ARD-Männer, die vor ihm standen, stellvertretend für das Mediencorps.

Hier täuscht sich Bierhoff gewaltig, er verwechselt die Verantwortlichkeiten. Dabei hatte man beim DFB anfangs angemessen reagiert und den Vorfall richtigerweise sofort als besonders heikel gedeutet. Man vermied falsche Verharmlosung, aber schützte die Betroffenen mit guten Argumenten. Diese Art von Friedenspolitik führte dazu, dass Özil und Gündogan aus ihren Ferien anreisten, um schließlich sogar den deutschen Bundespräsidenten in dessen Amtssitz aufzusuchen. Damit beförderte man den zwielichtigen PR-Termin zur Staatsaffäre, und auch das war nicht übertrieben. Der Irrtum war, dass man glaubte, die Debatte sei damit erledigt. Dass Bierhoff dann meinte, er könne mit einer Art Machtwort - "es reicht jetzt mal" - für Ruhe sorgen, war eine Anmaßung. Die Ansicht, es sei genug Aufarbeitung betrieben worden, eine krasse Fehleinschätzung.

Das Thema ist nicht zur Ruhe gekommen, weil Aufklärung nicht stattgefunden hat, und weil es aussah, als ob eine inhaltliche Debatte nicht erwünscht war. Wesentliche Fragen zum Geschehen wurden nicht beantwortet. Die Hintergründe des Erdoğan-Treffens sind immer noch unklar, zu ihren Motiven haben sich die beiden Spieler nicht geäußert. Özil zog sich ins Schweigen zurück, und Gündogan gab Erklärungen ab, die erst nach Genehmigung und Bearbeitung durch die DFB-Pressestelle verbreitet werden durften. Dieser gelenkte Prozess bekräftigte den Eindruck, dass es an Aufrichtigkeit und Mut zur Offenheit fehlte. Die Pfiffe des Publikums beim Länderspiel in Leverkusen waren darauf eine Antwort.

Sicherlich wäre es illusorisch zu glauben, dass die DFB-Verantwortlichen diesen komplexen Streitfall zur allgemeinen Befriedigung hätten lösen können. Das Thema ist so politisch und verzweigt, dass es sich der Beherrschbarkeit entzieht. Doch das defensive und intransparente Krisenmanagement beim DFB-Team hat nicht für Befreiung, sondern für noch mehr Belastung gesorgt.

© SZ vom 11.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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