Kommentar:Wisch auf dem Display

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Es ist albern, den Schweizern Xhaka und Shaqiri nach ihren kontroversen Torjubeln zu unterstellen, dass sie es in Wahrheit mit Albanien halten. Bloß: Etwas Bewusstsein für die schwankenden Stimmungen der Gegenwart wäre zu begrüßen.

Von Claudio Catuogno

Das, was die türkischstämmigen Nationalspieler Özil und Gündogan gerade aus der Nation zurückgespiegelt bekommen, für die sie antreten, das ist für türkischstämmige Schulabgänger nichts Neues: Sie müssen immer etwas mehr leisten, um die gleichen Chancen auf berufliches Fortkommen zu haben. Sie brauchen das tollere Zeugnis, damit ihre Bewerbung nicht schon beim Blick auf Name und Herkunft zugeklappt wird. Und manche Leute werden sie nie überzeugen. Das sind jene, die neuerdings bei Länderspielen ihr Smartphone zücken und "Türken raus" posten.

2010 und 2014 war das noch nicht so. Da konnte der DFB seine Elf noch als Integrationsvorbild feiern - und was die Stammtische meinten, spielte keine große Rolle. Heute sind die Ressentiments bloß einen Wisch auf dem Display entfernt, und sie verstärken eine gesellschaftliche Stimmung, die "dem Fremden" eher misstraut. Selbst wenn das Fremde in Gelsenkirchen geboren ist.

Wie man damit umgeht? Dass man von Özil/Gündogan jetzt bewiesen haben will, was für loyale Deutsche sie sind, ist so albern, wie den Schweizern Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri zu unterstellen, dass sie es in Wahrheit doch bloß mit Albanien halten. Bloß: Etwas Bewusstsein für die schwankenden Stimmungen der Gegenwart wäre halt zu begrüßen. Erdogan-Fotos da, albanische Jubelgesten dort: Wenn man doch mitkriegt, dass gerade etwas auseinanderdriftet - ist es dann nicht fahrlässig, noch selbst Hand an den Keil zu legen? Özil/Gündogan haben es mit ihren Erdogan-Fotos denen leicht gemacht, die sie immer schon kritisch gesehen haben, sie haben diesen Kreis sogar dramatisch vergrößert. Genauso ist es jetzt mit Xhaka und Shaqiri.

Deshalb ist es schon mal ein Wert an sich, dass die Schweizer Elf ihre Reihen schließt und dokumentiert: Wir lassen uns nicht spalten. Das war in der "Nati" zuletzt nicht immer so. Ob es klug ist, das Teamgefühl dadurch zu dokumentieren, dass auch der Urschweizer Kapitän Lichtsteiner jetzt den albanischen Doppeladler aufführt - das ist eine andere Frage.

Özil/Gündogan, Xhaka/Shaqiri: Beiden Affären ist auch gemein, dass die Verbände sie nicht in den Griff bekommen haben. Das ist beunruhigend. Je volatiler die Stimmung, desto größer die Verantwortung der Führungsfiguren. Wie man es nicht macht, hat der serbische Trainer Mladen Krstajic nach dem 1:2 gegen die Schweiz vorgeführt, als er den deutschen Schiedsrichter Felix Brych vors Kriegsverbrechertribunal nach Den Haag zerren wollte, wegen eines verweigerten Elfmeterpfiffs. Es verlieren gerade genügend Leute das Maß. Es wäre ein guter Zeitpunkt für den Sport, jetzt wirklich jene Vorbildhaltung ernst zu nehmen, die er immer für sich reklamiert.

© SZ vom 25.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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