Kommentar:Warmlaufen in Peking

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Ohne Erfolge bei der jetzigen Leichtathletik-WM in Peking ist es kaum möglich, die Forderung nach mehr Plaketten für Rio 2016 zu erfüllen.

Von Johannes Knuth

Vielleicht gewinnt diesmal, bei der WM in Peking, ein Amerikaner. Über die 3000 Meter Hindernis sind sie noch nicht allzu oft als Siegläufer auffällig geworden. Eigentlich noch nie. Bis Juli dieses Jahres. Da wagte es Evan Jager in Paris, sich von den Kenianern zu lösen. Er wurde am Ende bloß deshalb Zweiter, weil er mit einem Zeh am letzten Hindernis hängen blieb. Er lief trotzdem US-Rekord und erregte Aufsehen.

Die lange gewohnten Ordnungen sind in manchen Disziplinen durcheinandergeraten. Im Speerwerfen gewannen früher die Skandinavier, sie hießen Härkönen, Pitkämäki, Thorkildsen. Der Jahresbeste heißt jetzt Julius Yego, er war mal Kuhhirte in Kenia. Weil er weder Laufen noch Hindernisse mochte und im Internet Filme von Pitkämäki und Thorkildsen sah, wurde er Speerwerfer.

Andere Nationen shoppen auf dem Trainer-Markt, die Chinesen leisten sich Langstrecken-Experten aus Italien und Kugelstoß-Fachmänner aus Neubrandenburg: Dieter Kollark, der einst seine Stasi-Vergangenheit aussaß und Astrid Kumbernuss anleitete, trainiert jetzt Lijiao Gong; an diesem Samstag soll sie bei der WM in Peking vor der Deutschen Christina Schwanitz Gold gewinnen.

30 Prozent mehr Medaillen: Der Innenminister hat die Erwartungshaltung geschürt

Idriss Gonschinska, Chef-Bundes- trainer der deutschen Leichtathleten, hat schon Recht, wenn er in diesen Tagen von einer "verschärften Wettbewerbssituation" spricht. Die Verunsicherung darüber schimmert nicht nur bei den Leichtathleten durch. Viele Altgediente treten im kommenden Sommer wohl zum letzten Mal bei Olympischen Spielen an, Paul Biedermann im Schwimmen, Fabian Hambüchen im Turnen, Britta Heidemann im Fechten, wenn sie es denn bis nach Rio schafft. Aber längst nicht überall drängt guter Nachwuchs nach.

Im Fechten und im Männerturnen haben sie die Förderung etwas zu spät gestartet. Im Frauenturnen gibt es erstaunliche Nachwuchskräfte, aber das Frauenturnen ist eben auch geprägt von frühen Verletzungen und Unsicherheit. Die Kanuten immerhin fahren bei der WM gerade ihre Olympiastartplätze ein und dürften in Rio die Schwächen anderer im Medaillenspiegel auffangen.

Nicht nur die Konkurrenz fordert heraus, auch der eigene Dachverband, der im Hintergrund Leistungen überprüft und Fördermittel kürzen will. Innenminister Thomas de Maizière fordert dreißig Prozent mehr Medaillen, ohne in ähnlichem Umfang mehr Geld bereitstellen zu wollen. Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, sagte in Peking: "Wir waren in London sehr erfolgreich. Ich könnte Thomas de Maizière die Gegenfrage stellen, ob er uns überhaupt meinte."

Aber natürlich dürfen die Leichtathleten sich gemeint fühlen. So viele Medaillen, wie in ihren vielen Disziplinen vergeben werden. Ohne Erfolge in der olympischen Kernsportart ist es kaum möglich, die Forderung nach insgesamt mehr Plaketten zu erfüllen. Deshalb ist das Warmlaufen für Rio bei der Weltmeisterschaft in Peking aus Sicht des gesamten deutschen Sports so wichtig.

Viele Schlüsselsportler begleitet auf dem Weg nach Rio eine Sorge: diejenigen, die neben dem Sport ein Studium vorantreiben, befinden sich oft am Rande der Erschöpfung. Nicht nur Kugelstoßerin Schwanitz wünscht sich deshalb "mehr Schienen" - also auch andere Branchen außer der Polizei und der Bundeswehr, die Sportlern eine begleitende Ausbildungschance geben, mithilfe von 10- oder 20-Prozent-Stellen. Das würde an einer entscheidenden Stelle Druck aus dem System nehmen und könnte der Gesamtbilanz auf lange Sicht gut tun.

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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