Kommentar:War doch toll!

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Die Radsport-WM in Norwegen wird für die Organisatoren teurer als gedacht. Manch begeisterter Zuschauer schlägt deshalb nun kreative Finanzierungsmodelle vor. Die sind aber wohl so nachhaltig wie die Großereignisse an sich.

Von Johannes Knuth

Man stelle sich München vor, ein, zwei Tage nach dem Oktoberfest. Die letzten Gäste stolpern aus ihren Schlafburgen, 100 Euro die Nacht im Zehnbettzimmer, es hilft ja nichts. Vor dem Hostel warten ein paar Spendensammler. Brot für die Welt? Bedrohte Borkenkäfer? Nein, sie bitten um Geld fürs Oktoberfest, auf eigene Faust. Die Organisatoren seien in die Miesen gerutscht, der Weltmarktpreis für Kartoffelsalat habe in den vergangenen Wochen leider unerwartet angezogen, und die Sicherheit erst. Ob die Gäste also noch ein paar Euros entbehren könnten? Die Stimmung in den Zelten war diesmal ja so prächtig wie nie ...

So ähnlich argumentieren jetzt tatsächlich einige in Norwegen, eine Woche nach der Radsport-WM in Bergen. Die Norweger erschufen beeindruckende Bilder, 100 000 Gäste sollen allein das Straßenrennen der Männer gesehen haben, und als sich die Zeitfahrer den schmalen Pfad auf Bergens Hausberg hinaufschoben, war die Stimmung fast so flirrend wie in den Partykehren von Alpe d'Huez. Ein paar Tage später, man glaubt es nicht, stellt sich heraus: Alles teurer als gedacht! Die Organisatoren kalkulierten mit knapp 14 Millionen Euro Budget, dann kamen weniger Sponsoren als erhofft, die Terrorangst trieb die Kosten in die Höhe, für Militärtrucks und Betonabsperrungen. Norwegische Medien mutmaßen, dass der Spaß am Ende 23,5 Millionen Euro kosten könnte; die Organisatoren rechnen zumindest mit einem Verlust. Eine Zuschauerin initiierte deshalb eine digitale Spendenaktion, mit dem Tenor: Der Eintritt war für viele ja umsonst, die Stimmung toll, da solle man etwas zurückgeben. Rund eine halbe Million Euro kam bislang zusammen.

Norwegens Radsport-Verband droht schlimmstenfalls die Pleite

Das ist doch mal ein Modell für sportliche Großereignisse, bei denen die Kosteneskalation fast so sicher ist wie der Kater nach der Wiesn: Eintritt frei, Stimmung toll, Spenden erwünscht. Oder wie wäre es gleich mit einem gestaffelten Beitrag, wie bei Fluglinien, die jeden Tomatensaft mittlerweile extra berechnen? Eine bessere Band fürs Rahmenprogramm - macht fünf Euro mehr. Bessere Dopingkontrollen? Zehn Euro. Eine neue U-Bahn-Linie für die Ausrichterstadt, die im Zweifel keinem nützt, aber die Bilanz der Sportverbände schmückt? Zwanzig Euro. Noch mehr Fünf-Sterne-Unterkünfte für die Funktionäre und Promis - umsonst, dafür ist im Budget ja eigentlich immer Geld übrig.

Und wer bezahlt jetzt die Party in Bergen? Die digitale Kollekte wird kaum reichen, die Stadt will nicht mehr geben, der Staat auch nicht. Der norwegische Radsport-Verband würde wohl in die Pleite schlittern, wenn er alleine einspringen muss, bei geschätzt acht Millionen Euro Nachforderungen. Am Ende wird die Regierung wohl doch eine Rettungsleine auswerfen. Gesichert ist in jedem Fall mal wieder, dass bei Großereignissen - abgesehen von manch (schwer messbaren) Gewinnen für Tourismus und Sport - vor allem der Moment zählt, der Rausch. Bis der Kater kommt.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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