Kommentar:Vergebene Chance

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Die Causa Pechstein hatte dem Bundesgerichtshof die womöglich einmalige Möglichkeit eröffnet, einen nötigen Reformanstoß für die internationale Sportgerichtsbarkeit zu geben. Das hat der BGH mit seinem Urteil nun versäumt.

Von Wolfgang Janisch

Es war ein bitterer Moment für Claudia Pechstein, nach so vielen Jahren und so vielen Prozessen. Der Bundesgerichtshof hat ihre Schadensersatzklage wegen der zweijährigen Dopingsperre als unzulässig abgewiesen - und damit die Tür zur deutschen Justiz zugeschlagen, auf die sie so sehr gehofft hatte. Gewiss, sie will das Bundesverfassungsgericht anrufen. Aber dort dürften die Erfolgsaussichten gering sein.

Bitter ist das harsche Nein des BGH-Kartellsenats aber nicht nur für die Klägerin. Die Causa Pechstein hatte dem Gericht die womöglich einmalige Möglichkeit eröffnet, einen entscheidenden Reformanstoß für die internationale Sportgerichtsbarkeit zu geben, hin zu fairen Verfahren mit unparteiischen Schiedsgerichten. Es war eine große Chance, eine hundertprozentige, würden die Fußballer sagen. Der BGH hat sie ausgelassen.

Denn Ziel des Pechstein-Verfahrens war nicht etwa, die Existenz des Internationalen Sportgerichtshofs Cas in Lausanne generell infrage zu stellen - im Gegenteil. Sogar das Oberlandesgericht München, das Pechstein noch recht gegeben hatte, hegte keinen Zweifel daran, dass eine international einheitliche Sport-Schiedsgerichtsbarkeit letztlich allen hilft. Ein Schiedsgericht kann schnell und sachkundig entscheiden; ein jahrelanges Verfahren vor staatlichen Gerichten wäre einem Sportler, für den die Uhr der beruflichen Existenz schneller tickt, kaum zumutbar.

Umso wichtiger wäre es gewesen, hätte der BGH den Pechstein-Fall nun genutzt, um die Sportgerichtsbarkeit auf ein Minimum an rechtsstaatlichen Garantien zu verpflichten. Anlass dazu hätte es gegeben, denn der Cas ist weit davon entfernt, eine ausgewogene Zusammensetzung seiner Schiedsgerichte zu gewährleisten. Denn die Schiedsrichter werden aus einer geschlossenen Liste ausgewählt - zusammengestellt von einem Gremium, in dem die Sportverbände das Sagen haben: Wer als Schiedsrichter für Streitigkeiten zwischen Verbänden und Sportlern zur Verfügung steht, bestimmen also die Verbände.

Zwar glaubt der BGH, dieses Ungleichgewicht werde dadurch behoben, dass Verbände und Athleten bei der weltweiten Doping-Bekämpfung letztlich dieselben Interessen verfolgten. Doch darin liegt ein wirklich haarsträubender Denkfehler. Abstrakt mag man ja im Interesse an einem sauberen Wettbewerb vereint sein. Aber sobald ein konkreter Doping-Verdacht im Raum steht, könnten ihre Interessen kaum gegensätzlicher sein. Dem Verband kann eine Sperre nützlich sein, um den Sport vor Reputationsverlust zu schützen - für den betroffenen Sportler kann sie das Ende seiner beruflichen Existenz bedeuten. Ein Gericht, das über eine solche Konfliktlage entscheidet, muss neutral besetzt sein.

So bleibt zu hoffen, dass das Momentum des Pechstein-Prozesses über dessen unrühmliches Ende hinaus anhält. Die Sportgerichtsbarkeit ist eine gute Sache, wenn sie rechtsstaatliche Standards einhält. Und der Sport ist ökonomisch wie gesellschaftlich zu wichtig geworden, als dass man ihn verbandsdominierten Gerichten überlassen könnte.

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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