Kommentar:Vereinigte Vielfalt aus der Vorstadt

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Trainer Deschamps hat geschafft, woran seine Vorgänger scheiterten: eine Einheit zu formen.

Von Claudio Catuogno

Auf die Krägen der französischen Trikots ist ein Slogan gedruckt: "Nos différences nous unissent". Unsere Unterschiede vereinen uns.

Das ist ein viel konkreteres Bekenntnis zu jener Kraft, die aus der Vielfalt kommt, als der gekünstelte Teamgeist-Hashtag (#zsmmn) der deutschen Nationalelf-Vermarkter. Und als Antoine Griezmann gefragt wurde, wie die Mannschaft das hinbekomme, dass Spieler so verschiedener Herkunft zu einer Einheit werden, sagte er: "Das ist das Frankreich, das wir lieben. Unterschiedliche Herkunft - aber vereint." Es klang wie etwas sehr Selbstverständliches. Tatsächlich war es aber gerade für die Franzosen ein extrem mühsamer Weg bis dorthin. Den Trikot- Slogan gibt es schon seit 2011, aber er wurde oft auf eine harte Probe gestellt.

Die "Unterschiede" liegen auf der Hand, man muss nur einige der Spieler durchgehen, die im Finale zum Einsatz kamen: Paul Pogbas Eltern stammen aus Guinea, die von N'Golo Kanté aus Mali, die von Blaise Matuidi aus Angola, die von Nabil Fekir aus Algerien. Kylian Mbappé, der neue Stern am Fußballhimmel: Vater aus Kamerun, Mutter aus Algerien. Corentin Tolisso: Vater aus Togo. Steven Nzonzi: Vater aus dem Kongo. Raphaël Varane: Vater aus Martinique. Lucas Hernandez hat Wurzeln in Spanien. Außerhalb Frankreichs geboren ist aber nur einer von ihnen: Samuel Umtiti - in Kamerun. Geprägt wurde diese französische Weltmeister-Generation nicht in Togo oder Kamerun, sondern in Lagny-sur-Marne und Fontenay-sous-Bois. Im oft schwierigen Alltag der Vorstädte.

Der alte Trainer Blanc verteilte den Text der Marseillaise und schaffte Halal-Buffets ab

Natürlich wird jetzt der Bogen geschlagen zu jener Elf um Zinédine Zidane, Lilian Thuram und die anderen, die unter dem Label "Black-blanc-beur" dem Land 1998 ein Beispiel gaben: Schwarze, Weiße und Araber erfolgreich vereint. Doch der Vergleich ist auch eine Mahnung. Die damals beschworene Einheit hielt nicht lange, weder im Land noch in der Équipe Française. Vielmehr scheint es umgekehrt zu sein: Frankreichs Elf ist zum Siegen verdammt, will sie die ewigen Zweifel an ihrer patriotischen Gesinnung verstummen lassen.

Bis 1998 musste Zidane sich rechtfertigen, warum er die Hymne nicht mitsingt. Als er Weltmeister war, hatte sich die Frage erledigt. Aber spätestens seit dem schlimmsten Trauma des französischen Fußballs, der Stunde null bei der WM in Südafrika 2010, sind all die Debatten zurück. Damals saßen die Spieler streikend im Bus. Das Nationaltrikot tragen - und die Arbeit verweigern! Schlimmer ging es nicht. Woran das lag? Der erstarkende rechte Rand hatte die Erklärung parat.

Es war Laurent Blanc, einer aus der Weltmeister-Generation von 1998, der ab 2010 als Trainer die Scherben aufkehren sollte. Blanc verteilte den Text der Marseillaise und schaffte die Halal-Buffets ab. Er bestätigte damit genau jene, die fehlenden Patriotismus als Ursache ausgemacht hatten. Intern forderte er eine Quote, um zu viele "Afrikaner" zu verhindern. Umso bemerkenswerter, wie Didier Deschamps es danach hinbekam: Auch er ist ein eiserner Verfechter von Regeln, wer sie übertritt, fliegt raus. Aber das gilt für alle. Halal-Buffets hat er wieder eingeführt. Es geht nicht darum, die Unterschiede zu problematisieren. Sondern die Einheit zu betonen.

© SZ vom 17.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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