Kommentar:Unbefugt im Bild

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Der Auftritt der Nationalelf in Tiflis wird immer wieder von Flitzern gestört. Die egozentrischen Nervensägen schaden dem Rhythmus des Spiels.

Von Philipp Selldorf

Große Begeisterung brach plötzlich auf den Rängen des georgischen Nationalstadions aus, obwohl das Spiel längst verloren war und die Fußballer das Feld schon verlassen hatten. Es gab aber noch ein Nachspiel für das Publikum: Ein halbes Dutzend Ordner in grellgelben Westen jagten einen Mann, der über die Mauer gestiegen war und den Rasen geentert hatte. Zweifellos war dieses Duell spannender als die Partie zwischen den beiden Nationalmannschaften. Der unerwünschte Eindringling schlug tolle Haken, beleibte Ordner rutschten aus und fielen hin, die Leute lachten über sie wie über den dicken Oliver Hardy. Schließlich beendete ein georgischer Aufseher den Alleingang stilecht mit einer Grätsche.

Im Programmheft war diese unterhaltsame Einlage nicht vorgesehen. Allerdings hätte man meinen können, dass die heiteren Verfolgungsjagden zum kulturellen Leben in der bald 2000 Jahre alten Stadt Tiflis gehören. Denn der niedergegrätschte Mann war nicht der erste Platzstürmer an diesem Abend, sondern der sechste oder siebte, der sich unbefugt ins Bild drängte - die Augenzeugen sind beim Zählen durcheinandergeraten, und die Uefa hat keine offizielle Flitzer-Statistik veröffentlicht. Die Polizei war zwar in großer Menge im Stadion zugegen, sie schien sich aber mehr für das Spiel als für die Verhinderung von Störfälle zu interessieren.

Denn in Wahrheit sind ja diese Menschen, die bei Sportveranstaltungen unverlangt in den Mittelpunkt sprinten, keine Helden der Volksbelustigung, sondern egozentrische Nervensägen. Meistens befriedigen sie bloß das eigene Vergnügen. Dass Joachim Löw und Mats Hummels die ständigen Unterbrechungen in Tiflis als störend bezeichneten, ist verständlich. Ein Bundestrainer ist kein Konzertmeister, und ein Verteidiger ist kein Geiger - aber auch einem Fußballspiel bekommt es schlecht, wenn die Akteure immerzu aus dem Rhythmus gebracht werden. Zumal man nie weiß, welchem Motiv so ein Platzstürmer folgt. "Am besten mit Nichtachtung strafen", hat Hummels später vorgeschlagen - doch das reicht wohl leider nicht.

Die Uefa hat das nächste Supercup- Finale - das Duell zwischen Europa-League- und Champions-League-Sieger - nach Tiflis vergeben. Mitte August wird das mutmaßlich glamouröse Spiel zwischen den Pokalgewinnern im Kaukasus wie üblich am Mittelmeer ausgetragen. Schön, dass der Verband mal andere Austragungsorte wählt als Monaco und andere Zentren des Neureichtums. Aber es wäre auch gut, wenn die Georgier aus den Vorfällen vom Sonntag lernen und das Spielfeld für die selbsternannten Entertainer sperren würden.

© SZ vom 31.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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