Kommentar:Stützen im Stress

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Timo Boll verpasst die Tischtennis-EM und steht vor einer harten Olympia-Qualifikation. Wie ihm ergeht es gerade vielen deutschen Vorbildern. Doch deren Belastung hat auch systematische Gründe.

Von Volker Kreisl

Birgit Fischer. Es ist eine wichtige Sportjournalisten-Regel: Immer einen prominenten Namen in den ersten Satz! Denn tatsächlich ziehen im Sport noch mehr als in anderen Ressorts die Themen über Namen. Agentur-Reporter sagen, ihre Wettkampfberichte würden weitaus öfter abgedruckt, wenn man mit einem Namen wie etwa Magdalena Neuner einsteige - dass die gar nicht mehr aktiv ist, sei egal. Aber Neuner ist Biathlon und Winter, und jetzt geht es um Sommer-Olympia. Also: Birgit Fischer.

Die Kanu-Rekord-Olympiasiegerin hat kürzlich mit ihrer Andeutung, wegen der Olympischen Spiele vielleicht noch einmal ins Boot zu steigen, eine Menge Abdruck ausgelöst. Und da war sie wieder, die Wirkung der Einzel-Persönlichkeiten in der olympischen Nische. Diese Athleten haben Charisma, bringen Aufmerksamkeit und stoßen oftmals den Aufschwung einer ganzen Sportart an. Denn sie schätzen außer Medaillen auch Mikrofone, Kameras und Werbeauftritte.

Fabian Hambüchen ist zwar fit, aber auch er kann sich nur über das Team qualifizieren

Und weil solche Repräsentanten bei den Spielen in elf Monaten wieder dringend gebraucht werden, hat der deutsche Olympiasport derzeit ein Problem. Denn junge aussichtsreiche Charismatiker sind rar, während viele ältere Helden Schwierigkeiten haben, überhauptnach Rio zu kommen: zum Beispiel Tischtennisspieler Timo Boll, der sich zum EM-Auftakt nun lieber am linken Knie operieren ließ, als wieder Europameister zu werden. Bolls Sehnsucht ist die nach einer Einzelmedaille bei Olympia. Auf Rio will er sich schmerzfrei vorbereiten, es ist wohl seine letzte Chance, er wird dann ja auch schon 35 sein.

Säulen für ihren Sport, aber frisch operiert oder noch im Formaufbau sind weitere Olympia-Hoffnungen: Marcel Nguyen (Turnen), Britta Heidemann (Degenfechten) und Robert Harting (Diskus). Von Nguyens Formaufschwung hängen zudem die Olympiapläne von Fabian Hambüchen ab. Der Silbergewinner von London ist topfit , doch auch er kann sich für die Spiele in Rio de Janeiro nur über die Mannschaft qualifizieren. Olympia ohne Hambüchen, das wäre für den ganzen deutschen Auftritt ein Nackenschlag.

Die Generation der Nachahmer kommt nun erst in die Junioren-Jahre

Eine Stütze des Randsports zu sein, bringt Ruhm, aber auch erhöhten Stress - und in gewisser Weise ist man auch noch Schuld an der Nachwuchs- lücke. Denn die Effekte der Ausstrahlung stellen sich oft erst bei der übernächsten Generation ein. Diese Sportarten brauchen ja eine Kindheit voller Technik- und Formaufbau. Jene Schüler, die sich an Hambüchen oder Heidemann orientieren, kommen nun erst ins Juniorenalter. Dazwischen klafft auch deshalb eine Lücke, weil es für die nächste Generation kaum möglich war, an den Ausnahmekönnern vorbeizukommen, viele gaben früh auf. Und: Viele scheiterten, weil die Förderung hakte. Solange bewährte Medaillenkräfte Erfolge bringen, erscheinen Reformen eben nicht so dringend nötig.

Den aktuellen Spitzenkräften kreidet das aber niemand an. Der Deutsche Olympische Sportbund bangt um deren Rio-Teilnahme, und später bleiben sie wichtig für ihren Sport, selbst wenn sie diesen nur hin und wieder ins Gespräch bringen. Birgit Fischer unterstützt den Kanusport heute als Trainerin - und nun vielleicht auch durch ihr Kokettieren mit einer Rückkehr ins Boot. Beim Verband reagierte man jedenfalls ehrfürchtig zurückhaltend, aber dann doch mit dem höflichen Hinweis, dass Kanu ziemlich anstrengend sei, sogar für eine wie Birgit Fischer, die nun schon 53 Jahre alt ist.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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