Kommentar:Spannende Strapaze

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Handball zu spielen ist nirgendwo gefährlicher und anstrengender als in der Bundesliga. Das Gute für den Zuschauer in dieser Spielzeit: Es gibt keinen eindeutigen Favoriten auf die Meisterschaft.

Von Ulrich Hartmann

Am Sonntag kehrt der VfL Gummersbach in die Westfalenhalle zurück. Im 70 Kilometer entfernten Dortmund hat der Klub einst etliche seiner Erfolge gefeiert, weil daheim die Turnhalle viel zu klein war. Mit häufigen Gastspielen im riesigen Oval zwischen Westfalenstadion und Westfalendamm avancierte der Klub aus dem Oberbergischen Land von seinem ersten Meistertitel 1966 bis zum vorerst letzten 1991 zum besten Handballverein Deutschlands. Diesen Titel hat ihm allerdings längst jener Verein abgenommen, gegen den die Gummersbacher in der Westfalenhalle die 50. Saison der Handball-Bundesliga offiziell eröffnen dürfen: Den THW Kiel und den VfL Gummersbach trennten zuletzt zwei Jahrzehnte lang Zeiten und Welten, doch am Sonntag wird mit einem knappen Resultat gerechnet.

Zehn Mal binnen elf Jahren war Kiel zuletzt deutscher Meister. Den Titelgewinn des HSV Hamburg 2011 betrachten sie an der Förde als Schönheitsfehler und als Beweis dafür, dass beim THW keine Roboter programmiert werden. Doch so langsam könnten sie in Kiel künstliche Intelligenzen in robusten Rüstungen ganz gut gebrauchen, denn ihre besten Spieler erliegen seit Jahren den Verführungen attraktiver Klubs im Ausland. Kiel hat Stars wie Daniel Narcisse, Nikola Karabatic, Momir Ilic und viele andere aber auch deshalb an internationale Mitbewerber verloren, weil Handball zu spielen nirgendwo auf der Welt anstrengender, ermüdender und damit gefährlicher ist als in der stärksten Liga der Welt: der Bundesliga.

In Filip Jicha verlässt den THW Kiel jetzt ein Mann, der zum Gewinn des 21. deutschen Meistertitels entscheidend hätte beitragen sollen. Doch beim FC Barcelona kann Jicha mehr Geld verdienen, und mehr Freizeit, behauptet er, habe er dort auch. 34 herausfordernde Spiele in einer zunehmend ausgeglichenen Bundesliga, dazu der Pokal und die strapaziöse Champions League machen eine Saison beim THW Kiel anstrengender als in irgendeinem anderen Klub auf diesem Planeten. Darüber klagt der Trainer Alfred Gislason seit Jahren und hält unermüdlich eine Verkleinerung der 18er-Liga im Gespräch.

Hätte Gislason mit diesem Vorschlag allerdings Erfolg gehabt, käme es wohl nicht mehr zu diesem Sonntagsspiel gegen Gummersbach, weil der VfL vermutlich längst abgestiegen und im Handball-Nirwana verschwunden wäre. Insofern hat die Größe der Bundesliga, so anstrengend sie für die Kieler auch sein mag, doch auch einen Anteil daran, dass die 50. Saison so einiges verspricht.

Der knappe 27:26-Sieg der Kieler im Supercup gegen die SG Flensburg-Handewitt hat bereits angedeutet, dass Flensburg mit seinem flinken Kollektiv die starken Individualisten aus Kiel ebenso herauszufordern vermag wie es auch die Rhein-Neckar Löwen aus Mannheim seit einigen Jahren tun. Darüber, dass an Kiels Nimbus in dieser Saison gekratzt werden wird, sind sich die Experten weitgehend einig. Von den 18 Bundesligatrainern tippen nur noch fünf ausdrücklich auf Serienmeister Kiel. Alle anderen erwarten vor allem eines: Dramatik.

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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