Kommentar:Nach Hause, bevor die Party abhebt

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Platz elf bei der WM zeigt: Die deutsche Eishockey-Auswahl ist nach dem Olympia-Erfolg ausgehöhlt.

Von Johannes Schnitzler

Als die Sonne im Sommermärchensommer 2006 vier Wochen hoch über Deutschland stand und sogar nachts schien, wie Legenden behaupten, sprachen die Menschen von "Kaiserwetter". Als hätte Franz Beckenbauer, als Fußball-Kaiser damals noch eine unverschattete Lichtgestalt, höchstpersönlich vom Himmel herabgestrahlt, wo er eh dauernd herumhelikopterte. Die Welt war zu Gast bei Freunden, die WM eine einzige große Open-Air-Party.

In Dänemark im Mai 2018 ist alles ein paar Nummern kleiner. Gemütlicher. Hyggelig. Die Eishockey-Welt ist zu Besuch bei den freundlichsten Gastgebern, die man sich denken kann (okay, dass Vorschulkinder in der Fan-Zone Frühsport machen zu "Blitzkrieg Bop" von den Ramones, kann man schräg finden). Die Sonne steht so stabil am Firmament, dass kein Däne sich an einen heißeren Mai erinnern kann. Nur der Deutsche ist irgendwie unzufrieden. Das Bier ist zu teuer, und die Nationalmannschaft, unsere Silberhelden, ach je: Elfter.

Man soll ja gehen, wenn die Party am schönsten ist - das wäre für die deutsche Mannschaft vermutlich nach dem Sieg am Sonntag gegen Finnland gewesen. Das Problem ist: Die Party in Herning hat für sie nie so richtig begonnen. Silber in Südkorea sei ein schöner Erfolg gewesen und ein Maßstab, an dem sie sich messen lassen müssten, sagt Nationalspieler Moritz Müller: "Genau da wollten wir ja auch hin." Nur: Wenn zehn Wochen nach Olympia 15 Spieler aus dem Finale fehlen und auch Spieler aus der NHL absagen, weil sie wie Rieder und Kühnhackl um einen neuen Vertrag bangen und sich nicht verletzen wollen, dann muss man eben mal nach Hause gehen, bevor die Feier abhebt. Vor dem Viertelfinale.

Sturms Team war eine Blanko- Einzahlung auf die Zukunft

Personalengpässe und Turniere ohne Medaille seien für Deutschland die Normalität, erinnerte Bundestrainer Marco Sturm: "Daran hat auch Olympia nichts geändert." Das Abschneiden bei einer WM werde immer davon abhängig sein, ob und wie viele deutsche Profis aus der NHL zur Verfügung stehen. Trotzdem wird man "immer auch einen starken Kern aus DEL-Spielern" brauchen, glaubt Müller. Dieser über Jahre gewachsene Kern gewann bei Olympia in Pyeongchang - wo die NHL unentschuldigt fehlte - die erste Medaille seit 1976 und feierte den größten Erfolg der deutschen Eishockey-Geschichte. Dieser Kern war in Herning ausgehöhlt. Nicht zuletzt, weil viele Nationalspieler nach einer "Mördersaison" (Müller) mit Olympia und einem Liga- Finale über die volle Distanz verletzt oder erschöpft waren. Sturm versuchte, die Leere mit jungen Spielern aus amerikanischen Nachwuchsligen zu füllen; mit Spielern, die verfügbar waren. Eine Blanko-Einzahlung auf die Zukunft. In der Hoffnung, dass sich in ein paar Jahren ein kleiner Gewinn einstellt.

Im Eishockey findet, anders als im Fußball, jedes Jahr eine WM statt. Zeit zur Entwicklung gibt es kaum. Dass die talentiertesten Spieler diese Zeit in der Deutschen Eishockey Liga nicht bekommen, liegt an finanziellen Zwängen der Klubs, vielleicht auch an mangelndem Mut. Man müsse "dafür Verständnis haben", sagt DEB-Präsident Franz Reindl. Man kann es auch, wie Moritz Müller, mindestens "schade" finden. Vermutlich muss man es so sehen: Man feiert auch nicht jede Woche die Party des Jahres.

© SZ vom 17.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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