Kommentar:Kieler Sieger-Mentalität

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Seit Jahren gab es keine Saison, in der Kiel so oft so schlecht spielte, und in der so viele Verletzte zu beklagen sind. Trotzdem strotzt Kiel vor Zuversicht.

Von Jörg Marwedel

Alfred Gislason ist dem früheren Kieler Meistertrainer Zvonimir Serdarusic auf den Fersen. Der hat zwar elf deutsche Handball-Titel mit dem THW gewonnen und Gislason erst sechs seit 2009. Aber am Sonntag hat der Isländer mit dem 29:23 gegen die SG Flensburg-Handewitt den fünften DHB-Pokal für die Kieler erobert, so viele wie Serdarusic. Und er hat dem Deutsch-Kroaten zwei Champions-League-Triumphe voraus. Doch der Sieg vom Wochenende war ein besonderer, das ließ Gislason erkennen in endlosen Gesprächen mit Journalisten und auch noch am Abend, als er im "Sportclub" des NDR-Fernsehens auftauchte, während seine Spieler schon in Feierlaune Kiel unsicher machten.

Es war Gislason wichtig, zu widerlegen, was manche Beobachter schon ausgerufen hatten: das Ende der Erfolgsära des Rekordmeisters, dem die zweite Spielzeit ohne Titel drohte. In der Tat hat es seit Jahren keine Saison gegeben, in der die Kieler so oft so schlecht gespielt haben. Allein in der Champions League setzten sie gleich sieben Partien in den Sand. Dem widersprach auch Gislason nicht, doch er klang so wie der Dortmunder Fußballtrainer Thomas Tuchel, der auch "die Achterbahn" seiner extrem jungen Mannschaft beklagt. Er sei sehr zufrieden mit den Talenten Nikola Bilyk und Lukas Nilsson oder dem jungen Nationalspieler Rune Dahmke - aber sie seien eben noch nicht so konstant.

Obendrein hat Gislason - anders als sein Kollege Ljubomir Vranjes beim Bundesliga-Tabellenführer Flensburg - gesundheitliche Probleme bei den erfahrensten Spielern zu beklagen. Kaum jemand, der nicht schon einige Wochen ausgefallen ist: Steffen Weinhold, Christian Dissinger, René Toft Hansen, Christian Zeitz sowie der Wichtigste überhaupt - Spielmacher Domagoj Duvnjak.

Duvnjak hätte im Grunde auch am Sonntag nicht im Finale mitmachen dürfen. Er schiebt seit Wochen eine Patellasehnen-Operation am linken Knie vor sich her. Und doch war er, mit Schmerzmitteln vollgestopft, im Endspiel neben Keeper Niklas Landin der entscheidende Mann, nicht nur wegen seiner sieben Tore. Duvnjak verkörpert derzeit wie kein anderer die Sieger-Mentalität der Kieler. Womöglich muss der 28-Jährige dafür in Kürze den Preis zahlen, den auch der frühere Kapitän Filip Jicha zahlte: Der Tscheche flüchtete 2015 vom THW zum FC Barcelona, weil er in Kiel acht Jahre lang quasi durchspielen musste, bis sein Körper nicht mehr mitmachte.

Andererseits sind es genau diese Spieler, welche diese Sieger-Mentalität ausmachen. Alfred Gislason hat jedenfalls schon wieder Blut geleckt. Obwohl die Kieler in der Bundesliga vier Punkte hinter Flensburg zurückliegen, will er auch beim Meisterrennen immer noch nicht aufgeben. Sein Argument: "Wir sind der THW."

© SZ vom 11.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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