Kommentar:Keine Spur von Einsicht

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Der Chef des russischen Tennisverbandes fordert, dass Maria Scharapowa trotz ihres Doping-Vergehens bei den Olympischen Spielen starten darf. Das lässt tief blicken, wie die Entscheidungsträger in dem Land ticken.

Von Joachim Mölter

Schamil Tarpischtschew fällt gelegentlich mit unbedachten Worten auf; so hat der Präsident des russischen Tennisverbandes die Williams-Schwestern aus den USA wegen ihrer muskulösen Körper einmal als "Williams-Brüder" bezeichnet. Nun hat er wieder etwas Bemerkenswertes gesagt: "Wir hoffen sehr, dass Maria Scharapowa bei den Olympischen Spielen antreten darf."

Das ist denkwürdig, weil die in Westsibirien geborene Tennisspielerin genau das im Grunde nicht dürfte. Sie ist bei den Australian Open im Januar der Einnahme des Herzmedikaments Meldonium überführt worden; das steht seit Jahresbeginn wegen seiner leistungssteigernden Wirkung auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Die 28-Jährige hat zugegeben, das Mittel jahrelang genutzt zu haben. Derzeit ist sie vom Wettkampfbetrieb ausgeschlossen, bis über eine Strafe entschieden ist; für gewöhnlich ist das eine längere Sperre.

Nun ist Maria Scharapowa aber keine gewöhnliche Sportlerin. Sie ist eine der erfolgreichsten ihrer Branche, darüber hinaus eine der am besten aussehenden. In Summe machte sie das zur höchstbezahlten Athletin der Welt. So eine Figur sieht man gern bei Olympia, der größten Bühne des Sports - zumindest in Russland.

Tarpischtschews Wunsch offenbart, mit welcher Geisteshaltung Russlands Funktionäre das Thema Doping angehen: Keine Spur von Einsicht, dass das verboten und bestraft gehört. Die Leichtathleten des Landes sind vom Weltverband IAAF komplett suspendiert worden, in anderen Sportarten haben sich zuletzt die Meldonium-Fälle gehäuft, darunter sind Weltmeister und Olympiasieger. Russland gehen die prominenten Figuren aus, in Rio könnte es bloß mit einem Mini-Team vertreten sein. Doch anstatt das Übel zu bekämpfen, gehen die Verantwortlichen offensichtlich lieber hinter den Kulissen gegen die Bestrafung vor.

Oder ist es anders zu erklären, dass die Wada zufällig gerade ihre Haltung in Sachen Meldonuim bis zur Schwammigkeit aufweicht? Unter Umständen, so heißt es, seien überführte Athleten vollkommen schuldlos, könnten also gar nicht bestraft werden. Das klingt sehr nach einer Lex Scharapowa, einer Lex Russland.

Es wäre verwunderlich, wenn dessen Präsident Wladimir Putin seinen sport- politischen Einfluss nicht nutzen würde. Er pflegt ja ein gutes Verhältnis zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, zu Thomas Bach. Und der hat in vorauseilendem Gehorsam bereits Russlands Bemühungen im Anti-Doping-Kampf gelobt. Nun darf man gespannt sein, mit welchen Argumenten welchen Athleten in nächster Zeit welche Hintertüren zu Olympia geöffnet werden.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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