Kommentar:Jenseits von Camp Nou

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Wolfsburg, Frankfurt, doch die Bayern? Das Herzschlagfinale um den Titel im deutschen Frauenfußball ist ein Zeichen von vielen, dass der Sport sich entwickelt.

Von Claudio Catuogno

Der Fußball fasziniert mal wieder das große Publikum. Büroflurgesprächsfetzen: "Sechs Tore sind schon ein Hammer . . ." (nach Bayern - Porto, 6:1). "Also dass sie gar keinen Elfmeter reinbringen . . ." (nach Bayern - Dortmund, 1:1, 0:2 i. E.). "Gegen Messi bist du halt chancenlos . . ." (nach Barcelona - Bayern 3:0). Einmal hin, alles drin, es ist dieser Supermarkt-Werbeslogan, der den Fußball gerade wieder am besten beschreibt. Alles drin: Heldensaga, Tragödie, Commedia dell'Arte. Fallhöhe, Spannung, Körperlichkeit. Eitelkeit, Streit. Zauberei, Verklärung. Die Stadien sind die Theater der Gegenwart und die Kathedralen der Moderne gleich mit. Zwei berühmte Gebäude in Barcelona? Das Camp Nou und die Sagrada Família. In welchem mehr gebetet wird, wüsste man gern.

Und am Sonntag geht es ja gleich weiter: der Meister-Dreikampf! Wolfsburg muss zum Verfolgerduell nach Frankfurt, und wenn die zwei sich auch punktemäßig streiten, könnte am Ende der FC Bayern deutscher Meister werden - zum ersten Mal seit 1976. Vorausgesetzt, die Bayern gewinnen in der Münchner Kathedrale "Stadion an der Grünwalder Straße" gegen die SGS Essen.

Wie bitte? SGS Essen? Nie gehört?

Wolfsburg, Frankfurt, doch die Bayern? Ein Herzschlagfinale entscheidet über den Titel

Ja, auch die Frauen-Bundesliga fiebert gerade einem dramatischen Saisonfinale entgegen, und auch da ist im Grunde alles drin, was den Fußball faszinierend macht. Zunächst mal die Fallhöhe: Der VfL Wolfsburg hatte zuletzt zweimal nacheinander die Champions League gewonnen, aber in diesem Jahr, wenn das Finale im Berliner Fußballtheater "Ludwig-Jahn-Sportpark" stattfindet, ist Wolfsburg nicht dabei - dafür der 1. FFC Frankfurt. Exakt diese beiden Klubs treffen nun auch am letzten Liga-Spieltag aufeinander, und sollte Wolfsburg in Frankfurt verlieren, hätte der Tabellenführer wohl auch die Champions-League-Plätze verpasst, in einer Saison, in der die Elf bisher gerade mal drei Gegentore kassiert hat. Die Bayern wären lachende Dritte.

Ob wohl am Montag die Kollegen im Aufzug schwärmen werden: "Mensch, wie die Melanie Behringer in der 90. Minute das Ding reingemacht hat . . ."?

Okay, eher nicht.

Die Fußballrepublik Deutschland ist weiter eine ziemlich männliche Angelegenheit. Aber wenigstens hin und wieder verschiebt sich der Fokus. 2011, bei der Frauenfußball-WM in Deutschland, kamen alle Spiele live im Fernsehen, auch Australien gegen Äquatorialguinea. Der Bundespräsident besuchte die Bundestrainerin im Trainingslager. Eine Birgit-Prinz-Barbie kam in den Handel, und zum Finale Japan - USA versammelten sich 74 000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion. All das wurde auch unter dem Gesichtspunkt von Emanzipation und Gleichberechtigung gewürdigt, schließlich war es Frauen noch bis 1970 vom DFB verboten gewesen, organisiert Fußball zu spielen. Doch die immensen Hoffnungen, die viele damals mit der WM verbanden, haben sich nicht erfüllt. Als die Liga wieder losging, kamen zu manchen Spielen trotzdem nur 90 Zuschauer.

Interesse am Frauenfußball kann man eben nicht aus Gleichstellungserwägungen verordnen, und eine Sportart wächst nur dann gesund, wenn sie das organisch aus sich heraus tut. Die Beteiligten haben das übrigens immer so gesehen. Wenn nun am Sonntag drei Teams in einem Herzschlagfinale den Titel ausspielen, verschiebt sich wieder für einen Moment der Fokus. Nur ein Zeichen von vielen, dass sich der Frauenfußball entwickelt.

Sicher, es bleibt ein weiter Bogen vom Camp Nou bis zum Stadion an der Grünwalder Straße. Aber manchmal verbirgt sich ja das Große im Kleinen.

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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