Kommentar:Jenseits des Yarra

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Angelique Kerber stand nun zum zweiten Mal in einem Grand-Slam-Finale. Sie aber nur an den Erfolgen des Jahres 2016 zu messen, wird ihr nicht gerecht.

Von Gerald Kleffmann

16 deutsche Spieler waren zu diesen 130. Championships angetreten, eine Vertreterin des Deutschen Tennis-Bundes schaffte es in die zweite Woche in Wimbledon und gar ins Finale. Müßig zu betonen, dass derzeit niemand anderes für solche Leistungen in Frage kommt als Angelique Kerber. Ihr Triumph im Januar bei den Australian Open war ein Ereignis, allein schon weil Tennisdeutschland seit den Zeiten mit Boris Becker, Michael Stich und Steffi Graf nicht mehr derart mitfiebern und jubeln durfte. Nun wiederholte Kerber fast ihren Coup von Melbourne, es spricht für die gestiegene Wertschätzung gegenüber dieser so kampfstarken Sportlerin, dass ein Erfolg diesmal etwas weniger überraschend gewesen wäre.

Ihr Vermögen aber nur an zwei speziellen Grand-Slam-Auftritten zu bemessen, wird ihr nicht gerecht. Kerber zählt seit viereinhalb Jahren auch offiziell laut Rangliste der Frauentour WTA zu den zehn besten Profis. Diese Bilanz ist mindestens so beeindruckend, nur ist sie eben nicht so symbolträchtig wie das Hochstemmen eines Pokals oder der Sprung in einen trüben australischen Fluss namens Yarra River.

Nur Siege zählen, klar, das Diktat des Berufssports könnte der Einzeldisziplin Tennis entsprungen sein. So gesehen ist es interessant, wieso sich ausgerechnet eine wie Kerber aus einer Generation scheinbar ebenbürtiger deutscher Kolleginnen abgesetzt hat und gar in einer anderen Dimension angekommen ist. Sie hatte doch auch Schwankungen, Höhen und Tiefen wie Sabine Lisicki, die im Finale im All England Club stand, und Andrea Petkovic, die bei den French Open das Halbfinale erreichte. Auch Julia Görges war ein Versprechen für mehr als das, was sie erreicht hat. Reiht man verschiedene Facetten aneinander, wird greifbar, was Kerber unterscheidet. Besonders spektakulär sind diese nicht. Sie ist, vielleicht einfach naturbedingt, weniger verletzungsanfällig, dadurch fitter, belastbarer, sie trainiert viel, arbeitet an Schwächen, vertraut aber auch den Stärken, spielt mit Herz und Wille und profitiert davon, dass bei ihr etwas fehlt, das den anderen oft genug im Weg steht. "Bei ihr ist nicht so viel Drama", so klar hat es Bundestrainerin Barbara Rittner in Wimbledon auf den Punkt gebracht.

Detail-Arbeit, stabiles Umfeld: Kerber hat die Balance gefunden

Kerber ist im Wortsinne ein Profi, sie macht ihre Arbeit. Sie ist nicht oberflächlich, aber sie verkopft sich auch nicht zu sehr. Ihre größte Herausforderung besteht lediglich darin, die Balance zu finden, und dann ist sie einfach eine sehr, sehr gute Spielerin, die sich nicht darauf ausruht, dies auch zu wissen.

Als sie ihren einzigen Trainerwechsel als falsch erkannte, kehrte sie zu Torben Beltz zurück, ihrem langjährigen Vertrauten. Im Tennis zahlt sich konstanter Teamgeist oft aus, auch der Aufstieg des 19-jährigen Alexander Zverev ist ein Beleg dafür. Der Hamburger ließ sich von klein auf von seinen Eltern und seinem zehn Jahre älteren Bruder anleiten, punktuell öffnet er sich Experten, um das nächste Level zu erreichen. Fitnesstrainer Jez Green hat aus dem Jungprofi den austrainierten Erwachsenenprofi geformt. Um zu wissen, wie Erfolg geht, muss man sich die Besten der Zunft ansehen, Djokovic, Murray, Nadal, Williams. Sie tüfteln an Details, aber experimentieren nicht viel mit Technik und Personal. Sie treiben sich konsequent an.

Weil Kerber gerne an sich zweifelt, hat es bei der Linkshänderin etwas länger gedauert, bis sie auch verinnerlicht hat, dass sie zu diesen Besten dazugehört und sogar die Beste sein kann, wie im Januar in Melbourne. Tennis ist ein Kopfsport. Deutschland jedenfalls sollte das nächste Mal nicht vor Freude erschrecken, wenn wieder eine Spielerin des DTB um einen großen Titel spielt.

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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